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Gescheiterte Hoffnungen gibt es nicht nur im Wilden Westen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Volker Beushausen (© Theater Hagen)
Gemeinhin kennt man Westernhelden als wortkarge Gesellen. Mag man sich John Wayne mit einer schmachtenden Canzonette vorstellen? Charles Bronson im betörenden Liebesduett? Oder Gary Cooper zum High Noon mit einem zu Herzen gehenden Lied von der Heimat auf den Lippen? Diese Herren ließen genretypisch lieber Kugeln als Stimmbänder sprechen. Vermutlich liegt hier ein Grund, warum Puccinis Wild-West-Oper La fanciulla del West in Europa bis heute nicht die ganz große Anerkennung findet, obwohl der Komponist das Werk für sein bis dahin bestes hielt. Das Theater Hagen zeigt in dieser Neuinszenierung allerdings beeindruckend, dass (und wie) das Stück auch an einem kleineren Haus funktionieren kann - und warum man den üblichen deutschen Titel Das Mädchen aus dem goldenen Westen besser weglässt. Denn golden ist dieser Westen nun wirklich nicht. Goldgräbertristesse
Aber es geht doch ums Gold, mögen Zyniker dem entgegenhalten. Stimmt, genau deshalb sind die traurigen Gestalten, die das Stück bevölkern, ins Kalifornien des Jahres 1849 aufgebrochen und nehmen ein Leben im Schlammloch in Kauf, inzwischen reichlich desillusioniert. Regisseur Holger Potocki und Ausstatterin Lena Brexendorff zeichnen eine entromantisierte Gesellschaft in leidlich historischen, ziemlich dreckigen Kostümen. Sie alle himmeln Minnie an, die junge Wirtin des Saloons "Polka", ein Engel der Verwahrlosten, die Bibelstunden gibt und allerlei Trost, nur keinen erotischen. Darauf hoffen freilich alle, und kraft seines Amtes sieht sich Sheriff Jack Rance in der pole position (Insu Hwang singt und spielt ihn mit viel Eleganz, stimmlich fehlt ihm die Höhe, die ziemlich eng klingt). Minnie aber wartet, wie die 23 Jahre später zum Bühnenleben erweckte Strauss'sche Arabella, auf den einen, den richtigen Mann und entdeckt ihn in dem auf der Durchreise befindlichen Dick Johnson - der sich freilich, was sie zu spät realisiert (da ist's bereits um sie und ihr Liebesleben geschehen), als der gefürchtete Bandit Ramerrez entpuppt (Angelos Samartzis trumpft mit großem, strahlendem, ein wenig vordergründigem Tenor auf). Trotz aller Skrupel rettet sie ihn - durch eine Pokerpartie gegen den Sheriff, die sie aber nur durch Betrügerei gewinnt. Minnie und Ramerrez, der sich als Dick Johnson ausgibt, finden sich sympathisch
Susanne Serfing steht für die Partie der Minnie keine Riesenstimme zur Verfügung, aber sie setzt ihre vokalen Mittel klug ein - und gewinnt eben dadurch viel Glaubwürdigkeit: Dass da eine Frau in der rauen Männerwelt bestehen kann und sogar über ganz erhebliche Autorität verfügt (als Ramirrez doch noch gefangen wird und vor der Hinrichtung steht, überzeugt sie die Menge, ihn freizulassen), macht sie zur wohl vielschichtigsten, widersprüchlichsten und faszinierendsten Frauengestalt Puccinis. Susanne Serfing kämpft sich in diese Partie hinein, man merkt die Anstrengung, aber es gelingt auch dadurch ein authentisches Rollenportrait. Und man verzeiht der nicht gänzlich kitschfreien Regie manche Schwäche, weil sie einerseits geschickt auf die Personen fokussiert, andererseits die Balance hält zwischen dem individuellen Liebesdrama und der allgemeingültigen Tragödie: Minnie und Ramerrez stehen exemplarisch für die gescheiterten Ambitionen (und im happy end für die Utopie vom glücklichen Leben), aber wenn sie dem Sonnenuntergang entgegen reiten (keine Sorge, das machen sie in dieser Inszenierung nicht), dann lassen sie alle anderen in Hoffnungslosigkeit zurück. Bibelstunde für Goldgräber mit Minnie als Lektorin
Noch ein wenig mehr Mut zur Abstraktion hätte es dabei ruhig sein dürfen. Dabei hat Lena Brexendorff um das zentrale Schlammloch herum (in dem man zu versinken droht) höhlenartige Wände gebaut, den Saloon nur minimalistisch angedeutet, Minnies Hütte auf ein Podest mit Bett und ein paar rudimentäre Möbelstücken reduziert. Hinzuerfunden hat die Regie einen Sohn Minnies, und die Intention ist wohl, ihren Kampf um den geliebten Banditen zusätzlich zu legitimieren: Hier kämpft eine Mutter um die Zukunft ihres Kindes. Warum die an der Seite eines (durch die Musik zugegebenermaßen geadeligten) Schwerverbrechers rosig sein soll, das sei dahingestellt; aber dieser (kaum Bühnenwirksamkeit entfaltende) Regieeinfall verbürgerlicht die Figur. Eine Frau darf bei Holger Potocki den Wunsch nach Selbstbestimmtheit offenbar nur dann in die Tat umsetzen, wenn es ein Kind zu versorgen gibt. Im Grunde ein Skandal, im Kontext der Aufführung zum Glück nur eine Randerscheinung. Susanne Serfings couragierte Minnie, die binnen Minuten aus Überzeugung von der braven Pietistin zur Falschspielerin wird, hätte vielmehr ein um ihrer selbst willen beherztes "hier stehe ich, ich kann nicht anders" verdient. Minnie und Sheriff Jack Rance pokern um das Leben von Ramerrez (und die Zukunft Minnies)
Letztendlich gelingt es der Regie aber, in vergleichsweise konventioneller Manier die zentralen Ideen der Oper zu vermitteln und damit durchaus zu beeindrucken, nicht zuletzt der Spannung wegen, die sie entwickelt. Und auch ohne große Regiekniffe wird deutlich, das es sich hier um ein ziemlich allgemeingültiges Spiel um gescheiterte Hoffnungen und Lebensentwürfe, aber auch um die Kraft der Utopie handelt. Die Musik spielt mit: Die Herren von Chor und Extrachor überzeugen dabei ebenso wie das auch in den kleineren Rollen durchweg starke Solistenensemble. Generalmusikdirektor Joseph Trafton kostet mit dem guten Hager Philharmonischen Orchester die Farbigkeit der Partitur sehr schön aus und ist zudem ein ausgezeichneter Begleiter, der genau weiß, wann er das Orchester zurücknehmen muss, um die Sänger nicht zum Forcieren zu nötigen (und auch der Regisseur achtet gut darauf, wer wann ganz vorne an der Rampe zu stehen hat). Dem offensichtlich aus dem anglistischen Sprachraum stammenden Besucher hinter mir entfuhr mehrfach ein staunendes "whow". Das trifft die Qualität der Hagener Aufführung ganz gut.
Holger Potocki und Lena Brexendorff erzählen ziemlich geradlinig die Story nach, was bei einer wenig bekannten Oper sicher nicht falsch ist - und sie bringen, unterstützt von einer musikalisch überzeugenden Leistung, die Kernaussage des Werkes auf den Punkt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht und Video
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Minnie
Jack Rance
Dick Johnson (Ramerrez)
Nick / Ein Postillon
Ashby / Billy Jackrabbit
Sonora
Trin
Sid
Bello
Harry
Joe
Happy
Larkens / José Castro
Wowkle
Jack Wallace
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