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Heute nicht
Falstaff Von Thomas Molke / Fotos:© Isabel Machado RiosDen Begriff der komischen Oper bringt man eigentlich nicht mit Giuseppe Verdi in Verbindung, wenn man einmal von seinem Spätwerk Falstaff absieht. Doch bereits zu Beginn seines Opernschaffens hat er im Stil Rossinis bzw. Donizettis ein Melodramma giocoso komponiert, das allerdings die Erwartungen des damaligen Publikums nicht erfüllte: Un giorno di regno. Nach dem Achtungserfolg mit seiner ersten Oper Oberto conte di San Bonifacio 1839 in Mailand hatte der junge aufstrebende Verdi vom Impresario der Scala, Bartolomeo Merelli, den Auftrag für gleich drei weitere Opern erhalten, die in den folgenden zwei Jahren zur Uraufführung kommen sollten. Als erstes war eine Opera buffa geplant. Verdi war mit den ihm vorgelegten Libretti nicht zufrieden und wählte nach eigener Aussage das "am wenigsten schlechte" aus. Hinzu kam, dass er zu der Zeit mehrere schwerere Schicksalsschläge erlitt. Nachdem kurz zuvor bereits seine beiden Kinder verstorben waren, verlor er auch noch seine erste Frau Margherita, die während der Arbeit an der Oper schwer erkrankte. Verdi war also keineswegs in der Stimmung für ein komisches Werk. Das mögen die Gründe dafür gewesen sein, dass das Werk floppte und direkt nach der Uraufführung am 5. September 1840 abgesetzt wurde. Verdi selbst erlebte keine weitere Aufführung seiner Oper und schuf erst im hohen Alter noch einmal mit Falstaff eine komische Oper. Nun setzt sich das zu Beginn der Spielzeit 2019/2020 gegründete Opernstudio NRW, bei dem die Oper Dortmund, das Aalto-Musiktheater Essen, das Musiktheater im Revier und die Oper Wuppertal kooperieren, um jungen Künstlerinnen und Künstlern einen praxisorientierten Übergang vom Studium in ein Engagement zu ermöglichen, in seiner alljährlichen Abschlussproduktion, die jeweils am Musiktheater im Revier stattfindet, mit Verdis Frühwerk auseinander und stellt unter Beweis, dass das Stück aus heutiger Sicht musikalisch durchaus seine Meriten hat. Belfiore (Oleh Lebedyev) verwandelt sich in einen "König für einen Tag". Das reichlich verworrene Libretto stammt von Felice Romani und war bereits 1818 unter dem Titel Il finto Stanislao (Der falsche Stanislaus) in einer Vertonung von Adalbert Gyrowetz an der Scala zur Uraufführung gelangt. Verdi änderte nicht nur den Titel, sondern ließ auch ganze Szenen streichen und verkürzte die Secco-Rezitative, was den Handlungsablauf noch schwerer nachvollziehbar machte. Die Oper spielt 1733 in der Bretagne, wo sich der polnische König Stanisław I. Leszczyński im französischen Exil befindet. Dieser hat sich allerdings heimlich nach Warschau begeben, um seine Thronansprüche erneut geltend zu machen. Damit seine Rückkehr nach Polen nicht publik wird, hat er kurzerhand seinem französischen Freund, dem Cavaliere di Belfiore, den Auftrag erteilt, während seiner Abwesenheit die Rolle des Königs zu spielen. Dieser sorgt dabei für einige Verwicklungen. Zum einen verhindert er, dass Baron Kelbar seine Tochter Giulietta mit dem wohlhabenden, aber recht betagten Schatzmeister La Rocca verheiratet, und sorgt stattdessen dafür, dass Giulietta den zwar mittellosen, aber von ihr geliebten Edoardo di Sanval, La Roccas Neffen, zum Mann nehmen darf. Zum anderen droht ihm die Marchesa del Poggio, die mit ihm liiert ist, ihn jedoch für untreu hält, den Grafen Ivrea zu heiraten, wenn er sich nicht als falscher König zu erkennen gibt. Im letzten Moment kommt ein Schreiben des echten Königs, in dem dieser verkündet, dass er seinen Thron wiedererlangt habe und Belfiore nun seine Identität preisgeben könne. Kelbar kann die Hochzeit seiner Tochter mit Edoardo nicht mehr rückgängig machen, und die Marchesa verzeiht Belfiore die Maskerade und willigt ein, ihn zu heiraten. Auch wenn die Oper weder inhaltlich noch musikalisch Parallelen zu Verdis Spätwerk Falstaff aufweist, beschließt das Regie-Team um Roman Hovenbitzer, einen Zusammenhang herzustellen, und verlegt die Geschichte in die "Casa di riposo per musicisti", ein Altersheim für Künstlerinnen und Künstler, die dort ihren Lebensabend verbringen können, wenn sie von Altersarmut bedroht sind. Verdi hatte dieses Projekt bereits 1896 ins Leben gerufen, dessen Eröffnung 1902 in Mailand jedoch nicht mehr erlebt. Hovenbitzer lässt Verdi nun als alten Mann (Darstellung: Georg Hansen) direkt zu Beginn des Abends auftreten. Über der Bühne hängt ein Plakat, das für den Abend eine Aufführung von Verdis Falstaff ankündigt. Doch nach den ersten Takten unterbricht Verdi das Spiel und regt an, heute einmal nicht den Falstaff zu spielen, sondern Un giorno di regno auf den Spielplan zu stellen. Giuliano Betta setzt sich mit ihm in komödiantischem Spiel aus dem Graben auseinander, bevor er, nicht zuletzt auch durch Intervention des Orchesters, Verdis Wunsch nachgibt. Und so gibt es als "Oper für einen Tag" an diesem Abend dann den König für einen Tag. Verdi (Georg Hansen, vorne rechts am Klavier) leitet eine Aufführung seiner Oper in der "Casa di riposo per musicisti" (von links: La Rocca (Yisae Choi), Graf Ivrea (Bogil Kim), Marchesa del Poggio (Heejin Kim), Baron Kelbar (Yevhen Rakhmanin), Edoardo (Benjamin Lee), Giulietta (Lina Hoffmann), dahinter der Chor, hinter dem Vorhang in der Mitte: Belfiore (Oleh Lebedyev)). Die Bühne von Hermann Feuchter fängt die Atmosphäre der "Casa di riposo per musicisti" wunderbar ein. Der große Saal verfügt nicht nur über ein kleines Theater im Hintergrund, sondern wird auch von einem großen Flügel auf der rechten Bühnenseite dominiert. Hier nimmt Verdi höchstpersönlich Platz, um die Rezitative zu begleiten - tatsächlich erfolgt die Begleitung allerdings aus dem Orchestergraben. An den Wänden hängen zahlreiche Gemälde, die wohl Reminiszenzen an große Künstler*innen der Vergangenheit sein sollen. Ein riesiger Kronleuchter hängt aus dem Schnürboden herab und sorgt ebenfalls für einige magische, theatralische Momente. Auf der Unterbühne befinden sich in einer Art Keller zahlreiche Kostüme. Hier steigt Verdi während der Ouvertüre herab, um den schlafenden Belfiore zu wecken und ihn zu veranlassen, in die Gestalt des Königs zu schlüpfen. Im Hintergrund sieht man die Marchesa del Poggio auf einem Sofa schlafen. Sie bemerkt nicht, dass Belfiore mit Verdi die Treppe nach oben emporsteigt, was wohl später als Grund dafür angeführt wird, dass sie sich von ihrem Geliebten verlassen glaubt und ihm Untreue vorwirft. Die Kostüme von Johanna Ralser sind durch den gesteppten Stoff recht voluminös gehalten und lassen die Figuren des Stückes mit den teilweise grauen Haaren wie Bewohner*innen des Altersheims wirken. Gehen am Ende leer aus: von links: La Rocca (Yisae Choi), Baron Kelbar (Yevhen Rakhmanin) und Graf Ivrea (Bogil Kim) In diesem Ambiente entfacht Hovenbitzer nun mit einer spritzigen und gelungenen Personenregie eine großartige Komödie, die kaum nachvollziehen lässt, wieso das Stück bei der Uraufführung durchgefallen ist. Die Melodien klingen eingängig, wenn auch nicht nach Verdi, sind aber von einer Leichtigkeit und Raffinesse, dass man der Meinung sein könnte, ein unbekanntes Werk von Rossini oder Donizetti zu hören. Gleich zwei große Buffo-Duette hat Verdi hier für den Baron Kelbar und den Schatzmeister La Rocca komponiert, die sowohl in ihrem Parlando-Stil als auch in der Komik auf ganzer Linie überzeugen. Auch das große Finale am Ende des ersten Aktes lässt musikalisch keine Wünsche offen. Dass die Handlung reichlich verworren ist, stört hierbei eigentlich wenig, weil man trotzdem das Gefühl hat, der Geschichte relativ gut folgen zu können. Eine weitere Anspielung auf Falstaff mag sein, dass der gefoppte Baron Kelbar in seiner Körperfülle optisch ein wenig an Verdis späteren Titelhelden erinnert. Giulietta (Lina Hoffmann) und Edoardo (Benjamin Lee) lieben einander. Neben den Teilnehmer*innen des Opernstudios NRW wirken mit Yevhen Rakhmanin und Lina Hoffmann auch zwei Ensemble-Mitglieder des Musiktheater am Revier bei dieser Produktion mit, wobei Rakhmanin erst zu Beginn dieser Spielzeit aus dem Opernstudio ins Ensemble ans MiR gewechselt ist. Rakhmanin gestaltet den Baron Kelbar in behäbigem Fatsuit-Kostüm mit beweglichem Bass und großer Spielfreude. So zeigt er sich äußerst temperamentvoll, wenn er seiner Tochter vorschreiben will, wen sie zu heiraten hat, oder sich mit einer gewaltigen Axt mit La Rocca duellieren will. Dass sein drohendes Gebaren jedoch nur heiße Luft ist, erkennt er relativ schnell, wenn La Rocca mit einem Sprengsatz als Waffe dagegenhält. Hoffmann punktet in der Partie der Giulietta mit spielerischem Mezzosopran, der in den Höhen enorme Strahlkraft besitzt. So spielt sie auch kokett mit ihrer Größe, immerhin überragt sie ihren Geliebten Edoardo nicht zuletzt wegen der hochtoupierten Perücke um mehr als einen Kopf. Benjamin Lee, der ab der kommenden Spielzeit fest zum Ensemble des MiR gehört, legt die Partie des Edoardo mit dunkel gefärbtem Tenor und großer Sicherheit in den Höhen an und überzeugt durch großen Spielwitz. Die Neue Philharmonie Westfalen zaubert unter der Leitung von Giuliano Betta einen frischen Buffo-Klang aus dem Orchestergraben, der einerseits die scheinbare Leichtigkeit und Nähe zu Rossini und Donizetti unterstreicht, andererseits in den fließenden Bögen und den Chorpassagen bereits Anklänge an den für Verdi in den späteren Opern typischen Klang erkennen lässt. Der von Alexander Eberle einstudierte Opernchor zeigt nicht nur große Spielfreude, sondern überzeugt auch durch homogenen Klang. Die Marchesa del Poggio (Heejin Kim) setzt Belfiore (Oleh Lebedyev) unter Druck. Die Mitglieder des Opernstudios NRW lassen ebenfalls großes Potenzial erkennen, so dass der Grundstein für eine erfolgreiche weitere Laufbahn gelegt sein dürfte. Da ist zunächst Oleh Lebedyev in der Partie des Belfiore zu nennen. Mit kraftvollem Bariton, der in den Läufen enorme Flexibilität besitzt, schlüpft er in die Rolle des Königs und verleiht ihm enorme Autorität. So ist es ihm ein Leichtes, den Baron und La Rocca in ein Gespräch zu verwickeln, während sich Edoardo und Giulietta ihre Liebe gestehen. Heejin Kim hält als Marchesa del Poggio mit flexiblen und höhensicheren Koloraturen dagegen und setzt den Geliebten ganz schön unter Druck. Der Graf Ivrea (Bogil Kim), den sie anstelle des Conte heiraten will, sitzt im Rollstuhl und ist nicht wirklich eine ernstzunehmende Alternative. Regelrechte Slapstick-Komik entfacht Kim, wenn sie ihn im Takt der Musik wiederzubeleben versucht, nachdem er über die Zurückweisung eine Herzattacke erlitten hat. Yisae Choi stattet den Schatzmeister La Rocca mit profundem Bass aus und begeistert vor allem in den beiden Buffo-Duetten mit Rakhmanin. So gibt es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten im leider nicht ausverkauften Haus.
FAZIT Das Musiktheater im Revier zeigt, dass auch Verdis zweite Oper ihren Reiz hat. Hovenbitzer findet in seiner Inszenierung einen kurzweiligen und sehr unterhaltsamen Zugang zum Werk.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen
Rezitative Opernchor des MiR Statisterie des MiR
Besetzung
Cavaliere Belfiore
Baron Kelbar Marchesa del
Poggio
Giulietta
Edoardo di Sanval
La Rocca
Graf Ivrea
Giuseppe Verdi
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