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Wär' der Max kein Jägerlein, wollt' er gern ein Häschen sein
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Jörg Landsberg
Natürlich ist dem Freischütz mit seiner naiven Gut-und-Böse-Logik nicht zu trauen. Der eine, Kaspar, "war von je ein Bösewicht" und geht einen (freilich alles andere als "faustischen") Pakt mit den dunklen Mächten ein. Die andere, Agathe, ist der Inbegriff der "reinen Jungfrau", der vorsorglich jede Form der Selbstbestimmtheit abgesprochen wird, um sich oder, wichtiger, der Gesellschaft diese Reinheit zu bewahren. Es bedarf der frühromantischen Zutat eines singenden Eremiten, um den charakter- wie in seiner Eigenschaft als Jäger und Schütze formschwachen Tenor Max auf die frömmelnd rechte Bahn zwischen Teufel und unbarmherziger Obrigkeit zu bringen. Es ist eine Pointe der deutschen Geschichte, dass ausgerechnet dieses Werk nach der Uraufführung 1821 schnell in den Rang einer deutschen Nationaloper erhoben wurde: Keine glamouröse Heldensaga, sondern eine bemüht zum glücklichen Ende hin entschärfte Schauergeschichte um einen kraftlosen Antihelden aus der hinterwäldlerischen Provinz. Ob man, wie Hagens Regie führender Intendant Francis Hüsers, daraus Leitlinien zum NS-Staat ableiten kann und muss, sei dahingestellt; das Nationale hat Kraft der deutschen Geschichte schnell den üblen Beigeschmack des Nationalistischen. Wie soll man in diesem Spannungsfeld die ziemlich biedermeierliche Geschichte vom Freischütz noch unbefangen erzählen können? In der Häschenschule: Max (links) mit Oberlehrer respektive Oberförster Kuno, rechts davon schaut Mitschüler Kaspar neugierig zu
Tatsächlich gelingt Hüsers eben dieses durch einen gewagten Kunstgriff. 1924, also ziemlich genau auf historisch halber Strecke zwischen der Uraufführung des Freischütz und dieser Neuinszenierung, erschien das ungemein erfolgreiche Bilderbuch Die Häschenschule mit lustig gereimten Versen von Albert Sixtus und Bildern von Fritz Koch-Gotha. Aktuell beworben als "Nostalgie-Klassiker für Kinder und Erwachsene", verkauft es sich bis heute offenbar ziemlich gut. Man kann in der verspielten Spiegelung eines gleichzeitig fürsorglichen wie autoritären Schulsystems vom Beginn des 20. Jahrhunderts eine (sanfte) Satire erkennen oder auch (wie Hüsers) ein Instrument der Erziehung zur Obrigkeitshörigkeit (tatsächlich dürfte sich der ungebrochene Erfolg eher einem Moment des verklärenden Wiedererkennens der eigenen Schulzeit verdanken, eben dem Nostalgie-Effekt). Wie auch immer: Hüsers und Ausstatter Mathis Neidhardt versetzen den Freischütz sehr genau in die Bilderwelt der Häschenschule und statten das Personal mit Kostümen aus, die genau den Zeichnungen Gotha-Kochs entsprechen. Was bedeutet: Hier tragen alle Sängerinnen und Sänger, der Chor eingeschlossen, Stummelschwanz und Hasenohren. Böse Pläne: Kaspar und Max
Das funktioniert, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, besser, als es sich auf dem Papier liest. Nicht zuletzt Dank genauer Personenregie kann Hüsers die Geschichte in ihrer biedermeierlichen Naivität mit leichter Hand im Wesentlichen librettotreu nacherzählen und gleichzeitig mehrfach ironisch brechen - nicht zuletzt dadurch, dass mit der Schulmetapher der belehrende Zugriff des Regisseurs eine selbstironische Komponente bekommt. Man erlebt den Freischütz sozusagen als restaurativen deutschen Bildungsroman durch die Brille des frühen 20. Jahrhunderts und gleichzeitig als lustige Kindergeschichte. Letzteres kommt der Musik entgegen, die hier nicht (wie so oft) von der Last einer psychologisierenden und problematisierenden Inszenierung erdrückt wird, sondern die Akzente setzen kann. Und da hat Hüsers in Kapellmeister Rodrigo Tomillo und dem sehr guten Philharmonischen Orchester Hagen (mit ausgezeichneten Holzbläsern) ideale Partner. Tomillo zeichnet Webers neuartige Klangfarben sehr genau nach, ohne übermäßig auf die (für an Richard Strauss geschulte heutige Ohren ohnehin wenig bedrohlich klingenden) Schauermomente zu fokussieren. Das bekommt den eher konventionell komponierten Nummern wie dem an sich harmlosen Liedchen vom Jungfernkranz (das Weber allerdings am Ende grandios zerfallen lässt), dem Tomillo durch sehr genaue orchestrale Ausgestaltung Gewicht gibt, wie auch der hier klanglich fein austarierten großen Finalszene mit Eremiten, der er viele Zwischentöne und damit mehr Nachdenklichkeit verleiht als gemeinhin üblich und in der er den musikalischen Spannungsbogen bis zum letzten Ton halten kann. Im Forsthaus: Ännchen (links) und Agathe
Der Eremit fällt aus dem Regiekonzept heraus, weil er keine Hasenohren trägt und streng genommen gar kein Kostüm: Dong-Won Seo (gesanglich solide) tritt im Alltagsanzug auf, eine höhere Instanz oder auch Verkörperung eines Erkenntnisprozesses. Vorher war in der Wolfsschluchtszene der Chor (das "wilde Heer") bereits für einen Moment unkostümiert erschienen. Dort lässt Hüsers die heile Welt des Waldes ganz konkret zusammenbrechen: Die liebevoll gemalten Bühnenbildprospekte, die der Theatertechnik zwischen Barock und spätem 19. Jahrhundert entsprechen, fallen desillusionierend herab. Wenn die von Kaspar und Max gegossenen teuflischen Freikugeln sich als Weltkriegsgranaten entpuppen, lacht das Publikum, dabei ist das vermutlich gar nicht als Witz gedacht; jedenfalls lässt sich die Szene auch als Einbruch der brutalen Realität in das Bilderbuchidyll interpretieren. Ganz so harmlos, wie es oberflächlich den Anschein hat, wickelt die Regie den Freischütz eben doch nicht ab. Zum Finale wird das beschädigte Bühnenbild mühsam restauriert, wobei Fürst Ottokar persönlich (elegant im Auftreten, stimmlich recht blass: Kenneth Mattice) die Kulisse glatt streicht. In solchen kleinen Gesten werden auch die Probleme dieser Oper verdeutlicht. Max und Kaspar gießen Freikugeln, wie sie auch die Wehrmacht gebaruchen könnte; hinten lauert das "wilde Heer"
Zum Konzept passt es, dass Alexander Geller den Max mit liedhaft schlankem Tenor singt, bei manchen Spitzentönen wacklig, aber insgesamt gut fokussiert und der eher lyrischen Gesamtanlage der Interpretation entsprechend. Angela Davis gibt mit interesssant timbrierten, nicht zu hellem Sopran eine eindrucksvoll intensive Agathe mit Mut zum Piano und Pianissimo (einige ungenau intonierte Spitzentöne mögen der Premierennervosität geschuldet sein). Fabelhaft singt Dorothea Brandt ein kokettes, gleichwohl nicht leichtgewichtiges Ännchen - in ihrer zweiten Arie spielt Aleksandar Jordanovski die konzertierender Viola auf der Bühne (natürlich im Hasenkostüm) und liefert ein komödiantisches wie musikalisches Bravourstück mit großem Bratschenton. Insu Hwang gibt einen jugendlichen, nicht allzu dämonischen, aber mehr als akzeptablen Kaspar, Oliver Wieder einen gutmütigen und stimmlich sehr präsenten Kuno. Beim Jägerchor sind die singenden Herren dem Dirigenten und Orchester deutlich voraus, ansonsten präsentieren sich Chor und Extrachor, auch darstellerisch gefordert, zuverlässig und klangschön.
Der Freischütz in der Häschenschule, toll dirigiert und sehr ordentlich gesungen, geht erstaunlich gut auf und bewahrt dem Werk eine Leichtigkeit, ohne die Schatten der Rezeptionsgeschichte zu vergessen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Licht und Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Ottokar
Kuno
Agathe
Ännchen
Kaspar
Max
Ein Eremit / Samiel
Kilian
Vier Brautjungfern
Violaspieler
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