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Es gibt nicht nur die eine WahrheitVon Joachim Lange / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater ErfurtDer Griechenland-Schwerpunkt der aktuellen Erfurter Spielzeit ist ergiebig. Da lässt sich sogar Rossini unterbringen. Allerdings nicht der schwelgerische Genießer, der sein Publikum mit seinen temporeichen Tricks verwöhnt. Es gibt auch einen ziemlich ernsten Rossini. In der Belagerung von Korinth ist er wie ein Vorbote der Grand Opéra am Werke. Große Chöre, großes Pathos und ein Stoff, der damals hochpolitisch war und von heute aus ein identitätsstiftendes Kapitel des modernen Griechenland behandelt.
Der französischsprachige Dreikater, der 1826 in Paris uraufgeführt wurde, ist eine Überarbeitung seines italienischen Maometto II. aus dem Jahre 1820. Als eine direkte Referenz an den Zeitgeist. In den Zwanzigerjahren des 19.Jahrhunderts bewegte ganz Europa der Freiheitskampf der Griechen gegen die Osmanen. Bei den Osmanen bleibt es auch bei der Überarbeitung. Diese Angreifer aus dem Osten belagern in der Version, die jetzt in Erfurt zu erleben ist, nicht eine venezianische, sondern eine griechische Festung. Die Parteinahme Rossinis nach dem Muster "die Guten (also die christlichen Europäer) verteidigen sich und die Bösen (also die muslimischen Osmanen)" ist zwar insgesamt eindeutig, aber nicht blind. In ihrer musikalischen Ausstattung kommen die Türken jedenfalls nicht per se schlechter weg. Da setzt Rossini mehr Analyse als auf patriotische Agitation. Wobei die natürlich nicht zu kurz kommt. Der machtvoll patriotische Chor der Griechen nimmt einmal sogar das Publikum im Saal von den Seiten gleichsam in die Zange und singt es direkt an.
Operngemäß kommt Spannung in die Sache, weil der Eroberer in der Vorgeschichte inkognito das Herz der Tochter des Griechen-Anführers bereits für sich gewonnen hatte. Für Mahomet ist eine Hochzeit mit Pamyra ein Friedensangebot. Doch dazu sind die Griechen unter keinen Umständen bereit. Mit einer geradezu fundamentalistischen Sieg-oder-Tod-Rhetorik erklären die Anführer nicht nur den Tod der Krieger, sondern auch den Selbstmord aller Frauen zum bindenden Ideal. Zu Sympathieträgern werden diese Griechen damit nicht. Regisseur Markus Dietz war klug genug, in seiner szenischen Umsetzung jeden direkten Bezug zum gegenwärtigen Krieg gegen die Ukraine zu unterlassen. Die Analogie, die sich ergäbe, würde in ihrer tödlichen Konsequenz für alle so gut wie jeden zivilisatorischen Fortschritt aushebeln. Die Bühnen-Ästhetik bleibt karg, schafft aber den Bogen ins allgemeingültig Exemplarische des Krieges und seiner verheerenden Wirkungen.
Mahomet II. (Arturo Espinosa) und Pamyra (auch stimmlich jugendlich schlank: Candela Gotelli) lernen wir während der Ouvertüre im Video als stürmisches Liebespaar in einem Hotelzimmer kennen. Könnte in Athen sein. Die Bühne von Ines Nadler ist dann Spielfläche für heutig gekleidete Menschen (Kostüme: Mayke Heger) vor einer wuchtigen, aber transparenten Wand. Hier schwört Pamyras Vater Cléomène (Luc Robert), seine Leute auf die letzte Schlacht und den Heldentod ein. Er will all dem mit der Hochzeit Pamyras mit dem durch ihn festgelegten Bräutigam, dem jungen griechischen Kieger Néoclès (Brett Sprague), einen feierlichen Rahmen verleihen. Was Pamyra zunächst selbstbewusst verweigert. Wenn die osmanischen Eroberer (mit SEK-Masken) eindringen, schlitzen sie die Verkleidung der Rückwand auf, erklimmen sozusagen die Mauern der Festung auf drei Etagen.
Mahomet selbst fährt im Luxuscabrio vor, verbietet als erstes die Zerstörung von Kulturgütern und macht bei der überraschenden Begegnung mit seiner Geliebten ein - wenn auch vergiftetes - Friedensangebot. Aber die Griechen lehnen ab, schließen jedes Arrangement mit dem überlegenen Eroberer aus und beharren auf ihren Maximalforderungen. So wird die mit Glamour (und einer von Volker Michl choreographierten Balletteinlage) in Szene gesetzte Hochzeit Mahomets und Pamyras nur ein Zwischenspiel auf dem Weg in die tödliche Katastrophe. Pamyra rettet Néoclès das Leben, kehrt dann aber zu den Griechen und ihrem fundamentalistischen Vater zurück, um sich ausführlich seine Verzeihung zu erflehen und sich am Ende in den Armen Mahomets zu erstechen. In der hier besprochenen Sonntagnachmittags-Vorstellung sorgte Kapellmeister Clemens Fieguth am Pult für eine furiose Orchesterwucht und großformatige Chorpräsenz, in der sich die Protagonisten mit einiger Kraftanstrengung durchweg überzeugend behaupteten. FAZIT Die Oper Erfurt überzeugt mit Gioachino Rossinis hochpolitischer Oper Die Belagerung von Korinth: Ein überraschender Rossini, klug inszeniert. Offene Fragen inklusive. Was will man mehr. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Mahomet II
Cléomène, Anführer der Griechen
Pamyra, seine Tochter
Néoclès, junger griechischer Krieger
Hiéros, alter Grabwächter
Adraste, Vertrauter Cléomènes
Omar, Vertrauter Mahomets
Ismène, Vertraute Pamyras
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