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Nostalgische Erinnerung an eine Hollywood-Legende Von Thomas Molke / Fotos: © Hans Gerritsen Neben den großen klassischen Handlungsballetten hat Ballett-Direktor Ben Van Cauwenbergh seit 2008 das Publikum auch immer wieder mit Themenabenden begeistert. Erinnert sei an dieser Stelle an die faszinierende "Soirée française" La vie en rose, in der er Chansons von Edith Piaf, Gilbert Bécaud und Jacques Brel choreographierte, die Tanzhommage an Queen und den Ballettabend Carmen / Boléro, in der er die Geschichte der wohl berühmtesten Femme fatale zunächst zur Musik von Georges Bizet erzählte und sie nach ihrer Ermordung zum Boléro von Maurice Ravel wieder auferstehen ließ. Nun widmet er sich gemeinsam mit seinem Ballettmeister Armen Hakobyan der Hollywood-Legende Charlie Chaplin. In einer lose aneinandergereihten Szenenfolge lassen Van Cauwenbergh und Hakobyan Stationen des Lebens und der Filme des großen Komikers, der als Tänzer, Schauspieler, Musiker, Komponist und Regisseur in Stumm- und Tonfilmen Geschichte geschrieben hat, in einem nostalgischen Abend der Erinnerungen Revue passieren. Charlie Chaplin (Davit Jeyranyan) trifft in der Figur des Tramp das blinde Blumenmädchen (Mariya Tyurina) aus City Lights. Den Anfang macht, wie es der Titel des Abends bereits verrät, ein berühmtestes Musikstück, das unweigerlich mit Chaplin verbunden ist: "Smile". Chaplin komponierte das Lied ursprünglich für den 1936 uraufgeführten Filmklassiker Modern Times, der noch die Tradition des Stummfilms fortsetzt. Der Text des Songs wurde erst 1954 von dem britischen Liedtexter-Duo John Turner und Geoffrey Parsons hinzugefügt. Während das Stück als Cover von Tomi Saario erklingt, ist es im Saal noch ganz dunkel. Maya Palme, die später in die Rolle des Kinderdarstellers Jackie Coogan schlüpft, schreitet dabei mit einer Art Scheinwerfer, den sie mit dem Lichtkegel nach oben hält, durch den Zuschauersaal auf die Bühne und erweckt Charlie Chaplin gewissermaßen zu neuem Leben. Aus dem hochgefahrenen Orchestergraben erhebt sich Davit Jeyranyan wie aus einem Grab und begibt sich zu einem Schminktisch auf der rechten Bühnenseite. Hier verwandelt er sich in den legendären Tramp, mit dem man Chaplin als Leinwandfigur unweigerlich verbindet. Dazu erklingt Musik von John Barry aus dem Kinofilm Chaplin von Richard Attenborough aus dem Jahr 1992. Maya Palme als Jackie Coogan mit Schüler*innen des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden als Tramp-Double Dorin Gal, der für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat einen Raum geschaffen, der von einem riesigen Chaplin-Kopf dominiert wird. Dieser spaltet sich zu Beginn des Abends, um gewissermaßen einen Einblick in die Gedanken Chaplins zu gewähren. Das Gesicht dient dabei teilweise auch als Projektionsfläche für Videoeinspielungen, die Ausschnitte aus Chaplins berühmten Filmen zeigen. Auf der rechten und linken Bühnenseite deuten Embleme von großen Filmstudios die Zeit an, in der Chaplin mit seinen Filmen Erfolge feierte. Die in den Hintergrund projizierte Kamera hat einen ebenso nostalgischen Charakter wie die Kostüme, die Gal für Chaplin und seine Weggefährt*innen geschaffen hat, die nun in nicht chronologischer Reihenfolge auftauchen. Jackie Coogan, der durch seinen Auftritt in Chaplins The Kid 1921 zu einem der ersten Kinderstars der Filmgeschichte avancierte, macht dabei nicht nur den Anfang, sondern taucht in den einzelnen späteren Stationen immer wieder auf. Maya Palme begeistert dabei mit keckem Spielwitz und einem großartigen tänzerischen Ausdruck, so dass sie neben Davit Jeyranyan zum Star des Abends wird. Auch die weiteren Schüler*innen des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden, die in Kostümen des Tramps dem überforderten Polizisten (Yegor Hordyenko mit ebenfalls punktgenauer Slapstick-Komik) das Leben schwer machen, begeistern durch große Spielfreude. Chaplin (Davit Jeyranyan, links) als Tramp in der Auseinandersetzung mit einem reichen Mann (Moisés León Noriega, rechts) Im Folgenden begegnet Chaplin nun mehreren Frauen, die in seinem Leben und / oder Filmen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Den Anfang macht Mariya Tyurina als blindes Blumenmädchen aus dem Film City Lights, in das sich Chaplin in der Rolle als Tramp verliebte. Hier trifft er auch auf die Tänzerin Anna Pawlowa, zu der Chaplin zumindest eine platonische Beziehung hatte. Yuki Kishimoto begeistert dabei im weißen Schwanenkostüm zu einer Collage aus der Orchestersuite Der Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns und Franz Liszts Liebestraum mit akkuratem Spitzentanz. Dann folgt der Wechsel zu Josephine Baker, die von Larissa Machado sehr verführerisch interpretiert wird und die frechen Bewegungen des Revue-Stars wunderbar einfängt. Hier glänzt auch die Compagnie des Aalto Ballett Essen mit einer frischen Charleston-Einlage der 1920er Jahre. Zum Ende des ersten Aktes präsentieren dann Jeyranyan als Chaplin und Moisés León Noriega als reicher Mann eine großartige Slapstick-Einlage mit einem Mantel. Die beiden Männer geraten zunächst in überbordender Komik aneinander und versuchen dann, die Bar zu verlassen, verheddern sich aber mit ihren Mänteln, indem sie zunächst beide den gleichen Mantel anzuziehen versuchen und anschließend beide Mäntel tragen. Was Jeyranyan und Noriega hier abliefern, ist punktgenaue Komik vom Feinsten. Höllenboxkampf mit Slapstick-Einlagen vom Feinsten: von links: Devil Boy (Moisés León Noriega), Schiedsrichter (Dale Rhodes) und Chaplin (Davit Jeyranyan), dahinter drei der vier Engel für Charlie(von links: Enrico Vanroose, William Emilio Castro Hechavarría und Ige Cornelis)) Neben Einspielungen vom Band begleitet Boris Gurevich den Abend nicht nur im Tramp-Kostüm eindrucksvoll aus dem Orchestergraben mit melancholischem Spiel, sondern sorgt auch vor Beginn des zweiten Teils mit einem kurzen Show-Block für gute Unterhaltung, während das Publikum noch aus der Pause in den Saal strömt. Da klingt zum Beispiel der berühmte "Entertainer" und löst bei den Zuschauer*innen große Begeisterung aus. Der zweite Teil kann dann nach dem starken ersten Teil noch einmal als weitere Steigerung betrachtet werden. Die Bühne ist in wabernden Nebel getaucht, und man sieht den Tramp aus dem Schnürboden herabfallen. Diesen Sturz kann er eigentlich nicht überlebt haben. So treten im Folgenden "vier Engel für Charlie" auf, die zu Bobby McFerrins "Don't Worry, Be Happy" mit überbordender Komik gute Laune verbreiten. William Emilio Castro Hechavarría, Ige Cornelis, Wataru Shimizu und Enrico Vanroose geben den vier Engeln dabei sehr individuelle Züge. Auf den Himmel folgt dann die Hölle, indem die hintere Bühne hochgefahren wird und Moisés León Noriega und Rosa Pierro als Devil Boy und Devil Girl in feuerrotem Kostüm zu Tom Waits' "Way Down in the Hole" eindrucksvollen modernen Bewegungstanz präsentieren. Die Szene mündet dann in einem Boxkampf zwischen dem wieder auferstandenen Tramp und dem Devil Boy. Erneut stellen hier Noriega und Jeyranyan ihr großartiges Slapstick-Talent unter Beweis. Hervorzuheben ist hier auch Dale Rhodes als Schiedsrichter, der von den beiden den einen oder anderen Schlag einstecken muss. Wiederbegegnung am Schluss: Chaplin (Davit Jeyranyan) und das Blumenmädchen (Mariya Tyurina) Es folgt der wohl bewegendste und leider auch aktuellste Teil mit Auszügen aus Chaplins berühmtem Anti-Kriegs-Film The Great Dictator. Während Jeyranyan sich zunächst zum berühmten "Indiana Jones Theme Song" vom Tramp in die Titelfigur des Films verwandelt und anschließend auf einem Grammophon Wagners Vorspiel zum 3. Aufzug aus Lohengrin auflegt, wird ein berühmter Auszug aus dem Film auf Chaplins Kopf projiziert, in dem Chaplin mit dem Diktator Anton Hynkel Adolf Hitler persifliert und in einer Phantasiesprache, die deutsche Wortfetzen enthält, ihn im Duktus herrlich parodiert. Mag man an dieser Stelle noch lachen, werden in deprimierenden Bildern dann zu "Toilet Brushes" von Nils Frahm die Auswirkungen des Kriegs durch eine bewegende Bildsprache von der Compagnie dargestellt. Wenn die Tänzer*innen dann zum Vorspiel zum 1. Aufzug aus Wagners Lohengrin wie tot auf dem Bühnenboden liegen, erklingt Chaplins berühmte "Rede an die Menschheit", die der jüdische Friseur in der Verkleidung als Anton Hynkel im Film am Schluss hält. Dazu erheben sich die Tänzer*innen allmählich und wechseln ihre Kostüme. Auch der Tramp ist unter ihnen, allerdings nun nicht mehr im Tramp-Kostüm. Die Geschichte ist quasi auserzählt. Vor dem Schminktisch verwandelt sich Jeyranyan vom Tramp zurück in Charlie Chaplin und lässt in einem bewegenden Solo den Menschen Chaplin zu Wort kommen. Erneut klingt John Barrys Musik aus dem Attenborough-Film. Nach einer Weile gesellt sich das Blumenmädchen aus City Lights zu ihm. Wie am Ende des Films ist sie nun sehend geworden. Tyurina und Jeyranyan tanzen ein emotionsgeladenes Pas de deux, bevor Jackie Coogan Chaplin wieder dorthin zurückbringt, woher er gekommen ist. Auf dem hochgefahrenen Bühnenboden versinkt Chaplin dann zur Musik von "Smile", dieses Mal als Cover von Liberace, wieder in tiefen Schlaf. Nun hört man den Text des Songs. Das Publikum zeigt sich sichtlich bewegt und spendet tosenden Beifall für alle Beteiligten. FAZIT Ben Van Cauwenbergh und Armen Hakobyan gelingt mit einem großartigen Ensemble ein nostalgischer Streifzug durch das Leben und die Filme von Charlie Chaplin und weckt die Lust, sich die alten Filmklassiker wieder einmal anzuschauen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamChoreographie und Konzept
Co-Choreographie
Bühne und Kostüme
Videographie
Lichtdesign
Dramaturgie
Klavier Compagnie des Aalto Ballett Essen
Schüler*innen des
Fachbereichs Tanz am
*Premierenbesetzung
Chaplin
Jackie Coogan
Flirt Girl
Anna Pawlowa
Blinde Frau
Devil Girl
Reicher Mann / Devil Boy
Polizist
Schiedsrichter
Josephine Baker
Josephine Bakers
Partner
Show Girls
Vier Engel
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