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Fragen wir doch
einfach mal den Wolkenstein Von Thomas Molke / Fotos:© Sascha KreklauWenn ein Opernhaus die Spielzeit mit einem 2019 uraufgeführten Werk eröffnet, denken manche vielleicht an modernes Musiktheater mit bisweilen nicht gerade gefälliger Musik. Diese Sorge ist beim Musiktheater im Revier aber vollkommen unbegründet. Auf dem Programm steht nämlich die am 31. Januar 2019 am Staatstheater am Gärtnerplatz uraufgeführte Revueoperette Drei Männer im Schnee, die Thomas Pigor mit viel Charme und Witz als Auftragswerk nach Erich Kästners 1934 erschienener gleichnamigen Verwechslungskomödie kreiert hat. Kästner, der zu dieser Zeit bereits bei den Nationalsozialisten in Ungnade gefallen war, wandelte den Roman im gleichen Jahr unter dem Pseudonym Robert Neuner in eine Theater-Komödie in vier Akten mit dem Titel Das lebenslängliche Kind um, und auch das Kino entdeckte schnell das Potenzial, das dieses Stück enthielt. Erinnert sei an den österreichischen Schwarzweißfilm von 1955 mit Paul Dahlke als Konzernchef, der hier abweichend vom Roman noch wie im Theaterstück Eduard Schlüter heißt, Claus Biederstädt als mittellosem Dr. Fritz Hagedorn und Günter Lüders als pfiffigem Kammerdiener. Auch der 1974 erschienene deutsche Spielfilm mit Klaus Schwarzkopf, Thomas Fritsch und Roberto Blanco erfreute sich großer Beliebtheit. So hat Thomas Pigor mit Benedikt Eichhorn, Konrad Koselleck und Christoph Israel das Stück nun mit eingängigen Melodien, die stilistisch auch aus der Entstehungszeit des Romans stammen könnten, als schmissige Revueoperette herausgebracht, die auch für ein Silvesterprogramm wärmstens zu empfehlen ist. Heiligabend im Hause Tobler: von links: Eduard Tobler (Joachim G. Maaß) Kammerdiener Johann Kesselhuth (Mark Waigel), Hilde Tobler (Scarlett Pulwey) und Hausdame Claudia Kunkel (Christa Platzer) Die Geschichte beginnt Weihnachten 1932 in Berlin und führt zum Jahreswechsel ins Grandhotel Bruckbeuren nach Tirol. Eduard Tobler, Direktor eines erfolgreichen Konzerns für Elektrogeräte, kürt auf der Weihnachtsfeier der Belegschaft die Sieger eines Preisausschreibens für einen neuen Firmen-Slogan. Der erste Preis geht an den mittellosen Werbefachmann Dr. Fritz Hagedorn, der statt eines 14-tägigen Aufenthalts inklusive Verköstigung im österreichischen Grandhotel viel lieber eine Festanstellung hätte. Mit dem zweiten Preis, einem 10-tägigen Aufenthalt in dem gleichen Hotel, wird ein gewisser Schulze ausgezeichnet, hinter dem sich der Firmen-Chef selbst verbirgt, um im Grandhotel in der Verkleidung eines armen Mannes neue Erfahrungen zu sammeln. Seine Haushälterin Claudia Kunkel informiert das Hotel allerdings im Vorfeld über die Ankunft des Millionärs inkognito. Fälschlicherweise wird jedoch Hagedorn für den vermögenden Gast gehalten und mit größten Ehren hofiert, während Tobler selbst sehr schlecht behandelt wird. Hagedorn solidarisiert sich mit dem als Schulze getarnten Firmenchef, was Tobler sehr zu schätzen weiß. Es kommt zu einer innigen Freundschaft zwischen den beiden Männern und Toblers Kammerdiener Johann Kessehuth, der sich im Grandhotel als reicher Mann einquartiert hat. Nach einigen Verwicklungen, die am Silvesterabend durch erhöhten Alkoholgenuss außer Kontrolle geraten, findet alles noch zu einem guten Schluss. Hagedorn verliebt sich in Toblers Tochter Hilde und bekommt einen Posten als neuer Kreativdirektor. Hilde wird zur Geschäftsführerin ernannt. Johann übernimmt die Leitung des Grandhotels, das Tobler zwar kaufen will, aber nicht kann, weil es ihm bereits gehört. Tobler bekennt seine Liebe zu Claudia und Johann seine Gefühle für den Skilehrer Toni Graswander. Im Grandhotel warten Portier Polter (Philipp Kranjc, links), Direktor Kühne (Michael Schulz, Mitte) und Frau Calabré (Nini Stadlmann) auf die Ankunft des avisierten Millionärs. Britta Tönne hat für die zahlreichen Szenenwechsel ein flexibles Bühnenbild entwickelt, das unter Einsatz der Drehbühne schnelle Umbauten ermöglicht, Mit beweglichen Wänden, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden, verwandelt sich so das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer Toblers in eine mondäne Hotelhalle mit Klavier, Rezeption und riesigem Kronleuchter. Dabei wird das künstlerisch geformte "T" des Firmennamens Tobler ebenfalls in die Struktur der Wände übernommen. Die österreichische Bergwelt wird relativ abstrakt gehalten. Der silbern glitzernde Vorhang im Hintergrund der Bühne, hinter dem auf der Drehbühne die einzelnen Bühnenelemente verschwinden, deutet einerseits eine eiskalte Winterlandschaft an, die andererseits auch den Revue-Charakter des Stückes unterstreicht. Aus dem Schnürboden wird ein leicht gezackter himmelblaue Prospekt herabgelassen, der den Panoramablick in den Bergen bei gutem Wetter andeutet, und durch graue Wolken ausgetauscht, wenn sich das Wetter verschlechtert. Mit großer Liebe zum Detail wird auch eine rote Gondel aufgefahren, mit der Hilde und Fritz dem Trubel des Hotels entfliehen wollen, um Ruhe auf dem Gipfel des Wolkensteins zu finden. Auch die Kostüme von Beata Kornatowska sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und passen wunderbar in die Zeit, in der die Geschichte spielt. Sandra Wissmann vertraut auf den Charme und die Komik des Stückes und setzt die Figuren in einer ausgeklügelten Personenregie in Szene, die vom spielfreudigen Ensemble wunderbar umgesetzt wird. Männerfreundschaft im Schnee: von links: Johann (Mark Waigel), Fritz (Sebastian Schilling) und Eduard (Joachim G. Maaß) Da ist zunächst "Urgestein" Joachim G. Maaß zu nennen, der in die Rolle des Eduard Tobler schlüpft. Mit wunderbarer Intonation und großartiger Komik macht er deutlich, wieso Kästner sein Theaterstück Das lebenslängliche Kind genannt hat. Einerseits gibt er sich absolut konservativ und verschließt sich jedweden Neuerungen. So merkt er bei der Weihnachtsfeier als verkleideter Weihnachtsmann überhaupt nicht, wie weit er sich bereits von seiner Belegschaft entfernt hat, und schenkt seiner Tochter kein Gehör, wenn sie ihm einen Jahrhundertdeal mit dem Emir von Bahrein vorschlägt. Erst als er im Emir am Ende des Stückes einen alten Studienkollegen wiedererkennt, lässt er sich auf den Vorschlag ein, unterzeichnet den Vertrag und ernennt seine Tochter zur zeichnungsberechtigten Geschäftsführerin. Andererseits spielt er mit großer Freude den Kindskopf, der sich als vermeintlicher mittelloser Schulze im Hotel schlecht behandeln lässt. Hier erkennt man, dass Tobler bei aller Schrulligkeit eigentlich doch ein sehr liebenswerter Charakter ist. Scarlett Pulwey legt seine Tochter Hilde recht kämpferisch an. In der Firma macht sie sehr deutlich, dass sie genau weiß, wie man die Belegschaft zu führen hat. Das muss auch Hagedorn spüren, wenn er vergeblich um Auszahlung des Preisgeldes oder um eine Anstellung bittet. Das bringt ihr bei ihm den Beinamen "Subalterne" ein, was dann am Ende, nachdem die beiden zueinander gefunden haben, in einem Song mit dem wunderbar albernen Titel "Komm unter die Laterne, süße kleine Subalterne" umgesetzt wird. Sebastian Schilling spielt den mittellosen Fritz Hagedorn mit viel Herz, wobei es äußerst niedlich ist, wenn er stets seine "Mutti" anrufen geht. Stress zwischen Hilde (Scarlett Pulwey) und Fritz (Sebastian Schilling, Mitte) (rechts: Page Beppi (Soufjan Ibrahim)) Mit Christa Platzer kehrt als Hausdame Claudia Kunkel ebenfalls eine "alte" liebgewonnene Bekannte auf die Bühne des Musiktheaters im Revier zurück. Mit trockener Komik spielt sie die launenhafte Haushälterin, die zwar mit dem Kammerdiener auf Kriegsfuß steht, zum Direktor Tobler allerdings ein mehr als inniges Verhältnis unterhält. Wenn sie dann am Silvestermorgen mit einer ganzen Horde von Liebhabern aus ihrem Hotelzimmer schleicht, beweist Platzer eine ganz andere humorvolle Seite. Mark Weigel spielt sich als Kammerdiener Johann mit Platzer wunderbar die Bälle zu und entwickelt auf sehr glaubhafte Weise und ohne Überzeichnung, wie sich die zarte Liebe zum Skilehrer Toni Graswander entwickelt. Tobias Glagau begeistert als Toni durch grandiosen österreichischen Dialekt und zunächst recht stereotype Darstellung eines Skilehrers, so dass das plötzliche Outing Tonis mehr als überraschend kommt. Aber selbst wenn Weigel ihn beim Song "In Berlin, am schönen Nollendorfplatz" mehr oder weniger verführt, bewahrt sich Glagau eine wunderbar humorvoll gespielte Einfachheit. Nini Stadlmann gibt alternierend mit Anke Sieloff die mannstolle Frau Calabré, die im Grandhotel ständig auf Millionärsfang geht und sich bei Fritz Hagedorn mächtig verkalkuliert hat. Mit großem körperlichen Einsatz gestaltet sie die Szene in der Gondel, wenn sie Schilling als Hagedorn zu verführen versucht. Skikurs mit Toni Graswander (Tobias Glagau) (links: Mrs. Sullivan (Tina Podstawa), rechts: Frau Calabré (Nini Stadlmann)) Auch Intendant Michael Schulz stellt sein schauspielerisches und musikalisches Talent unter Beweis. Passenderweise übernimmt er die Rolle des Hoteldirektors Kühne, der sich mit der schlechten Behandlung Schulzes sein berufliches Grab schaufelt. Eine Idealbesetzung ist auch Philipp Kranjc als Portier Polter. Mit welchem Wiener Schmäh er die Arroganz des Portiers zelebriert, ist wirklich herrlich. Dabei punktet er auch noch mit profundem Bass in dunklen Tiefen, wenn er Hilde am Neujahrsmorgen im Lied "Der Berg ist leer" empfiehlt, auf den Wolkenstein zu fahren. Der Opernchor des MiR unter der Leitung von Alexander Eberle zeigt in zahlreichen kleinen Rollen große Spielfreude. Für die Choreographien, die Seân Stephens punktgenau entwickelt hat, ist mit Soufjan Ibrahim, Marleen Jakob, Svitlana Peter, Tina Podstawa, Gianina Risse, Carlo Schiavone, Benjamin Tweesmann und Frank Wöhrmann ein achtköpfiges Ensemble zusammengestellt worden, das mit dem übrigen Ensemble ebenfalls großartige Momente liefert. Zu nennen sind hier vor allem die großartige Skistunde mit Glagau als Toni Graswander, wenn alle auf den Takt mit den Holzskiern auf der Bühne agieren, oder Wöhrmanns kleine Stepp-Einlage als Tonis Bruder Sepp. Peter Kattermann taucht mit der Neuen Philharmonie Westfalen gekonnt in die unterschiedlichen Musikstile von Walzer bis Jazz und Swing ein und arbeitet die eingängigen Melodien großartig heraus. So bleibt vor allem der Song "Fragen wir doch einfach mal den Wolkenstein" im Ohr, der als Zugabe nach dem Schlussapplaus noch einmal gespielt wird und eigentlich genau das richtige Motto für diesen Abend bringt: Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, aber genießen wir doch zumindest den Moment.
FAZIT Mit dieser schwungvollen Revueoperette gelingt dem Musiktheater im Revier ein großartiger Saison-Einstieg, der einfach nur gute Laune verbreitet. Wer am Silvesterabend mal nicht Die Fledermaus sehen möchte, dürfte hier ebenfalls auf seine Kosten kommen. Aber auch an anderen Tagen kann man diese Vorstellung wärmstens empfehlen.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Choreographie Bühne Kostüme Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen Opernchor des MiR
Besetzung*rezensierte Aufführung Eduard Tobler Hilde Tobler, seine Tochter Dr. Fritz Hagedorn Johann Kesselhuth, Toblers
Kammerdiener Claudia Kunkel, Hausdame bei Toblers Frau Calabré Hoteldirektor Kühne Portier Polter Toni Graswander Sepp Graswander Beppi Mrs. Sullivan Kellner Emir von Bahrein Seidelbast / SA-Mann SA-Mann Herr Calabré Ensemble
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