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Griechischer
Held als abstraktes Konstrukt Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina StößWährend die letzten Tanzabende der MiR Dance Company von Ballettdirektor Giuseppe Spota gemeinsam mit einer weiteren Gastchoreographin jeweils zwei unterschiedliche Kreationen zu einem Oberthema präsentiert haben, wählt Spota für den ersten Tanzabend dieser Spielzeit im Großen Haus einen etwas anderen Ansatz. Zwar lädt er mit Felix Landerer erneut einen Gastchoreographen ein, konzipiert dieses Mal jedoch mit ihm zusammen eine gemeinsame Choreographie, für die Christof Littmann eigens die Musik komponiert hat, die von Musiker*innen der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Askan Geisler aus dem Orchestergraben live begleitet wird. Wer aber jetzt unter dem viel versprechenden Titel Odysseus ein großes Handlungsballett über den griechischen Helden und seine Irrfahrten, von denen der antike Dichter Homer in 24 Gesängen in der Odyssee berichtet, erwartet, wird enttäuscht. Darum geht es Spota und Landerer in ihrer Choreographie nämlich nicht. Vielmehr untersuchen sie die grundlegenden Ideen, die hinter dem Mythos stehen: Wie verändert eine Reise ins Ungewisse mit dem Durchleben zahlreicher Gefahren den Menschen? So kann man, wenn man die antike Geschichte gut kennt, zwar in einzelnen Bildern Szenen aus der Odyssee wiedererkennen, für das Geschehen auf der Bühne aber auch eigene und andere Interpretationsansätze finden. Ensemble Spota hat dazu einen abstrakten Bühnenraum entworfen, der durch Einsatz der Drehbühne und besondere Lichteffekte (Mario Turco) immer wieder neue Räume und neue Situationen entstehen lässt. Das Bühnenbild besteht aus mehreren aneinandergesetzten Rampen, die unterschiedlich hoch sind und von der anderen Seite über eine Leiter erklommen werden können. Einige dieser Rampen ermöglichen es den Tänzerinnen und Tänzern, nach oben emporzusteigen, andere wiederum dienen nur dazu, auf ihnen wie auf einer Rutsche hinabzugleiten. Sicheren Halt bieten sie nicht und unterstreichen die ungewissen Wege, die die Tänzerinnen und Tänzer, oder eben Odysseus und seine Gefährten, auf den Irrfahrten einschlagen. Die rückseitigen Leitern sind durch Gerüste verstärkt, in denen mehrere Neonröhren untergebracht sind, die mal in gleißendem Weiß, dann in blutigem Rot erstrahlen, mal flackern und damit eine enorme Unruhe verbreiten. Diese stets neuen Bilder führen bei den Tänzerinnen und Tänzern zu bestimmten Verhaltensweisen, die sich teilweise im Mythos verorten lassen. Die Kostüme, für die ebenfalls Spota verantwortlich zeichnet, sind in Weiß gehalten und erinnern ein wenig an klassische griechische Bühnengewänder. Außerdem bilden sie einen Kontrast zur dunkel gehaltenen Bühne. Inwoong Ryu (vorne) als Beobachter mit dem Ensemble Für die Musik haben Spota und Landerer im Vorfeld Stichworte gesammelt, die Littmann als Motive in seine Komposition hat einfließen lassen. Dabei sind insgesamt acht Sätze entstanden, die teilweise nahtlos ineinander übergehen und mal recht melodisch klingen, sich in einem anderen Moment aber nur aus Soundeffekten zusammensetzen, die vom Band eingespielt werden. Diese elektronischen Sounds werden mit dem Spiel der Orchestermusiker*innen aus dem Graben gemischt und bilden eine Einheit, die von den Tänzerinnen und Tänzern in unterschiedlichen Szenen umgesetzt wird. Dabei findet die Company zu einer modernen Ausdrucks- und Bewegungssprache, die zwischen absolut synchronen Bewegungen und individueller Körpersprache changiert und damit unterstreicht, dass die Menschen mal ihre Ziele gemeinsam verfolgen und dann wieder ganz eigene Wege gehen. Die eigenen Wege führen meistens dazu, dass das Ensemble zerfällt, so wie Odysseus' Gefährten nach der langen Odyssee ebenfalls alle auf der Strecke geblieben sind. Inwoong Ryu (rechts) und Simone Frederick Scacchetti (links) Zu Beginn sieht man eine einsame Tänzerin (Holly Brennan), die mit gesenktem Kopf auf der Bühne kniet, während man beim Orchester noch das Gefühl hat, dass es sich einspielt. Plötzlich verstummt die Musik. Inwoong Ryu tritt als eine Art Beobachter auf, fordert das Orchester auf zu spielen und versucht, Brennan aus ihrer Lethargie zu lösen. Soll Brennan Penelope darstellen, die insgesamt 20 Jahre auf die Rückkehr ihres Gatten Odysseus gewartet hat und während dieser Zeit häufig die Hoffnung auf seine Rückkehr aufgegeben hat? Wenn die Musik einsetzt, erhebt sich Brennan langsam und schreitet auf eine Rampe im Hintergrund zu. Hinter der Rampe sieht man die übrigen Tänzerinnen und Tänzer, die die Leitern emporklettern, um in Brennans "Reich" einzudringen. Handelt es sich um die Freier, die Penelope bedrängen und um ihre Hand bzw. das Königreich von Ithaka werben? Oder sind es Odysseus' Gefährten, die die Stadtmauern Trojas erklimmen, um die Stadt mit Hilfe des Trojanischen Pferdes zu erobern? Die Choreographie lässt diese Frage offen, zeigt lediglich Menschen, die Schwierigkeiten haben, die Rampen, die in dieser Position auf die Bühne führen, hinabzugleiten und die in dieser neuen Welt nicht glücklich werden. Im Anschluss bewegen sie aich auf allen Vieren, wie die Schweine, in die die Zauberin Kirke Odysseus' Gefährten verwandelt hat, nachdem diese ihr zu nahe gekommen sind. Chiara Rontini und Alessio Monforte Später erheben sie sich und bilden mit synchronen Bewegungen eine Gemeinschaft. Dabei rufen sie zunächst die einzelnen Buchstaben und dann den Namen ihres Anführers Odysseus. Wieso sie die Buchstaben jedoch Englisch aussprechen und dann trotzdem die deutsche Form Odysseus wählen, ist fraglich. Hier wäre es stimmiger gewesen, bei der englischen Version "Ulysses" zu bleiben. Ob Odysseus als Person an diesem Abend auftritt, ist Ansichtssache. Im Programmheft wird keiner der Tänzer als Odysseus ausgewiesen, dennoch hat man bei einigen Szenen den Eindruck, dass einzelne Tänzer den griechischen Helden verkörpern. So sieht man in einer Szene Inwoong Ryu als Beobachter Simone Frederick Scacchetti das Gerüst emporziehen, als ob er den Helden aus einer brenzligen Lage befreit. In einer anderen Szene steht ein Tänzer zitternd im Gerüst zwischen den Neonlampen, während die Musik an den verführerischen Gesang der Sirenen erinnert. Hier meint man, den an einen Mast gefesselten Helden zu erkennen, der versucht, den Sirenen zu widerstehen. Ein Pas de deux ist Alessio Monforte und Chiara Rontini gewidmet. Ob es sich hierbei um Calypso handelt, bei der Odysseus für einige Zeit gestrandet ist und mit der ihn eine leidenschaftliche Liebe verband, ist Interpretationssache. Penelope ist es wahrscheinlich nicht. Sie tritt nämlich am Ende wieder auf und ist immer noch allein. Der Anfang wiederholt sich, während der Orchestergraben hochgefahren wird und der Vorhang sich langsam senkt. Das Premierenpublikum bedankt sich für diese abstrakte Darbietung mit großem Jubel. FAZIT Mit viel Fantasie erkennt man Szenen aus dem Mythos, die den Titel des Ballettabends rechtfertigen. Anhänger*innen des modernen Ausdruckstanzes können sich aber auch ihre eigenen Vorstellungen zu den Szenen machen und dabei auf ihre Kosten kommen.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Ton
Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen
Tänzerinnen und TänzerHolly Brennan
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