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Abstrakter Tanz
mit und ohne Netz Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina StößMythologische Gestalten zieren die Titel der Tanzabende, die Ballettdirektor Giuseppe Spota in dieser Spielzeit mit der MiR Dance Company präsentiert, und suggerieren eine Art Bindeglied zwischen den einzelnen Produktionen. Nachdem der erste Abend Aurora nichts mit der Göttin der Morgenröte zu tun hatte und in Odysseus der griechische Held nicht aufgetreten ist, gewährt auch der dritte Tanzabend dieser Spielzeit unter dem Titel Demetra einen sehr abstrakten Blick auf die Göttin der Fruchtbarkeit, des Getreides und des Ackerbaus und beschäftigt sich in zwei Choreographien mit einer vom Mythos losgelösten Perspektive auf den Kreislauf der Natur. Eigentlich sollte der Doppelabend bereits am 18. März 2023 im Kleinen Haus zur Uraufführung gelangen. Wegen Erkrankungen im Ensemble konnte in den ersten beiden Veranstaltungen allerdings nur der zweite Teil, Fields of Asphodel, in einer zu einer "abendfüllenden Vorstellung" ausgeweiteten Produktion aufgeführt werden. Die Uraufführung des ersten Teils, Crossed in Gold, und damit die eigentliche Premiere des kompletten Abends erfolgte erst knapp zwei Wochen später am 30. März 2023. Crossed in Gold: Auf der Suche nach dem Wohlstand: Marie-Louise Hertog (vorne) und Yu-Chi Chen (hinten) Der erste Teil des Abends stammt von der jungen israelischen Choreographin Anat Oz, die nach ihrem Studium in renommierten zeitgenössischen Kompanien wie der Kibbutz Contemporary Dance Company, Roy Assaf Dance und Inbal Dance Theater tanzte, bevor sie 2020 die projektbasierte Tanzkompanie ANA mit Sitz in Israel gründete. Beim 35. Internationalen Wettbewerb für Choreographie Hannover wurde sie mit zwei Produktionspreisen ausgezeichnet, und für ihr Solowerk Third erhielt sie beim 24. Internationalen Solo-Tanz-Theater Stuttgart den zweiten Preis. In Gelsenkirchen setzt sie sich in ihrer neuen Choreographie Crossed in Gold mit dem Streben nach Reichtum auseinander und analysiert dabei den Umgang mit der Natur. So steht es zumindest im Programmheft. Um diese Aussage in der Kreation wiederzuerkennen, benötigt man schon sehr viel Fantasie. Crossed in Gold: Ensemble im Geldregen, im Hintergrund: Dex van ter Meij Zunächst sieht man Inwoong Ryu in einem hellen Anzug auf der Bühne. Hinter ihm befindet sich eine schwarze Gestalt (Eleonora Robson), die wie eine Art Schatten an ihm haftet und die Ryu immer wieder abzuschütteln versucht. In einer offenen Tür im Hintergrund stehen drei weitere Tänzer*innen. Zwei von ihnen (Marie-Louise Hertog und Yu-Chi Chen) tragen ebenfalls einen hellen Anzug, während der dritte Tänzer (Dex van ter Meij) nur mit einer großen weißen Unterhose bekleidet ist. Im weiteren Verlauf nehmen auch Hertog und Chen die Bühne ein. Die Bewegungen sind genauso abstrakt wie die Laute, die die sie dabei als Musikersatz von sich geben. Zwischendurch fallen auch vereinzelte Wörter wie "Love" oder "Smile", jedoch ohne dass sich darin irgendein Sinn erkennen lässt. Welche Funktion van ter Meij hat, bleibt unklar. Hier hätte es sicherlich einer erläuternden Einführung bedurft, um das Publikum nicht vollkommen ratlos zurückzulassen. Im zweiten Abschnitt regnen dann plötzlich Geldscheine von oben herab. Soll das eine Utopie von einer besseren Welt darstellen? Die schwarze Gestalt ist verschwunden. Die Tänzer*innen treten nun in hautfarbenen engen Kostümen auf, wirken also gewissermaßen nackt, was als Kontrast zu den Geldscheinen verstanden werden kann. Einen Großteil der Musik für diese Uraufführung hat Anat Oz gemeinsam mit dem israelischen Komponisten Ari Jacob geschaffen. Die abstrakten Klänge erinnern aber weniger an Musik als vielmehr an eine Aneinanderreihung von Lauten. Auch Frédéric Chopins "Dumka" bringt nicht viel Beruhigung für die Ohren. Die fünf Tänzer*innen gehen bewegungstechnisch bis an ihre Grenzen, können aber bei allem körperlichen Einsatz nicht verhindern, dass diese knapp 35 Minuten sehr lang werden. Fields of Asphodel: Träge Masse auf der Asphodeloswiese (Ensemble) Nach der Pause haben sich die Reihen im Publikum ein wenig gelichtet, was schade ist, da die Choreographie von Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos wesentlich greifbarer ist. Der isländische Tänzer und Choreograph Pedersen, der ab der Spielzeit 2023/24 die Leitung der Tanzsparte am Theater St. Gallen übernehmen wird, setzt sich mit seinem spanischen Kollegen Javier Rodríguez Cobos, der seinen Schwerpunkt ursprünglich auf den Flamenco gelegt hat, in der Kreation Fields of Asphodel mit der Asphodeloswiese auseinander. Sie markiert den Bereich der Unterwelt, in dem sich die Seelen aufhalten, die es weder ins Elysium geschafft haben, noch ewige Höllenqualen erleiden müssen. Es handelt sich also um die sogenannten "Durchschnittsmenschen", die aber vielleicht dennoch das Bestreben haben, dieser Durchschnittlichkeit zu entkommen. Aus diesem Grund tragen die sieben Tänzer*innen recht unterschiedliche, farbenfrohe Kostüme, die jedem einzelnen individuelle Züge verleihen. Die Bühne wird von einem riesigen Netz dominiert, das zunächst auf dem Boden liegt und an mehreren Seilen befestigt ist, die zu den einzelnen Seiten der Bühne führen. Fields of Asphodel: Zu neuem Leben erwacht (Ensemble) Wenn das Licht verlischt, sieht man Joonatan Zaban Türen an den Bühnenrändern öffnen, aus denen jeweils ein weiterer Tänzer bzw. eine weitere Tänzerin herausfällt. Diese Tänzer*innen schleppt er zur Mitte auf das Netz. Hier mag man an den Fährmann Charon denken, der die verstorbenen Seelen über den Fluss Styx transportiert. Doch nachdem die Tänzer*innen auf das Netz gelegt worden sind, fangen sie an sich zu bewegen. Zunächst wirken die Bewegungen recht unkoordiniert. Wie Würmer scheinen sie diesem Ort entfliehen zu wollen, werden von Zaban aber immer wieder auf das Netz zurückgebracht. Dann breitet er das Netz über die ganze Bühne aus. Die Tänzer*innen bewegen sich nun unter das Netz, finden in dem Netz zu neuen Konstellationen zusammen und erwachen gewissermaßen zu neuem Leben. Allmählich wird das Netz in die Höhe gezogen und gibt den Tänzer*innen mehr Spielraum, den sie mit kraftvoll wirkenden Bewegungen ausfüllen. Eine Tänzerin erklimmt währenddessen das Netz. Nachdem die anderen sechs Tänzer*innen sich zu einer Art Schiff formiert haben, lässt die Tänzerin, die oben auf dem Netz wie eine Göttin der Unterwelt thront, durch diverse Geräusche dieses Gebilde in Einzelteile zerfallen und dirigiert fortan die Bewegungen der übrigen Tänzer*innen. Doch die anderen wollen sich nicht beherrschen lassen und versuchen ebenfalls, das Netz emporzuklettern. Es gibt einen Wechsel an der Spitze, und schließlich geht jeder seinen eigenen Weg. Anschließend schreiten die sieben Tänzer*innen in recht synchronen Bewegungen als Gruppe über die Bühne, bis die einzelnen Tänzer und Tänzerinnen ausscheren und wieder hinter der Tür verschwinden, durch die sie zu Beginn gekommen sind. Schließlich steht Zaban wieder allein auf der Bühne, und das Netz senkt sich langsam herab. Theoretisch könnte sich die Geschichte nun wie ein Kreislauf wiederholen. Im Gegensatz zum ersten Teil vergeht die Zeit hier wie im Flug. FAZIT Die MiR Dance Company präsentiert zwei abstrakte Kreationen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Dabei erschließt sich der zweite Teil wesentlich besser als der erste Teil und lässt auch einen klareren Bezug zum Titel des Tanzabends erkennen.
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ProduktionsteamLicht Ton Dramaturgie Crossed in Gold
Choreographie, Bühne und Kostüme Tänzerinnen und Tänzer*rezensierte Aufführung Yu-Chi Chen Fields of Asphodel Choreographie, Bühne und Kostüme Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung *Konstantina Chatzistavrou
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