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Mütterlein, ach Mütterlein
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Bettina Stöß So bricht man die Herzen der stolzesten Frau'n gemeinhin nicht: Er liebe sie ja durchaus, erklärt operntypisch schnell Tenor Gennaro der charismatischen Fremden, die vor ihm steht, als er aus einem Schläfchen erwacht; nur gebe es halt eine Frau, die er noch mehr liebe: seine Mama. Dabei kennt er die nicht einmal, hat nur einen Brief von ihr, und im Gegensatz zum opern- und krimierfahrenen Publikum braucht er zwei weitere Stunden und zwei Mordanschläge (den zweiten wird er nicht überleben) um zu begreifen, dass die rätselhafte Dame niemand anderes ist als - die geliebte Mutter. Und die wiederum ist die geheimnisvolle, als vermeintliche Giftmörderin in die Geschichte eingegangene Lucrezia Borgia, gar nicht so heimliche Lieblingstochter von Pabst Alexander VI. und in ihrer Zeit eine ungeheuer mächtige und einflussreiche Frau (und deshalb, fake news waren schon immer ein beliebtes Kampfmittel, diverser Untaten bezichtigt). Victor Hugo hat 1833 so ziemlich alles in seinem Drama über die Renaissancefürstin Lucrezia Borgia frei erfunden, wobei deren Leben noch um einiges abenteuerlicher und dramatischer gewesen sein muss als die schaurige Handlung mit den zeittypischen Schockeffekten. Gaetano Donizetti komponierte noch im gleichen Jahr seine Oper, für die Felice Romani das Libretto verfasste - das trotz mancher Plumpheiten gar nicht so schlecht ist. Der frühe und mittlere Verdi mutet einem schließlich auch allerhand zu. Noch weiß Gennaro weder, dass es sich bei dieser geheimnisvollen Fremdemn um die geheimnisumwitterte Lucrezia Borgia handelt, noch begreift er, dass sie seine Mutter ist.
In den besseren Momenten seiner Inszenierung erzählt Regisseur Ben Baur die Handlung geradlinig nach, und auch für das eindrucksvolle Bühnenbild - eine riesige, die große Bühne des Aalto-Theaters geschickt verkleinernde Bachstein-Rückwand mit architektonischen Renaissance-Elementen und einem die Theatralik der Situation künstlich betonenden Vorhang - ist er verantwortlich. Mit irgendwie zwischen dem 16. Und 19. Jahrhundert changierenden Kostümen (Uta Meenen) und sonnenuntergansmildem Streiflicht (Michael Heidinger) gelingen schön anzuschauende Arrangements, und meistens (leider nicht immer) vertraut Baur auf die Wirkung der Musik, was im Belcanto seine Berechtigung hat. Da muss gar nicht viel passieren, und Baur verzichtet im Großen und Ganzen auch auf eine Neu- oder Umdeutung des Werkes, er lässt Oper einfach das sein, was Oper (im frühen 19. Jahrhundert) ist: Schöne Musik zu (trotz allem Kitsch) berührenden Geschichten. Hätte er es dabei belassen, wären vermutlich alle nach dieser Premiere einigermaßen beglückt nach Hause gegangen. Aber Baur will dann doch mehr sein als unaufdringlicher Sachwalter für ein selten gespieltes Werk. Also greift er in die Handlung ein. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Don Alfonso, Lucrezias Ehemann, ist eifersüchtig und sauer auf Gennaro und will ihn vergiften. Lucrezia hofft, ihren Sohn mit einem Gegengift zu retten.
In Hugos Schauspiel ermorden sich Lucrezia und ihr Sohn Gennaro gegenseitig: Sie vergiftet ihn und seine Kumpane, aber ihm bleibt noch genug Lebenszeit, sie zu erstechen. Erst im Moment des Sterbens finden beide zur Wahrheit, und das hat Baur, wie er im Programmheft äußert, doch sehr fasziniert. Er lässt aber keineswegs die Oper im gleichen Doppelmordmodus enden, sondern zeigt bereits im Prolog, wie Gennaro seine Mutter ersticht. Im Finale dagegen überlebt sie offenbar. Auch wird die Geschichte nicht als Rückschau erzählt (was sich nach dem schnellen Mord an Lucrezia anbieten würde), sondern eher wie ein Traum mit den traumtypischen surrealen Momenten. Was vielleicht funktionieren würde, wenn Baur dies konsequent als Alptraum durchinszeniert hätte. Aber die meisten Szenen sind ziemlich beschaulich linear narrativ angelegt, und die surrealen Momente (es laufen immer wieder weitere Kinder der Lucia oder allerlei Kleriker durchs Bild) fallen als ärgerliche Störungen heraus. Unter Alkoholeinfluss streifen Gennaros Saufkumpane auch gerne Frauenkleider über, aber die Männerfreundschaft (Männerliebe?) zwischen Gennaro und Orsini (oben im Bild) wird von der Regie ausgeblendet
Das lässt sich größtenteils sogar verschmerzen, man ist aus Essen (Tannhäuser !) Schlimmeres gewohnt, auch wenn zwischenzeitlich der Überblick schon 'mal schwierig ist. Baur schickt die eine oder andere Lucrezia zusätzlich auf die Bühne, um die (doch sowieso unübersehbare) Mutter-Sohn-Tragödie zu unterstreichen, und an einer Stelle wird das dann doch sehr fragwürdig. Der tragische Plot der Handlung wird durch die Männerfreundschaft zwischen Gennaro und Maffio Orsini (die Rolle ist für einen Mezzosopran komponiert) ausgelöst, die sich Treue bis in den Tod geschworen haben - deshalb darf Gennaro nicht überleben, wenn Orsini am Gift stirbt. Es gibt ein Duett der beiden, in dem (auch das kann man im Programmheft nachlesen) Ben Baur ein Liebesduett heraushört. Dann soll er es halt auch als Liebesduett unter Männern inszenieren, denkt man. Stattdessen erscheint Orsini im goldgelben Frauenkleid Lucias, und auch diese Szene wird ikonographisch wie interpretatorisch auf die desaströse Mutter-Sohn-Beziehung umgedeutet. Aber warum? Baur entschärft den dramatischen Konflikt, er lässt Gennaro hier endgültig zum weinerlichen Muttersöhnchen werden, aber vor allem: Er drückt sich umständlich um das homoerotisch eingefärbte Liebesduett herum. Mag sein, dass das keine Rolle im Konzept von Ben Baur spielt, aber spätestens von da an hat die Regie, die ihren Einfall im Programmheft erklären muss, den schalen Beigeschmack, eben doch vor allem am hübsch-harmlosen Dekor ausgerichtet zu sein. Vorsicht, der Wein der Borgia kann tödlich sein. Das muss auch Gennaro erfahren. Ob er aber, wie im Schauspiel von Victor Hugo, vorher schnell noch Lucrezia ersticht, oder diese wie von Donizetti vorgesehen überlebt, wird nicht so recht klar.
Das Aalto-Theater musste kurzfristig fast alle Hauptpartien krankheitsbedingt umbesetzen - zum Glück stand Lucrezia Borgia im Frühjahr auf dem Spielplan der Oper in Bologna. Aus dem dortigen Ensemble übernahm Marta Torbidoni anstelle der hauseigenen Primadonna Jessica Muirhead die Titelpartie - mit etwas unausgeglichenem, in der Höhe auch im Piano tragfähigem Sopran, souverän in den Verzierungen und mit Sinn für die großen Bögen. Der ist bei Franceso Castoro (gesund geblieben und in der Essener Originalbesetzung, aber gesungen hat auch er in Bologna) als tragischer Sohn Gennaro weniger ausgeprägt, aber mit schönem, unangestrengtem Tenor bewältigt er die Partie überzeugend. Als Don Alfonso, jähzorniger und eifersüchtiger Ehegatte der Lucrezia, sollte Almas Svilpa auf der Bühne stehen, aber auch er erkrankte - für ihn sprang Davide Giangregorio mit strahlendem, draufgängerischem Bariton ein, und weil auch er zur Besetzung in Bologna gehörte, trifft sich ein eingespieltes Team in Essen wieder. Und auch für den Maffio Orsini musste Ersatz gefunden werden (eigentlich singt Liliana de Sousa), den fand man in Na'ama Goldman (sie hat die Partie an der Oper Teneriffa gestaltet), die verhalten beginnt, dann aber mit jugendlicher, leuchtender Stimme zu großer Form aufläuft. Andrea Sanguineti, angehender Chefdirigent am Aalto-Theater, könnte mit den guten Essener Philharmonikern und dem ausgezeichneten Opernchor Donizettis schöne, aber doch auch ziemlich schematisch nach wiedererkennbaren Mustern angelegte Musik sicher straffer und raffinierter angehen, ist aber ein versierter und zuverlässiger Begleiter eines auch in den Nebenrollen überzeugenden Sängerensembles.
Reichlich unnötig verkompliziert Ben Baur die an sich schlicht gestrickte Schauergeschichte und verbeißt sich derartig in das Mutter-Sohn-Drama, das es in die Sentimentalität abdriftet. Musikalisch nicht zuletzt dank toller Gastsängerinnen und -sänger im krankheitsgeplagten Hausensemble eindrucksvoll. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Licht
Choreographische Mitarbeit
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Don Alfonso
Donna Lucrezia Borgia
Gennaro
Maffio Orsini
Jeppo Liverotto
Don Apostolo Gazella
Ascanio Petrucci
Oloferno Vitellozzo
Gubetta
Rustighello
Tänzer
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