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Musiktheater
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Bernarda Albas Haus

Oper in drei Akten
Text von Federico García Lorca, deutsche Textfassung von Aribert Reimann nach der Übersetzung von Enrique Beck
Musik von Aribert Reimann

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 25' (keine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 6. Mai 2023
(rezensierte Aufführung: 12.05.2023)

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Eingeschlossen in einer hierarchischen Frauengesellschaft

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

Man solle die ersten 15 Minuten des Stückes durchhalten. Das sei vielleicht musikalisch etwas anstrengend. Danach werde man aber von der Musik in eine packende Geschichte gezogen, bei der man am Ende vielleicht gar nicht mehr aufstehen möchte. So ungefähr soll sich Regisseur Dietrich W. Hilsdorf über Aribert Reimanns am 30. Oktober 2000 an der Bayerischen Staatsoper in München uraufgeführte Oper Bernarda Albas Haus geäußert haben, die er nun am Musiktheater im Revier in Szene gesetzt hat. Und irgendwie behält er Recht. Wenn nach knapp zweieinhalb Stunden ohne Pause das von Bernarda Alba angeordnete Schweigen im Haus beginnt, hört man aus dem Publikum nicht den leisesten Mucks. Man kann sich kaum vorstellen, dass das Stück nun zu Ende ist. Die vom Regisseur eingeführte Figur der Antonia, einer Tochter der im Libretto namenlosen Magd in Bernardas Haus, muss sich schon mehrfach verbeugen, bevor das Publikum zu applaudieren beginnt, zunächst zögerlich, aber dann wie von einer besonderen Anspannung befreit nahezu frenetisch. Für Gelsenkirchen ist die Produktion ein Coup der besonderen Art. Nachdem im März mit Brittens Billy Budd eine reine Männer-Oper auf dem Programm stand, bildet nun die nur mit Frauen besetzte Oper Reimanns einen großartigen Kontrast und zeigt auf beklemmende Art, dass auch in einer reinen Frauengesellschaft ähnlich grausame Strukturen herrschen können.

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Bernarda Alba (Almuth Herbst) führt ein hartes Regiment.

Federico García Lorcas gleichnamiges Drama wurde kurz vor Beginn des Spanischen Bürgerkriegs vollendet, und bildet gemeinsam mit Yerma und Bodas de sangre (Bluthochzeit) eine Trilogie über die Rolle der Frau und deren Unterdrückung im Spanien der 1930er Jahre. Reimann greift in der Oper die familiären und gesellschaftlichen Konflikte in einer auf die einzelnen Figuren individuell abgestimmten Musiksprache auf und schafft ein Werk, das mit extremen Intervallsprüngen und ständigem Wechsel zwischen gesungenem und gesprochenem Wort die albtraumhafte Atmosphäre in Bernardas Haus unterstreicht. Nach dem Tod von Bernardas zweitem Ehemann ist dieses Haus männerlos. Weder in Lorcas Drama noch in Reimanns Oper taucht ein Mann auf der Bühne auf. Ein Männerchor, den Reimann in der Oper einführt, ist lediglich aus dem Off zu hören, und auch der 25-jährige Pepe el Romano, um den die Gedanken von Bernardas Töchtern kreisen, tritt nicht in Erscheinung. So fokussieren sich Drama und Oper ganz auf Bernarda Alba, ihre fünf Töchter, ihre Mutter María Josefa, die sie in einem kleinen Zimmer weggesperrt hat, und zwei Mägde. Bernarda führt ein strenges Regiment. Doch auch zwischen den Töchtern herrscht keine große Solidarität. Die älteste der fünf Töchter, Angustias, soll eigentlich den wesentlich jüngeren Pepe el Romano heiraten, da sie den Hauptteil des Guts erben wird. Aber die jüngste Tochter, Adela, hat heimlich ein Verhältnis mit Pepe, an dem sie schließlich zerbricht. Als sie glaubt, dass ihre Mutter Pepe erschossen hat, nimmt sie sich das Leben.

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Beklemmende Atmosphäre im Haus: von links: La Poncia (Sabine Hogrefe), Amelia (Margot Genet), Magdalena (Bele Kumberger), Adela (Katherine Allen) und Angustias (Lina Hoffmann)

Während Reimanns Musik das Stück anders als Lorcas Drama nicht konkret im Spanien der 1930er verortet und eine regelrecht surreale Klangwelt ohne Lokalkolorit kreiert, nähert sich das Regieteam um Dietrich W. Hilsdorf recht naturalistisch der Vorlage. Dieter Richter betont in einem hohen dreiteiligen Bühnenbild die Abgeschlossenheit von Bernardas Welt. Auf der linken und rechten Seite sieht man jeweils einen Raum, der äußerst karg mit wenigen Requisiten ausgestattet ist. Bei dem Raum auf der linken Seite handelt es sich wohl um den Arbeitsbereich für die Mägde, weil auch die Wände nicht verziert sind und nur eine hässliche Neonlampe gnadenlos scheint. Im Saal auf der rechten Seite deuten zumindest die Tapeten einen gewissen Wohlstand an. In der Mitte befindet sich eine einzige Tür, die ins dunkle Nichts führt. Auch die beiden großen Fenster im Hintergrund der Räume zeigen eine gnadenlose Leere. Zunächst schimmert dahinter gelbes Licht, dass vielleicht für unerträgliche Hitze und Trockenheit steht. Wenn das Drama seinen Lauf geht und die Nacht anbricht, verdunkeln sich die Fenster und zeigen ein schwarzes Nichts. Adela, die versucht, diesen Zwängen zu entfliehen, öffnet zwar ein paar der Fenster, jedoch ohne Erfolg. Bei ihrem Tod ist die sengende Sonne hinter den Fenstern zwar gewichen, aber auch der mittlerweile weiße Schein ins Zimmer gibt den Frauen keine neue Hoffnung. Über der Tür befindet sich eine weitere Tür mit einem kleinen Balkon. Hinter dieser Tür lebt María Josefa, die, wenn sie nicht gerade aus ihrem Gefängnis ausgebrochen ist, nur den kleinen Balkon zur Verfügung hat, um sich zu bewegen. Darüber prangt ein großes Bild der unbefleckten Empfängnis des spanischen Malers Bartolomé Esteban Murillo.

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Streit unter Frauen: Adela (Katherine Allen, Mitte links stehend) und Martirio (Soyoon Lee, Mitte rechts stehend) (von links: La Poncia (Sabine Hogrefe), Angustias (Lina Hoffmann), Magdalena (Bele Kumberger), Amelia (Margot Genet) und Bernarda Alba (Almuth Herbst))

Hilsdorf verzichtet in seiner Inszenierung nicht komplett auf den Auftritt von Männern. Bevor die Oper beginnt, sieht man den Leichnam von Bernardas zweitem Gatten, der im Salon auf der rechten Seite aufgebahrt ist. Bei ihm befindet sich ein älterer Mann, der bisweilen seltsame Geräusche ausstößt und die auftretende Magd verschreckt, die bei Reimann eigentlich namenlos ist, und bei Hilsdorf nicht nur mit dem Namen Violeta personalisiert wird, sondern auch noch eine uneheliche Tochter hat, deren Vater wohl der Verstorbene ist. Auf der linken Seite sieht man uniformierte Soldaten, die kurz vor Beginn der Oper den Sarg schließen und den Leichnam aus dem Haus transportieren. Im weiteren Verlauf sieht man dann immer wieder in Videoprojektionen, wie sich Männer als eine Art weiße Gespenster über die dunklen Wände bewegen, was den unheimlichen Effekt der Geschehnisse unterstreicht. Die Kostüme von Nicola Reichert sind ähnlich naturalistisch wie das Bühnenbild gewählt und betonen bei jeder einzelnen Figur ihren individuellen Charakter. Während Bernardas vier ältere Töchter dabei alle recht farblos wirken, versucht Adela, sich auch optisch von den Schwestern zu unterscheiden. Zu Beginn verleiht ihr ein fröhliches grünes Kleid eine jugendliche Frische. Im späteren Verlauf trägt sie als einzige Hosen, um zu zeigen, wie sie gegen die autoritäre Herrschaft ihrer Mutter aufbegehrt. Der Unterrock und die Strohreste an ihrem Mantel am Ende des Stückes machen deutlich, dass sie keineswegs als Jungfrau aus dem Leben geschieden ist, wie Bernarda es am Ende formuliert. Die von Hilsdorf als stumme Rolle eingefügte Tochter der Magd Violeta zieht am Ende Adelas grünes Kleid an. Ob das als Hoffnungsschimmer verstanden werden kann oder nur zeigt, dass sich Adelas Geschichte an dieser Figur wiederholen wird, bleibt der Interpretation des Publikums überlassen.

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La Poncia (Sabine Hogrefe, links) und Violeta (Anke Sieloff, rechts) mit María Josefa (Mechthild Großmann, Mitte)

Musikalisch und darstellerisch verlangt das Stück den neun Frauenrollen einiges ab. Im Musiktheater im Revier sind die Partien allesamt großartig besetzt. Da ist zunächst Almuth Herbst als Bernarda Alba zu nennen, die der Figur durch eindrucksvolle Mimik und reduzierte Gestik eine einschüchternde Autorität verleiht. Ihr dunkler Mezzosopran, der sich bruchlos in bewusst schrille Höhen emporschraubt, unterstreicht die Macht und Kompromisslosigkeit dieser Frau auch musikalisch. Mechthild Großmann, die aus ihrer Zeit bei Pina Bausch und in den letzten 20 Jahren als Staatsanwältin Wilhelmine Klemm aus dem Münsteraner Tatort dem Großteil des Publikums bekannt sein dürfte, kann als Idealbesetzung für Bernardas Mutter María Josefa bezeichnet werden. Mit der ihr ganz eigenen Diktion setzt sie die Sprechrolle der Mutter, die sich zwischen Wahnsinn und Demenz bewegt, hervorragend um. Sabine Hogrefe und Anke Sieloff verleihen den beiden Mägden sehr individuelle Züge. Während Hogrefe als die ältere La Poncia schon länger in Bernardas Dienst steht und sich dementsprechend ihrer Herrin gegenüber auch einiges herauszunehmen wagt, gibt Sieloff die untergeordnete Magd, die quasi alles über sich ergehen lassen muss. Wahrscheinlich hat sie auch so Bernardas Mann ertragen, weshalb Hilsdorf in seiner Lesart die uneheliche Tochter eingeführt hat.

Auch die fünf Töchter sind hervorragend besetzt und bekommen durch den Einsatz von fünf unterschiedlichen Klarinetten jeweils eine eigene Stimme. Lina Hoffmann stattet die älteste Tochter Angustias mit weichem Mezzosopran aus und betont optisch und darstellerisch die Farblosigkeit der Figur. Im Grunde genommen ist sie eine alte Jungfer, an der Pepe el Romano nicht wirklich interessiert sein kann. Soyoon Lee legt die zweitjüngste Schwester Martirio mit schneidendem Sopran als verwachsene, missgünstige junge Frau an, die die anderen für ihre eigene Misere verantwortlich macht. In ihrem grenzenlosen Neid scheint sie es zu genießen, ihre jüngere Schwester Adela ins Unglück zu stürzen. Lee präsentiert die Töne so gnadenlos, wie Reimann sie für diese Figur komponiert hat. Katherine Allen gibt der jüngsten Schwester Adela mit hellem Sopran die Frische, die die Figur zu Beginn der Oper besitzt und die ihr im weiteren Verlauf zum Verhängnis wird. Glaubhaft setzt sie stimmlich und darstellerisch um, wie sie allmählich an der Familienstruktur zerbricht und am Ende nur den Freitod als Ausweg sieht. Bele Kumberger und Margot Genet runden als Magdalena und Amelia das Ensemble wunderbar ab. Johannes Harneit präsentiert mit der Neuen Philharmonie Westfalen die sperrige Partitur, die in jedem Moment ganz im Dienst der Atmosphäre auf der Bühne steht, äußerst packend, so dass man nach knapp zweieinhalb Stunden zwar erschöpft, aber trotzdem begeistert ist. Den spärlich besetzten Zuschauersaal hat kaum jemand während der Aufführung verlassen.

FAZIT

Reimanns Oper ist alles andere als leichte Kost, wird von Hilsdorf aber packend in Szene gesetzt und ist, wenn man sich darauf einlässt, großartiges Musiktheater.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Harneit

Inszenierung
Dietrich W. Hilsdorf

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Nicola Reichert

Video
Gregor Eisenmann

Licht
Mario Turco

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Anna-Maria Polke

 

Neue Philharmonie Westfalen

Einlassimprovisation Flügel
Nickolas Kudo
Martin Lijauco
Annette Reifig
Ruud Zielhorst

Bassetthorn
Ana Parra-Navarro

Opernchor des MiR

Statisterie des MiR

 

Besetzung

Bernarda Alba
Almuth Herbst

María Josefa, Bernardas Mutter
Mechthild Großmann

Bernardas Töchter
Angustias

Lina Hoffmann

Magdalena
Bele Kumberger

Amelia
Margot Genet

Martirio
Soyoon Lee

Adela
Katherine Allen

La Poncia, Magd
Sabine Hogrefe

Violeta, Magd
Anke Sieloff

Antonia, ihr Kind
Alena Maaß /
Wilhelmine Nattermann

 


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