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Eine kurze Geschichte (auch) über das Altern
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Bettina Stöß
"Über Dich werden einst Romane und Opern geschrieben werden", prophezeit der flirtende junge Fuchs der Füchsin Schlaukopf. Streng genommen ist es kein Roman, sondern eine Folge von Bildergeschichten, zunächst in einer Brünner Tageszeitung, dann 1920 auch als Buchform erschienen, eine Art graphic novel also, die Leoš Janaček 1924 als Grundlage seiner Oper Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf diente (der verniedlichende deutsche Titel Das schlaue Füchslein verschiebt die Akzente unangemessen Richtung Kinderstück oder Fabel, was es beides nicht ist). Janaček weitet die episodenhafte Geschichte zu einem großen Hymnus an das Werden und Vergehen der Natur, gegenüber dem das individuelle Schicksal klein und unbedeutend wirkt (darin wird Janaček zum Antipoden seines Zeitgenossen Giacomo Puccini). Der Tod der Füchsin durch den Wilderer Haraschta wird nicht ohne kurze Trauer in der Musik, aber mit einem schulterzuckenden "so ist es eben" abgetan. In der Inszenierung von Michael Schulz, dem Intendanten des Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR), wendet sich die eben noch als fröhliche Familie herumtänzelnde Schar von Fuchskindern schnell und fast teilnahmslos ab. Der Förster hat das Füchslein Schlaukopf gefangen
Nicht nur hier findet Schulz eine Erzählweise, die Janačeks Intention ohne Pathos genau nachzeichnet. Es sind erst einmal die hinreißenden Kostüme von Martina Feldmann, die unverkitscht und mit feiner Ironie die Tiere erkennbar als solche darstellt, gleichwohl in unterschiedlichen Abstufungen als Zwitterwesen mit mehr oder weniger menschlichen Erscheinungsformen. Die liebevolle Gestaltung von Schnecke (die eigentlich gar nicht vorkommt) oder Grashüpfer verorten die Geschichte in einer Theatermärchenwelt, ohne in falsche Niedlichkeit zu verfallen, zumal der Wald zwar einigermaßen realistisch, aber nicht idealisiert dargestellt ist (Bühne: Heike Scheele) - ein abgesägter Baumstumpf deutet die Eingriffe des Menschen an. Die Füchsin erscheint zunächst als lausbubenhaft freches Mädchen im Geiste Astrid Lindgrens, später als elegante junge Frau (da wandelt sich das Fell zum Pelzmantel), schließlich mit leichten, aber markanten Spuren des Alterns. Hier gelingt es fantasievoll und unaufdringlich, allein schon in den Kostümen eine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Kabinettstückchen sind das Kostüm des eitlen Hahns, der sich aufführt wie ein Fabrikchef (der er ja auch irgendwie ist) oder des auf andere Weise eitlen Fuchses mit schicker Haartolle. Die Inszenierung spielt an vielen Stellen das satirische Potential der Oper ganz hervorragend aus. Im Wirtshaus: (von links) Pfarrer, Förster und Schulmeister
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die Füchsin wird als Kind vom Förster gefangen, von dessen Kindern gequält, kann fliehen (und tötet dabei Hahn und Hühner), verliebt sich in den Fuchs und heiratet ihn, bekommt Kinder und wird vom Wilderer Haraschta erschossen. Parallel dazu sinnieren der Förster, der nach einer unglücklichen Liebschaft aus dem Dorf vertriebene Pfarrer und der unglücklich verliebte Schulmeister über das Leben und noch mehr über die Liebe. Die kleinteilige und collagenhafte Struktur unterstreicht die Regie durch einen schwarzen Vorhang zwischen den vielen kurzen Szenen, der nicht theatertypisch auseinander fährt, sondern einen rechteckigen Bildausschnitt freigibt, geradezu auf- und abblendet - und damit betont, dass man kleine Momentaufnahmen aus einem großen Kosmos zu sehen bekommt. Oft befindet sich in diesem Vorhangausschnitt zunächst eine bürgerliche Holztür, und da bleibt offen, ob wir aus der bürgerlichen Welt hinaustreten in die Natur oder doch hinein in die Natur, wie sie sich der Bürger Janaček erträumt - eine von vielen geschickten Ambivalenzen der Regie. Manches erzählt Schulz lässig nebenbei. Wenn die Kinder des Försters mit Pizza und Kaltgetränk im XXXL-Pappbecher in den Wald kommen und ihren Müll dort liegen lassen, dann zeigt das unaufdringlich eine Entfremdung von der Natur; und wenn das gute alte Wirtshaus sich mit Spielautomat vorsichtig modernisiert und auch hier fast food Einzug hält, dann bemerkt man einen Zeitenwandel. Fuchshochzeitsnacht
Geschickt agieren Schulz, Scheele und Feldmann auf einer symbolischen Ebene. Nachdem im Gespräch zwischen Förster und Schulmeister dessen angebetetes Mädchen Terynka (die nie auftritt) als Sonnenblume bezeichnet wird, erscheint auf der Bühne die überdimensionale Blüte einer Sonnenblume - die fällt nach einem Schuss herab, was man als postromantische "Eroberung" einer Frau verstehen kann; die Blüte wird zum Liebesbett des gebärfreudigen Fuchspaares, und im pantheistischen Finale wird der Förster darin versinken und mit der Natur verschmelzen. Ein anderes Moment ist der Dachsbau, aus dem die Füchsin den ursprünglichen Bewohner vertreibt (wie in der Menschenwelt der Pfarrer vertrieben wird). Für diesen Dachsbau steht eine funktionslose Kirchentür, und so bleibt auf subtile Weise die Kirche im Stück präsent - auch als Kirche, die ihre Rolle in dieser Naturwelt sucht. Aber die Regie möchte nicht belehren und nicht erklären, sie spielt elegant mit ihren faszinierenden Mitteln und vertraut dem Werk. Und der Musik. Die Füchsin Schlaukopf wird vom Wilderer Haraschta erschossen
Die bietet mit Johannes Martin Kränzle in der zentralen Rolle des Försters einen Sänger auf, der normalerweise an sehr viel größeren Häusern zu hören ist, sich hier unprätentiös in den Dienst des Komponisten stellt und mit klangschönem, nie auftrumpfenden Bariton der Figur einen melancholischen Anstrich gibt. Den Förster in der tschechischen Originalsprache singen zu können, das war Wunsch des Sängers und Anlass für das Engagement am Mir (wo er sich mit Ensemblemitglied Piotr Prochera abwechselt). Bele Kumberger singt die Füchsin Schlaukopf mit schlankem, eine Spur zu kleinem, lyrischem Sopran; Lina Hoffmann gibt einen auch stimmlich attraktiven Fuchs. Mit einem zuverlässigen Ensemble sind die übrigen Partien solide besetzt. Am Pult der guten Neuen Philharmonie Westfalen trifft Dirigent Rasmus Baumann ausgezeichnet Janačeks lyrisch-schwärmerischen Tonfall, geht sensibel auf die Stimmungswechsel ein und vermeidet romantisches Pathos. Problematisch ist die Koordination mit dem schön klingenden, aber im Tempo ungenauen Chor hinter der Bühne. Insgesamt aber ergänzen sich Musik und Szene ganz hervorragend.
Dem Musiktheater im Revier gelingt eine sehr charmante, vielschichtige, spielfreudige, kurz: unbedingt sehenswerte Produktion mit szenisch wie musikalisch vielen Zwischentönen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Der Förster
Das schlaue Füchslein
Frau Försterin / Fuchs
Der Pfarrer / Dachs
Schulmeister / Hahn / Mücke
Dackel
Haraschta
Frau Pasek / Schopfhenne / Eule
Herr Pasek / Frosch
Pepik / Grille / Enkel des Froschs
Frantik
Fuchskinder
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