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Verirrt im Labyrinth der Macht
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung Die Handlung dieser Oper lässt sich zeitlich exakt fixieren: Der Prolog spielt am Tag der Wahl Simon Boccanegras zum ersten Dogen von Genua im Jahr 1339; die beiden Hauptakte beschreiben seine letzten Lebenstage und den Tod 1363. An einem historischen Tableau im Stile der französischen grand opéra war Verdi allerdings nicht gelegen (vielmehr interessierte ihn die Figur wohl als Symbol und Modell für den "guten Herrscher" im italienischen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts). Trotzdem wird die Dynamik der Handlung nicht so recht klar ohne die historische Grundkonstellation mit der oft blutigen Rivalität zwischen den kaisertreuen Ghibellinen (denen Boccanegra angehört) und den papsttreuen Guelfen (auf deren Seite Jacobo Fiesco steht, der Vater von Boccanegras Geliebter, die aber bereits im Prolog stirbt.) Simon Boccanegra (auf allen Fotos: Daniel Luis de Vicente) findet die Leiche seiner Geliebten
Wenn Regisseurin Tatjana Gürbaca alle konkreten historischen Bezüge streicht, dann bewegen sich die Figuren geschichtslos im leeren Raum - und das ist vielleicht auch so gewollt: Den Raum müssen sie sich jedenfalls erst einmal selbst bauen. Im Prolog stehen die Bühnenbildelemente noch falsch herum, man sieht also Kulissen von hinten; mit Boccanegras Wahl zum Dogen werden diese wie ein langes schmales Band zu einem wenn auch abstrakten Gebäude der Macht umgestellt und immer wieder verschoben - Sinnbild wechselnder Machtkonstellationen, in denen man sich auch verlaufen kann. Graue Wände, orangene Türen, angerundete Fensteröffnungen (die an Raumschiffe in Filmen aus den 1960er-Jahren erinnern) - das alles erscheint labyrinthisch, gesichts- und eben geschichtslos (Bühne: Klaus Grünberg). Die im Ansatz modernen Kostüme, im Schnitt leicht verfremdete Alltagskleidung, sollen (so steht's im Programmheft) farbliche Bezüge zu Gemälden aus der Zeit der Dogen haben. Ganz schlimm trifft es Gabriele Adorno, den Liebhaber Amalias und Nachfolger Boccanegras als Doge, und den Schurken Paolo Albiani, die beide großformatige Blütenmuster auftragen müssen. Alles in allem ist diese Ausstattung von bestürzender Hässlichkeit. Der Diskurs über Fragen der Macht, den Tatjana Gürbaca eröffnet, lässt keinerlei Sinnlichkeit zu. Schon gar nicht das Meer, das in Text und Musik ziemlich präsent ist. Ob Simon Boccanegra die Hände über dem Kopf zusammenschlägt wegen seiner Wahl zum Dogen oder doch eher wegen der absonderlichen Kostüme der Choristen, entzieht sich unserer Kenntnis.
Nun ist Verdi nicht unbedingt ein Komponist von Diskursopern, sondern doch viel mehr ein handfester Dramatiker des Musiktheaters. Dazu fällt Tatjana Gürbaca allerdings erstaunlich wenig ein; die Personenregie kommt über weite Strecken kaum über konventionelle Gesten hinaus, die Charaktere bleiben schematisch wie Schachfiguren im Machtspiel. Das mag auf dem Papier konzeptionell aufgehen, auf der Bühne bleibt es ziemlich leblos. Erst im (beinahe im Kitsch endenden) Finale bekommen die Figuren Kontur und es entwickelt sich doch noch so etwas wie Tragik innerhalb des Individualdramas. Und es tut gut, dass Boccanegra einen erlesenen Dogenmantel tragen darf und ein wenig optischen Glanz in die Tristesse bringt. Kein Haus zum Wohlfühlen: Simon und Tochter Amelia
In der hier besprochenen Aufführung gibt Dimitris Tiliakos dem Boccanegra trotz aller szenischen Widrigkeiten Eleganz und Charisma und eine große Stimme. Er setzt allerdings allzu oft die Töne zu tief an, um sich dann kraftvoll auf die richtige Tonhöhe zu stemmen. Almas Svilpa hält als Fiesco mit akkurat geführter Stimme souverän dagegen. Heiko Trinsinger als im Klang ein wenig vordergründiger, aber ungemein präsenter Paolo vervollständigt das düstere Herrentrio auf hohem Niveau. Mit auch in der Höhe sicherem und energischem Tenor ist Carlos Cardoso ein feuriger Liebhaber, dem es ein wenig an vokaler Geschmeidigkeit fehlt. Das gilt auch für die Amelia von Jessica Muirhead, sehr intensiv gesungen, aber man wünschte sich mehr lyrische Leichtigkeit. Es wird an diesem Abend durchweg großformatig und auch differenziert gesungen, und natürlich ist Simon Boccanegra eine der düstersten Opern Verdis mit spezifisch dunkler Klangfarbe, und das setzt das Ensemble, der sehr ordentlich singende Chor eingeschlossen, gut um. Ein wenig mehr belcantistische Schönheit dürfte die Aufführung dennoch haben. Amelia und Gabriele finden den sterbenden Simon Boccanegra
Großartig sind allerdings die geschärften Klangfarben und die pointierte Gestaltung mit schneidenden Einwürfen, aber auch betörend schönen impressionistischen Momenten, die Dirigent Giuseppe Finzi und die ausgezeichneten Essener Philharmoniker gestalten. Finzi dirigiert aus der Klangwelt des späten Verdi (der 1881 den bereits 1857 entstandenen Simon Boccanegra vollständig revidierte), an dem Wagner nicht spurlos vorbeigegangen ist. Er zeigt viel Gespür für die dramatischen Momente, kann aber auch zuckersüße Kantilenen zaubern, und in eben diesen Gegensätzen klingt die Partitur überraschend modern und vielschichtig. Das rettet über manche Leerstelle der Inszenierung hinweg und trägt sicher maßgeblich dazu bei, dass es am Ende zu stehenden Ovationen kommt, zu denen das Publikum insbesondere auch dadurch motiviert wird, dass Boccanegra, ungeachtet jedes machtpolitischen Diskurses, auf wirklich bewegende Weise stirbt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Licht
Kostüme
Mitarbeit Kostüm
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Simon Boccanegra
Amelia Grimaldi
Gabriele Adorno
Jacopo Fiesco
Paolo Albiani
Pietro
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