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Der fliegende Holländer

Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca 2h 20' (keine Pause)

Premiere am 2. Oktober 2022 im Theater Duisburg
(rezensierte Aufführung: 30. Oktober 2022)


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Rheinoper
(Homepage)
Das Holländer-Syndrom

Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel

Es wurde ja auch Zeit, dass diese Frau ein Therapieangebot erhält. Seit 1843 singt Senta nun die "Ballade vom Fliegenden Holländer" und glaubt offenbar an die reale Existenz dieser Märchengestalt. Die Rheinoper bemüht eigens einen Diplom-Psychologen, der im Programmheft von einer "parasozialen Beziehung" Sentas zu diesem mystischen Seefahrer spricht. Und Regisseur Vasily Barkhatov, 1983 in Moskau geboren und nach diversen Arbeiten dort und in Sankt Petersburg zunehmend auf westeuropäischen Bühnen präsent, entwickelt in seiner Inszenierung ganz konkrete Maßnahmen, wie man Senta vielleicht heilen könnte. Aber halt! möchte man irgendwann rufen, so hat Richard Wagner das doch gar nicht gemeint. Das ist freilich ein schwaches Argument, wenn die Regietheatermaschinerie erst einmal angelaufen ist. Schauen wir uns diesen hochpathologischen Fall also genauer an.

Szenenfoto

Senta und ihre Eltern schauen im Kino den Spielfilm Der fliegende Holländer

Erster Aufzug: Die Diagnose. Dafür reicht eigentlich schon die Ouvertüre. Senta, ein Kind im Grundschulalter, geht mit Mama und Papa ins Kino, gespielt wird Der fliegende Holländer. Ein Seefahrerschinken aus dem Polarmeer mit einem bärtigen Bilderbuchkapitän. Wieder und wieder will Senta diesen Film sehen, wird darüber zum Teenager und zur jungen Frau. Die zunehmend genervte Mutter Mary hat zwischendurch eine Affäre mit einem anderen Kinobesucher (aha, Trennungsängste, Bindungsunfähigkeit), der Vater verliert das Interesse an der durchgeknallten Tochter. Aber bei allen Zweifeln am Gesamtkonzept muss man Barkhatov und seinem Team (Bühne: Zinovy Margolin, Kostüme: Olga Shaishmelashvili, Licht- und Videodesign: Alexander Sivaev) lassen, dass diese Sequenz unglaublich cool inszeniert und von Ensemble und Statisterie der Rheinoper virtuos umgesetzt wird - dieser ersten zehn Minuten wegen schon lohnt der Besuch der Aufführung. Wenn dann den ersten Akt lang der Holländer erscheint und sich in Sentas Wahrnehmung Realität und Fiktion ununterscheidbar vermischen, liefert das im Grunde kaum noch substantielle neue Informationen, aber die Regie hat einen Vorwand, die wilden Gestalten aus dem Film auf die Bühne zu holen, und das gibt optisch einiges her. Bis dahin geht das Konzept gut und bildmächtig auf.

Szenenfoto

In Sentas Perspektibe wird der Holländer Realität

Zweiter Aufzug: Der Therapieansatz. Während der musikalischen Überleitung zur Spinnstube wird der Text eines Briefes eingeblendet, den Sentas Vater Daland an den Filmschauspieler, der den Holländer dargestellt hatte, geschrieben hat: Da sich seine Tochter in einen Spielfilmhelden verliebt habe und nicht davon ablasse, müsse diese Figur scheinbar leibhaftig in Sentas Leben erscheinen und ihr die Trennung erklären - ob der Herr Kammerschauspieler dazu vielleicht bereit sei? Es werde sein Schaden nicht sein. Er wird bereit sein. Statt in der Spinnstube befinden wir uns dann im Foyer des Kinos zwischen Kinderkarussell und Imbissbuden, und die sehr heutige Gesellschaft ist vor allem mit dem eigenen Smartphone beschäftigt. Man mag darüber streiten, ob dieser doch ziemlich verächtliche Blick auf eine Gesellschaft jenseits der Opernhochkultur nicht arg arrogant ist, aber das ist ein anderes Problem. Denn weil ab jetzt gilt: Alles nur Täuschung, ist insbesondere das Duett zwischen Senta und Holländer ja vollständig inhaltsleer, und so entwickelt sich die Handlung ziemlich zäh. Und wenn der Regisseur behauptet, die Geschichte aus Sentas Perspektive zu erzählen, dann trifft das nur auf den ersten Akt zu, denn vom zweiten an sind wir als Zuschauer die unfreiwilligen Komplizen Dalands, der mit einem Trick die unwissende Senta von ihrem Wahn heilen möchte, und nehmen dessen Blick ein. Erik, dem Libretto nach der unterprivilegierte Jäger, ist hier der Security-Mann - ok, passt, in Jan-Philipp Glogers Bayreuther Inszenierung 2012 war er der Hausmeister. Eigentlich müsste die Regie diesen Erik, der ja ganz vernünftige Dinge zu sagen und singen hat, aufwerten, insbesondere im hier vorgestellten Kontext (ein attraktiver Lover als Konkurrenz für den erträumten Holländer könnte doch zusätzliche Spannung erzeugen). Tut sie nicht, und so ist Erik der ewige Langweiler, der er immer schon war.

Szenenfoto

In der Ödnis moderner Multiplex-Großkinos: Senta (in der Mitte) und Mutter Mary (rechts)

Dritter Akt: Die Schocktherapie. Wir befinden uns immer noch im Kino-Foyer, wo jetzt public viewing eines Fußballspiels angesagt ist. Die Norweger bejubeln die eigene Mannschaft, der eigentlich auf die reglose Besatzung des Holländer-Schiffs gemünzte Spott gilt dem gegnerischen Fußballteam: In seiner Ironie ganz lustig gedacht, aber es nimmt der Szene natürlich die Dramatik. Leider kommt die Replik der Holländer-Crew aus dem Lautsprecher, und das in ziemlich schlapper Tonqualität - so wird die Szene musikalisch verschenkt. Dann erklärt der Holländer, wer er ist und dass es da natürlich nicht so richtig passt mit einer Beziehung und diese daher jetzt beendet sei, und das ist alles irgendwie ziemlich banal und weit hinter Wagners großem Wurf zurück. Und schlägt diese Therapie an und Senta ist geheilt? Das wollen wir hier nicht verraten, damit noch ein kleines Moment der Spannung bleibt. So viel nur: Es wird die späte Fassung mit dem Erlösungsschluss gespielt, und natürlich ist sich der Regisseur des Kitsches dieser Schlusstakte bewusst - und findet ein starkes Bild dazu. Und natürlich ist es eine szenische Entscheidung, die die Wahl dieser Fassung legitimiert, da kann Dirigent Patrick Lange noch so viele musikalische Gründe anführen.

Szenenfoto

Fangesänge im dritten Akt: Die Norweger bejubeln ein Fußballspiel

Der nimmt den Holländer dezidiert als Frühwerk im Umfeld von Spieloper und Belcanto (dann müsste er konsequenterweise auch die Erstfassung ohne Erlösungsschluss spielen wollen) und gibt ihm einen leichten, fast spielerischen Charakter "mit dramatischen Ausbrüchen", wie er im Programmheft erklärt. Dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden, nur dürfte die Musik trotzdem drängender, weniger schwerfällig und statisch sein. Und es bräuchte doch anderer Sänger: Norbert Ernst ist ein versierter Charaktertenor, aber als Belcanto-Erik stößt er hörbar an seine Grenzen. Und Torsten Grümbel legt den Daland so zurückhaltend als Spielbass an, dass die Figur in der Belanglosigkeit verschwindet. James Rutherford ist ein solider, wenig dämonischer Holländer, was ja noch irgendwie ins Konzept passt. Am besten arrangiert sich Gabriela Scherer als Senta mit dem musikalischen Konzept, denn ihre Stimme an der Grenze zwischen lyrischem und jugendlich-dramatischen Sopran trifft den geforderten Tonfall ziemlich gut. Katarzyna Kuncio gibt eine angestrengte Mary, Andrés Sulbarán einen ausgezeichneten Steuermann.

Ansonsten hatte die Rheinoper in der hier besprochenen Aufführung einen denkbar schlechten Tag mit etlichen musikalischen Pannen - der an sich klangvolle Chor und die an sich guten Duisburger Philharmoniker fanden im dritten Aufzug oft nicht zusammen, und selbst die verschiedenen Orchestergruppen hatten Koordinationsschwierigkeiten. Verpasste Einsätze, verunglückte Spitzentöne - solche Tage gibt's, das ist Live-Theater. (Trotzdem wünschte man sich den Chefdirigenten des Hauses, Axel Kober, herbei, einen überaus erfahrenen und verlässlichen Wagner-Dirigenten.) So ist die musikalische Interpretation nur begrenzt geeignet, die der Szene oft fehlende Spannung zu erzeugen. Das weckt die Erinnerung an eine Produktion, die die Kino-Metapher zwar ästhetisch weitaus schlichter, aber inhaltlich ungleich packender verarbeitet hatte: Kay Metzgers Inszenierung 2017 im Theater Detmold. Dort konnte man mit Kinogängerin Senta mitleiden, sich in ihr ein Stück weit wiedererkennen, weil sie eben nicht als "krank" diffamiert wurde. Bei Barkhatov sind alle krank, die Gesellschaftsanalyse fällt in jeder Hinsicht vernichtend aus. Vermutlich ist das in diesen Tagen zwischen Klimakatastrophe und Ukrainekrieg durchaus angemessen.


FAZIT

Tja, was soll man davon halten? Nicht nur aus medizinischer Sicht scheint Vasily Barkhatovs Therapiekonzept für Senta in manchen Aspekten fragwürdig, und neben starken Momenten gibt es auch phasenweile Langeweile. Musikalisch hat die Rheinoper bessere Produktionen im Angebot.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patrick Lange

Inszenierung
Vasily Barkhatov

Bühne
Zinovy Margolin

Kostüme
Olga Shaishmelashvili

Licht
Alexander Sivaev

Chor
Patrick Francis Chestnut

Dramaturgie
Anna Grundmeier
Anna Melcher



Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Duisburger Philharmoniker


Solisten

Daland
Torsten Grümbel

Erik
Norbert Ernst

Steuermann
Andrés Sulbarán

Senta
Gabriele Scherer

Mary
Katarina Kunczio

Der Holländer
James Rutherford



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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