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Musiktheater
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Serse (Xerxes)

Oper in drei Akten (HWV 40)
Libretto vermutlich vom Komponisten nach Nicolò Minato und Silvio Stampiglia
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere in der Oper Halle am 26. Mai 2023
im Rahmen der Händel-Festspiele Halle (Saale) 

 

 



(Homepage)

Perserkönig im Privatjet

Von Thomas Molke / Fotos: © Anna Kolata

Was hat man auf den Opernbühnen in den vergangenen Jahren aus Händels antikem Perserkönig Xerxes (Serse) nicht alles gemacht? Während Stefan Herheim in Berlin den Namen in die beiden Einzelteile "Rex" und "Sex" zerlegte und die Titelfigur unter diesem Aspekt interpretierte, wurde er bei den Händelfestspielen in Karlsruhe vor vier Jahren zum gefeierten Liberace in einer Las Vegas Show. Bei der Eröffnungspremiere der Händelfestspiele in der Geburtsstadt des Komponisten sieht Louisa Proske, die Hausregisseurin und stellvertretende Intendantin der Oper Halle, ihn nun als einen Multi-Milliardär à la Elon Musk, der in der berühmten Auftritts-Arie der Oper, "Ombra mai fù", seine Liebe zu seinem Privatjet besingt, der hier stellvertretend für die Platane (im Englischen "plane tree") steht. Nicht nur mit diesem Regie-Einfall will Proske die "parodistischen" Züge des Werkes betonen, auch wenn man hinterfragen kann, ob Händel sein Werk, wie Proske in einem Interview im Programmheft behauptet, wirklich als Parodie auf die Opera seria betrachtet hat. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass Händel damals versucht hatte, mit der Einfügung von buffonesken Elementen wie der komischen Figur des Dieners Elviro den sinkenden Stern der Opera seria zu stoppen, was ihm von vielen seiner Zeitgenossen, unter anderem dem englischen Musikhistoriker und Komponisten Charles Burney, übel genommen wurde. Aber ob Händel damit wirklich eine Parodie beabsichtigte, darf hinterfragt werden.

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Serse (Anna Bonitatibus, vorne) und Arsamene (Leandro Marziotte, hinten) lieben beide Romilda.

Die Handlung spielt im Jahr 480 v. Chr., als der persische König Xerxes (Serse) mit seinem Heer am Hellespont eine Brücke aus miteinander verbundenen Kriegsschiffen baute, um nach Griechenland überzusetzen. Das Libretto, das Händel von zwei früheren Vertonungen von Francesco Cavalli und Giovanni Battista Bononcini überarbeitet hat, übernimmt aus der bei Herodot überlieferten Historie neben der Anekdote über die Platane, die der König wegen ihrer Schönheit mit goldenem Schmuck behängt haben soll, Serses Liebe zu der Frau seines Bruders Arsamene und reichert sie mit zahlreichen frei erfundenen Liebesverwicklungen an. In der Oper ist Arsamene mit Romilda verlobt, so wie Serse mit Amastre. Romildas Schwester Atalanta liebt wiederum Arsamene und versucht, ihn ihrer Schwester auszuspannen. Serse schickt seinen Bruder ins Exil, um bei Romilda freie Bahn zu haben. Atalanta kann Serse jedoch überzeugen, dass Arsamene nicht Romilda sondern sie liebt, so dass Serse beschließt, seinen Bruder zu begnadigen und eine Doppelhochzeit zu feiern. Doch Romildas Vater Ariodate missversteht den König, als dieser um die Hand seiner Tochter für einen Mann königlichen Geblüts anhält, und verheiratet Romilda mit Arsamene. Daraufhin schäumt Serse vor Wut und will Romilda töten lassen. Doch Amastre, die ihrem untreuen Verlobten als Soldat verkleidet unerkannt gefolgt ist, verhindert Schlimmeres. Wutentbrannt führt sie Serse seine Treulosigkeit vor Augen und plant, Rache zu nehmen. Da bereut Serse sein Verhalten und bittet alle um Verzeihung.

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Serse (Anna Bonitatibus, Mitte oben) lässt sich mit seiner Fußball-Mannschaft vor seinem Privatjet von der Presse feiern.

Das Regie-Team um Louisa Proske lässt die Handlung in und um den Privatjet spielen, der in Proskes Lesart die zu Beginn besungene Platane repräsentiert. Jon Bausor hat dafür ein riesiges Flugzeug auf die Drehbühne gestellt, das auf einer Startbahn steht. Auf der einen Seite führt eine Treppe in das Flugzeug hinein. Auf der anderen Seite sieht man einen luxuriös eingerichteten Raum in Innern des Flugzeugs. Auch das Cockpit kann bespielt werden und wird von Proske unter anderem für einen Gag genutzt, in dem Arsamene und Romilda die berühmte Szene zwischen Kate Winslet und Leonardo DiCaprio als Rose und Jack am Bug des Schiffes Titanic nachstellen. Überhaupt setzt Proske in ihrer Inszenierung auf zahlreiche Gags, die ihrer Äußerung im Programmheft widersprechen, die Handlung nicht in Klamauk abdriften zu lassen. Dazu gehört neben den zahlreichen Luxusgütern, die Serse vor seinem Abflug mit dem Privatjet in das Flugzeug transportieren lässt, eine komplette Fußball-Mannschaft, die der König als Status-Symbol gekauft hat und für die er sich vor Presse und Öffentlichkeit feiern lässt. Auch die Tatsache, einzelne Personen aus dem fliegenden Jet zu werfen, die dann als kleine Figuren an Fallschirmen aus dem Schnürboden herabsegeln, darf genauso zu den eher flacheren Gags gezählt werden wie die zahlreichen Vogelfedern, die herabfallen, nachdem Serse mit einer Pistole in die Luft geschossen hat.

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Serse (Anna Bonitatibus) vor dem Abflug

Am Ende tritt der Chor in barocken Fantasiekostümen auf, die in ausladenden Kleidern einen hellen blauen Himmel mit weißen Wolken zeigen. Um den Kopf haben die Sängerinnen und Sänger einen Kreis, der wohl unterschiedliche Planeten andeuten soll. Jetzt fliegt man nämlich ins Weltall. Serse hat dafür seinen Anzug gegen ein goldenes Kostüm ausgetauscht, das ihn einerseits wie einen Astronauten, anderseits wie eine Art Sonnenkönig erscheinen lässt. Amastre schlüpft in unterschiedliche Kostüme, um ihrem untreuen Geliebten nah zu sein. Zunächst setzt sie den Flugkapitän außer Gefecht und verkleidet sich als Pilot. Später tritt sie als schwarzer Security-Mann auf, der mit Schutzhelm und Schutzweste die Klima-Aktivist*innen in die Schranken weist, die mit großen Plakaten gegen Serses Aktivitäten protestieren. Wenn Serse schließlich einlenkt und sein Versprechen Amastre gegenüber einhalten will, verwandelt sich Amastre in eine barocke Figur in einem goldenen Kleid, das sie unter dem schwarzen Schutzpanzer verborgen hat und das anschließend noch um eine riesige Perücke ergänzt wird. In diesen Kostümen besteigen Serse und Amastre das Cockpit und starten ihre Reise ins Weltall. Mag das auch an zahlreichen Stellen sehr übertrieben und bisweilen etwas albern sein, hat das Publikum großen Spaß an der Inszenierung und feiert am Ende auch die Regie für die immerhin sehr kurzweilige Inszenierung.

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Amastre (Yulia Sokolik) fühlt sich von Serse betrogen.

Musikalisch hat Attilio Cremonesi einige Eingriffe und Striche in der Partitur vorgenommen. Die Striche betreffen vor allem Passagen, die durch "Verlangsamung" des Erzähltempos der Inszenierung die Situationskomik genommen hätten. Als größter Eingriff darf wohl der Austausch einer Arie für Amastre betrachtet werden, die Cremonesi aus Händels Oper Imeneo übernimmt. Dabei handelt es sich um die Arie "Sorge nell' alma mia", in der Tirinto seiner Wut über die Zurücksetzung seiner Geliebten Rosmene freien Lauf lässt. Auch Amastre ist äußerst wütend, wenn sie beobachtet, wie hemmungslos Serse um Romilda wirbt. Mit ihrer eigentlichen Arie, "Or che siete, speranze, tradite", die daraufhin im Libretto folgt, beschließt sie, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Laut Cremonesi bringt diese Arie Amastres Wut jedoch nicht so virtuos und dramatisch zum Ausdruck. Cremonesi begründet das damit, dass Händel auf die Fähigkeiten der damaligen Besetzung habe Rücksicht nehmen müssen und ihm für die Partie der Amastre keine für eine dramatischere Gestaltung geeignete Sängerin zur Verfügung gestanden habe. Dieses Problem besteht in Halle bei der Mezzosopranistin Yulia Sokolik nicht. Mit flexiblen Koloraturen begeistert Sokolik und lässt die Arie keineswegs wie einen musikalischen Fremdkörper im Stück wirken. Dabei verzichtet Proske natürlich nicht auf den nächsten szenischen Gag, wenn Amastre sich dabei auf der Startbahn des Flugzeugs festkleben will, was der Diener Elviro zu verhindern sucht.

Auch die anderen Partien sind gut besetzt. Dabei kommt die Regisseurin szenisch auch noch selbst zum Einsatz. Da Franziska Krötenheerdt, die eigentlich die Partie der Romilda interpretieren sollte, erkrankt ist, springt die Sopranistin Yewon Han ein, die aufgrund der Kürze der Zeit die Rolle allerdings nur aus dem Orchestergraben singen kann. So übernimmt Proske die szenische Darstellung und macht als Stewardess im Dienste des Serse eine sehr gute Figur. Han punktet mit warm fließendem Sopran und strahlenden Spitzentönen. Vanessa Waldhart spielt ihre intrigante Schwester Atalanta mit großartiger Komik aus und glänzt mit leuchtendem Sopran. Für zahlreiche komische Momente sorgt auch Andreas Beinhauer als Diener Elviro, der mit wunderbarem Buffo-Bariton einen Vorläufer von Mozarts Leporello gibt. Ein Höhepunkt ist seine Verkleidungsszene, wenn er Romilda heimlich den Brief Arsamenes übergeben soll. Beinhauer lässt sich dafür im Stewardess-Kostüm in einer Kiste in den Privatjet schmuggeln und begeistert mit komödiantischer Kopfstimme und humorvollem Spiel. Michael Zehe überzeugt als Ariodate mit profundem Bass.

Für die Titelpartie und Arsamene sind zwei hochkarätige Gäste engagiert worden. Leandro Marziotte punktet als Arsamene mit beweglichem Countertenor, der zwischen leidender Verzweiflung und rasender Eifersucht changiert. Marziotte gestaltet die traurigen Töne sehr bewegend und verletzlich und läuft in seiner Wut auf die vermeintlich untreue Geliebte mit rasenden Koloraturen zur Höchstform auf. Anna Bonitatibus begeistert nicht nur in der Titelpartie mit der ganzen Bandbreite ihres Mezzosoprans, sondern wird im Anschluss an die Vorstellung noch mit dem diesjährigen Händel-Preis der Stadt Halle ausgezeichnet. Nach einer bewegenden Rede durch Attilio Cremonesi, der sich unter anderem an ihre gemeinsamen Anfänge vor 20 Jahren erinnert, stimmt Bonitatibus nach einigen Dankesworten noch einmal die berühmte Arie "Ombra mai fù" an und lädt das Publikum und das komplette Ensemble auf der Bühne zum Mitsingen ein. Dabei fungiert sie für das Publikum auch noch als Souffleuse. Wie schon in der Aufführung begeistert sie dabei mit absolut weicher Stimmführung, der den innigen Charakter der Arie bewegend einfängt. in den großen Wutarien punktet Bonitatibus mit atemberaubenden Läufen und halsbrecherischen Koloraturen, was vor allem in der großen Arie "Crude Furie degli' orridi abissi" im dritten Akt zum Ausdruck kommt. Attilio Cremonesi führt das Händelfestspielorchester Halle mit pointiertem Spiel durch die Partitur und begeistert ebenfalls auf ganzer Linie, so dass es für alle Beteiligten großen Jubel gibt.

FAZIT

Ob Louisa Proske mit ihrer Situationskomik in der Inszenierung über das Ziel hinausschießt, mag unterschiedlich beurteilt werden. Unterhaltsam ist es allemal, und auch musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen.

Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2023 in Halle


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Attilio Cremonesi

Regie
Louisa Proske

Bühnenbild und Kostüme
Jon Bausor

Regieassistenz und Choreographie
David Laera

Licht
Hein Victor Schenke

Choreinstudierung
Bartholomew Berzonsky

Dramaturgie
Carlo Mertens

 

Händelfestspielorchester Halle

Chor der Oper Halle

Statisterie der Oper Halle


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Serse
Anna Bonitatibus

Arsamene
Leandro Marziotte

Romilda
Franziska Krötenheerdt /
*Yewon Han (musikalisch)
*Louisa Proske (szenisch)

Atalanta
Vanessa Waldhart

Amastre
Yulia Sokolik

Elviro
Andreas Beinhauer

Ariodate
Michael Zehe


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Halle
(Homepage)



Da capo al Fine

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