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Tri sestry (Drei Schwestern)

Oper in drei Sequenzen
Libretto von Claus H. Henneberg und Peter Eötvös nach Anton Tschechow
Musik von Peter Eötvös

In russischer Sprache mit deutschen Übertexten

Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (keine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 25. März 2023

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Die Zukunft wird noch schlimmer

Von Stefan Schmöe / Fotos von Jörg Landsberg und Leszek Januszewski

Sie werden niemals in Moskau ankommen, die drei Schwestern Olga, Mascha und Irina aus Anton Tschechows Schauspiel Drei Schwestern, das 1901 am Moskauer Künstlertheater uraufgeführt wurde und einen großen, ironisch-bitterbösen Abgesang auf das gerade vergangene 19. Jahrhundert darstellt. Sie werden in der tristen Provinz, wohin es sie verschlagen hat, auf alle Zeiten ein geregeltes kleinbürgerliches Leben führen, und nicht einmal die Offiziere der am Ende des Dramas abziehenden Garnison werden sie unterhalten. Die hinterlassen im wahrsten Sinne des Wortes verbrannte Erde, ist die Stadt doch einen Tschechow-Akt zuvor von einer Feuersbrunst heimgesucht worden; die zerstören die letzten verbliebenen Hoffnungen für Mascha (die in den - unglücklich verheirateten - Kommandeur Werschinin verliebt ist und ihn ziehen lassen muss) und Irina (die den ungeliebten, aber Zukunft versprechenden Baron Tusenbach heiraten will, der im letzten Moment vom eifersüchtigen Hauptmann Soljony im Duell erschossen wird). Moskau, das war einmal die utopische Verheißung von Zukunft und Moderne, von der großen Welt, und irgendwann realisiert man, dass dieses Moskau unerreichbar weit weg und vielleicht sogar nicht mehr als eine Chimäre ist.

Vergrößerung in neuem Fenster Drei Schwestern und ein Bruder in der ewigen Provinz: (von links) Irina, Olga, Mascha und Andrej (Foto: Jörg Landsberg)

Peter Eötvös erzählt das Drama nicht linear nach, sondern gliedert seine 1998 uraufgeführten Oper in drei "Sequenzen", die das Geschehen aus jeweils unterschiedlicher Perspektive darstellen, wobei er die Szenenfolge des Schauspiels ungeachtet des zeitlichen Ablaufs abändert. So erlebt man, etwas vereinfacht dargestellt, dreimal dieselbe Handlung, allerdings mit unterschiedlichen Details. Die Geschichte fügt sich, vom Ende der Oper her betrachtet, wie aus einzelnen Glassplittern zu einem Mosaik zusammen. Damit umgeht der Komponist das Problem vieler Literaturopern, lediglich den für sich sprechenden Text musikalisch zu kolorieren. Dem intimen Charakter des Kammerspiels entsprechend (alles spielt sich bei Tschechow in Haus und Garten der Schwestern ab, von den Katastrophen von Stadt und Welt erfährt man nur aus Berichten) verwendet er ein Kammerorchester, das im Orchestergraben sitzt und sehr fein die psychologischen Dispositionen nachzeichnet. Für die tosende Welt drumherum sitzt ein großes Opernorchester neben, hinter oder sogar - wie hier in Hagen - auf der Bühne, wo es in dieser Inszenierung zum Teil des Geschehens wird. Mit zwei Dirigenten (auf der Bühne dirigiert Kapellmeister Taepyeong Kwak das Hagener Philharmonische Orchester, im Graben steht GMD Joseph Trafton vor dem Ensemble Musikfabrik) und einem, das sei vorweggenommen, durchweg ausgezeichneten Solistenensemble, wird die Aufführung zur musikalischen Großtat, und das an einem kleinen, finanziell nicht eben auf Rosen gebetteten Haus: Das Theater Hagen setzt mit dieser Produktion ein markantes Zeichen.

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Sie streiten mit tödlichem Ausgang um Irinas Gunst: Soljoni (rechts) und Tusenbach (Foto: Jörg Landsberg)

In der Uraufführungsversion hat Eötvös die drei Schwestern mit Countertenören besetzt, ein antirealistischer Verfremdungseffekt, der eine deutliche Distanz zu Tschechows Vorlage schafft und die Handlung abstrahiert. Der große Erfolg der Oper mit inzwischen rund 20 Produktionen dürfte allerdings zu einem großen Teil darauf zurückzuführen sein, dass der Komponist mit der deutschen Erstaufführung 1999 in Düsseldorf davon abgerückt ist und die Partien meist mit Frauenstimmen besetzt werden, so auch in Hagen - damit bietet die Oper deutlich mehr Identifikationspotential mit den unglücklichen Protagonistinnen. Auf eine naturalistische Ausstattung allerdings verzichtet Regisseurin Friederike Blum. Sie erzählt die Geschichte(n) auf einer kleinen, vom Bühnenorchester eingekreisten Spielfläche in minimalistischer Form nach. Eine große runde Spitzendecke, auf dem Boden ausgebreitet, markiert den Salon des Hauses. Mit großen Spiegeln hinter dem Orchester wirkt die Anordnung wie ein überdimensionales Brennglas. Die Personen tragen allesamt schwere Mäntel, die wie Schutzanzüge gegen die Fährnisse der Welt draußen wirken, und legen diese nur ab, wenn sie diesen gleichsam abgeschlossenen wie offenen und gefährdeten Spiel-Ort erreichen. Damit destilliert die Regie die zwischenmenschlichen Aktionen und die überzeitliche, allgemeingültige Disposition der Charaktere heraus, was in der konzentrierten Form tatsächlich recht gut gelingt. Der weitgehende Verzicht auf Illusionstheater macht es dem Publikum allerdings nicht ganz leicht. Wie ein versöhnliches Zeichen senken sich am Ender der ersten Sequenz eine Art Kristall und am Ende der zweiten wolkenartige skulpturale Gebilde vom Bühnenhimmel, womit immerhin ein Hauch von Bildwirkung in das psychologisch-analytische Konzept eindringt.

Vergrößerung in neuem Fenster Hält sich an dem fest, was die bescheidenen Verhältnisse ihm bieten: Andrej (Foto: Jörg Landsberg)

Im Zentrum der ersten (und längsten) Sequenz steht Irina, von Dorothea Brandt mit schöner lyrischer Emphase gesungen und einer Prise backfischhaftem Charme gespielt. Dmitri Vargin stattet ihren am Soldatendasein zweifelnden Verehrer Baron Tusenbach mit souveränem, elegant geführtem Tenor aus, der junge Bass Valentin Ruckebier (aus dem Opernstudio der Düsseldorfer Rheinoper) trumpft großformatig als aggressiver Widersacher Soljony auf, moralisch einigermaßen abgewirtschaftet wie die anderen Soldaten auch. Anton Kuzenok zeichnet mit markantem Tenor ein pointiertes Bild des Doktors. Die zweite Sequenz zeigt die Perspektive Andrejs, des Bruders der drei Schwestern, der seine Hoffnung auf eine Karriere als Universitätsprofessor begraben und sich mit den kleinbürgerlichen Zuständen irgendwie arrangiert hat. Bariton Kenneth Mattice singt ihn mit verhangener Melancholie ohne jeden Versuch des Aufbegehrens. Wie auch? Denn seine Gattin Natascha hält die Zügel fest in der Hand - von Vera Ivanovic fulminant als veritabler Hausdrache gesungen und gespielt. Sie trägt ein bewusst knalliges, etwas "billig" wirkendes Rosa im Kontrast zu den blass-pastellfarbenen, zeitlosen Kostümen der anderen Darsteller (Ausstattung: Tassilo Tesche). Diese Natascha ist die treibende Kraft der Veränderung; sie vertreibt letztendlich die Schwestern aus dem Haus und krempelt alles um. Damit verkörpert sie, bei Tschechow wie bei Eötvös und dessen Co-Librettist Claus H. Henneberg, den Aufbruch in die Zukunft. Verheißungsvoll ist das nicht.

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Die Zukunft gehört der unsympathischen Schwägerin Natascha, die das Kommando im Haus übernimmt (Foto: Leszek Januszewski)

Die letzte, kürzeste Sequenz gehört Mascha, von Maria Markina mit leicht dunkel timbriertem, glühendem Mezzosopran gesungen und szenisch mit dem größten Entwicklungspotential ausgestattet: Sie beginnt als biedere und unscheinbare Ehefrau des Lehrers Kulygin (solide: Dong-Won Seo) und verliebt sich in Kommandeur Werschinin (nobel eindrucksvoll: Insu Hwang) - und damit ist sie diejenige, die ihre Gefühle offen zeigt. Dafür schenkt ihr die Regie für einen kurzen Moment einen romantischen Sternenhimmel. Bezeichnenderweise gönnt der Komponist der ältesten Schwester Olga keine eigene Sequenz, denn die ist die personifizierte Vernunft, das Gegenstück zur emotionalen Mascha. Lucie Ceralova gibt ihr stimmlich wie szenisch große Autorität und gleichzeitig ein empathisches Moment. lja Aksionov und Robin Grunwald als Soldaten Rodé und Fedotik ergänzen auf hohem Niveau das Ensemble. Recht konstruiert wirkt in dieser Inszenierung die Figur der Amme Anfisa, von Eötvös für tiefen Bass komponiert und hier als hinkender männlicher Diener von Igor Storozhenko dargestellt, aber nicht überzeugend in das Konzept eingebunden. Musikalisch beeindruckt dieses Ensemble ohne jeden Ausfall auch durch die bestechende Homogenität. Tri sestry wird zur bewegenden Ensembleoper.


FAZIT

Musikalisch großartig realisiert und in konzentrierter, wenn auch recht spröder Regie analytisch präzise inszeniert, markieren diese Drei Schwestern einen Höhepunkt der Saison weit über Hagen hinaus.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Joseph Trafton

Co-Dirigent
Taepyeong Kwak

Inszenierung
Friederike Blum

Bühne und Kostüme
Tassilo Tesche

Licht
Martin Gerke
Ralph Krüger

Dramaturgie
Rebecca Graitl
Francis Hüsers


Ensemble Musikfabrik

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

Irina
Dorothea Brandt

Mascha
Maria Markina

Olga
Lucie Ceralová

Natascha
Vera Ivanovic

Tusenbach
Dmitri Vargin

Werschinin
Insu Hwang

Andrej
Kenneth Mattice

Kulygin
Dong-Won Seo

Doktor
Anton Kuzenok

Soljony
Valentin Ruckebier

Anfisa
Igor Storozhenko

Rodé
Ilja Aksionov

Fedotik
Robin Grunwald


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
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