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Musiktheater
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Ambleto

Oper in zwei Akten
Libretto von Fredrik Schwenk nach Apostolo Zeno, Pietro Parati und William Shakespeare
Musik von Francesco Gasparini (bearbeitet und neu komponiert von Fredrik Schwenk)

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen am 3. September 2022




Theater für Niedersachsen
(Homepage)
Im Labyrinth der Türen

Von Thomas Molke / Fotos: © Tim Müller

Seit Oliver Graf 2019 die Intendanz am Theater für Niedersachsen übernommen hat, startet man mit einer Trilogie in die neue Spielzeit. Dabei erarbeiten die drei Sparten Musiktheater, Schauspiel und Tanz jeweils eine Produktion zu einem literarischen Thema mit insgesamt drei unterschiedlichen Regie-Handschriften in einem einheitlichen Bühnenbild. Nach den Räubern in der Spielzeit 2019/2020 und Medea in der vergangenen Spielzeit, ist in diesem Jahr die Wahl auf Hamlet gefallen. Während es beim Schauspiel klar ist, dass hier das berühmte Drama von William Shakespeare auf dem Programm steht, hat man im Bereich des Musiktheaters etwas mehr Spielraum bei der Stückauswahl gehabt. Die Entscheidung ist schließlich für Francesco Gasparinis Barockoper Ambleto gefallen, die 1705 am Teatro San Cassiano in Venedig uraufgeführt wurde und wahrscheinlich die erste Oper ist, die sich mit dem Hamlet-Stoff auseinandergesetzt hat. Von dem Werk ist allerdings nur ein 1712 in London gedrucktes Songbook mit einem Großteil der Arien und  spärlichen Instrumentalangaben erhalten. So hat man den 1960 in München geborenen Komponisten Fredrik Schwenk, der sich in vielen Bereichen der zeitgenössischen Musik einen Namen gemacht hat, engagiert, um aus dem fragmentarisch erhaltenen Material einen Opernabend zu kreieren, der einerseits der Barockmusik verpflichtet ist, andererseits aber auch moderne Elemente enthält. Aus der dreiaktigen Nummernoper wurde eine zweiaktige Szenenoper, die neben der Wiederentdeckung eines vergessenen Werkes somit auch gleichzeitig eine Uraufführung darstellt.

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Veremonda (Sonja Isabel Reuter) versucht, Ambleto (Felix Mischitz), der Wahnsinn vortäuscht, vor seinem Onkel und Stiefvater zu warnen.

Das Libretto hat mit Shakespeares berühmtem Drama sehr wenig gemeinsam und folgt in groben Zügen eher der Geschichte, wie sie in der altdänischen Sage aus den Gesta Danorum des Historikers Saxo Grammaticus überliefert und in den Jahren um 1200 herum entstanden ist. Darin hat zwar Ambletos (Amletus) Onkel Fengone (Fengo) auch den König und Ambletos Vater Orvendillo (Horwendillus) getötet und Ambletos Mutter Gerilda (Gerutha) geheiratet. Im Gegensatz zu Shakespeares Drama ist dies aber allen von Anfang an bekannt, so dass ein Auftritt des Geistes nicht erforderlich ist. Ambleto plant äußerst berechnend, Rache für den Mord an seinem Vater zu nehmen, und ist keineswegs voller Selbstzweifel wie Shakespeares Dramenheld. An Stelle von Ophelia, die bei Saxo gar nicht vorkommt, fügen die Librettisten der Oper Apostolo Zeno und Pietro Parati Veremonda, eine Prinzessin von Allanda, ein, die sowohl von Ambleto als auch von Fengone und dem General Valdemaro begehrt wird. Letzterer hat Allanda für Dänemark erobert. Natürlich geht sie nicht wie Ophelia ins Wasser - schließlich befindet man sich in der Barockoper mit einem obligatorischen lieto fine -, sondern kommt am Ende mit Ambleto zusammen. Eine weitere Figur, die es weder bei Saxo noch bei Shakespeare gibt, ist Ildegarde, eine dänische Prinzessin, die ebenfalls Ambleto zugetan ist und früher Fengones Geliebte war. Sie heiratet am Schluss Valdemaro, weil der neue König Ambleto es so anordnet. Gerilda macht aus ihrer Abneigung gegen ihren Gatten Fengone keinen Hehl, schützt ihn aber dennoch vor zwei Attentaten. Erst als er sie für Veremonda verstößt und ihren Sohn Ambleto töten lassen will, verbündet sie sich mit Ambleto und Siffrido gegen ihn. Mit einem Schlaftrunk wird Fengone vor der neuen Hochzeit außer Gefecht gesetzt und in den Kerker geworfen, wo sein Vertrauter Siffrido - und nicht Ambleto wie bei Saxo und Shakespeare - ihn tötet.

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Gerilda (Neele Kramer) und Siffrido (Julian Rohde) vor einem Meer von Türen (in der Projektion von links: Valdemaro (Eddie Mofokeng), Fengone (Yohan Kim), Siffrido (Julian Rohde), Gerilda (Neele Kramer) und Ildegarde (Katehlijne Wagner)).

Anna Siegrot, die das Bühnenbild und die Kostüme für die drei Hamlet-Produktionen entworfen hat, hat einen Raum mit zahlreichen Kassettentüren geschaffen. Regisseurin Amy Stebbins assoziiert diese Türen mit einem bürokratischen Unterdrückungssystem eines autoritären Regimes. Alles wird hier belauscht und beobachtet, und man weiß nie, wer hinter welcher Tür lauert oder wohin verschwindet. Ambleto läuft ständig mit einem Fotoapparat über die Bühne und hält das Geschehen in Bildern fest, vielleicht, um es später dokumentieren zu können. Die Vorgeschichte wird in einer klar verständlichen Video-Projektion von Elisabeth Köstner und Lars Neumann während der Ouvertüre erzählt. Auf dem eisernen Vorhang sieht man zunächst Gerilda vor ihrer Hochzeit mit Orvendillo. Die königliche Familie posiert zu zahlreichen offiziellen Empfängen, bevor man Gerilda als trauernde Witwe am Grab ihres Gatten sieht. Nun nimmt Fengone den Platz des Königs ein und heiratet Gerilda, was in ähnlichen Sequenzen dokumentiert wird. Wenn der Vorhang sich hebt, versuchen zwei schwarze Gestalten den am Boden liegenden Fengone zu töten. In letzter Sekunde wird er von seiner Gattin gerettet, die ihm unmissverständlich klar macht, dass sie ihm nur aus Pflichtgefühl und keineswegs aus Zuneigung oder Liebe geholfen habe. Ambleto tritt mit einer Maske auf, die ein wenig an einen Totenkopf erinnert, um deutlich zu machen, dass er sich von Anfang an verstellt und seine Rache am Mörder seines Vaters plant.

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Fengone (Yohan Kim, Mitte) lässt Veremonda (Sonja Isabel Reuter mit Eddie Mofokeng als Valdemaro dahinter) und Ambleto (Felix Mischitz, vorne rechts mit Julian Rohde als Siffrido dahinter) verhaften.

In einer ausgeklügelten Personenregie arbeitet Stebbins die folgende Geschichte heraus. Nur der von Achim Falkenhausen einstudierte Chor des TfN ist hinter der Bühne positioniert und wird verstärkt eingespielt, was in der Balance zu den Solistinnen und Solisten auf der Bühne und dem Orchester im Graben bisweilen ein wenig zu laut ist und damit den Gesang auf der Bühne überdeckt. Nur kurz vor der Verhaftung des Königs treten die Chorsänger*innen mit einer Maske auf der Bühne auf und kreisen den König ein. Für den Schlaftrunk fährt Ambleto einen langen Tisch mit sechs weiß leuchtenden Gläsern herein. In einem Glas wird die Farbe rot, in einem anderen gelb, so dass man nicht genau weiß, in welchem Gefäß jetzt der Schlaftrunk ist. Zunächst wird dem König das gelbe Glas gereicht, was ihm jedoch wieder weggenommen wird, da er es etwas skeptisch beäugt. Als Ambleto sorglos daraus trinkt, sind die Zweifel des Königs beseitigt, so dass das Glas mit dem roten Trank seine Wirkung nicht verfehlt. Dem lieto fine nach dem Tod des Königs misstraut Stebbins allerdings. Zwar lässt sie die Paare, Ambleto und Veremonda bzw. Valdemaro und Ildegarde, zunächst zusammenkommen. Aber die übrigen Figuren scheinen Ambleto zu misstrauen. Während er den Sieg über den Mörder seines Vaters zelebriert, stehlen die anderen sich heimlich durch die unterschiedlichen Türen davon. Als Ambleto erkennt, dass er allein ist, öffnet er auf der Suche nach den anderen eine Tür nach der anderen, findet aber niemanden, bis schließlich bei der letzten Tür Fengone vor ihm steht. Jetzt trägt er die Maske, mit der Ambleto zu Beginn der Oper aufgetreten ist, und fotografiert so wie Ambleto vorher. Die Geschichte scheint sich also zu wiederholen, nur dass dieses Mal Ambleto das Opfer sein wird.

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Veremonda (Sonja Isabel Reuter) und Ambleto (Felix Mischitz) im Kerker

Musikalisch ist der Abend äußerst abwechslungsreich. Fredrik Schwenk gelingt es sehr gut, Gasparinis Barockmusik mit eigenen Kompositionen anzureichern. Während die Ouvertüre und ein Großteil der Arien ganz im Stil der klassischen Barockoper erklingen, sind die Rezitative sehr modern und zeitgenössisch angelegt und in unterschiedlicher musikalischer Ausprägung dem jeweiligen Geschehen angepasst. Teilweise wird auch einfach nur gesprochen. Wenn die Musik an einigen Stellen recht atonal wirkt, spiegelt das genau die Aufregung der Figuren wieder und wirkt daher nicht verstörend. Erwähnenswert sind auch einige Ensembles, die recht historisch klingen, aber sicherlich in dieser Fülle nicht von Gasparini so komponiert worden sind. Hier beweist Schwenk, dass er Gasparinis Stil geschickt kopieren kann. Zwei Duette erinnern beinahe an tanzbare Unterhaltungsmusik, passen sich aber auch wunderbar dem musikalischen Gesamtkonzept an. Dies alles wird von dem als kammermusikalisch besetzten Barockorchester des TfN, das durch Schlag- und elektronische Instrumente ergänzt ist, unter der Leitung von Florian Ziemen mit viel Fingerspitzengefühl sehr differenziert herausgearbeitet.

Das Solisten-Ensemble bewegt sich ebenfalls auf gutem Niveau. Yohan Kim stattet den Bösewicht Fengone mit einem kraftvollen Tenor aus, der auch in den hohen Tönen den düsteren Charakter der Figur unterstreicht. Sonja Isabel Reuter verfügt als Veremonda über einen vollen Sopran, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Neele Kramer überzeugt als Gerilda mit einem satten Mezzosopran und großer Beweglichkeit in den Koloraturen. Mit großer Vehemenz schleudert sie ihre Abneigung gegen ihren neuen Gatten Fengone heraus. Eddie Mofokeng punktet als General Valdemaro mit einem profunden Bariton. Kathelijne Wagner gestaltet die Partie der Ildegarde mit weichem, mädchenhaftem Sopran. Julian Rohde verfügt als Siffrido über einen recht hellen Tenor. Felix Mischitz begeistert darstellerisch in der Titelpartie auf ganzer Linie, bleibt stimmlich in den großen Szenen allerdings ein bisschen blass. Das Ensemble erntet vom Publikum verdient großen Applaus, in den sich auch das Regie-Team und der Komponist Fredrik Schwenk mit weißer Barockperücke als Hommage an Gasparini einreihen. Schade ist nur, dass einige Plätze frei bleiben. Die Produktion hätte ein ausverkauftes Haus verdient.

FAZIT

Schwenk gelingt es musikalisch, Gasparinis Barockmusik geschickt mit modernen Elementen anzureichern und schafft einen Opernabend aus einem Guss, der in der Inszenierung mit passenden Bildern unterlegt ist.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ziemen

Inszenierung 
Amy Stebbins

Bühne und Kostüme
Anna Siegrot

Choreographie
Natascha Flindt

Chor
Achim Falkenhausen

Video
Elisabeth Köstner
Lars Neumann

Dramaturgie
Jannike Schulte

 

Orchester des TfN

Chor des TfN

 

Solistinnen und Solisten

Ambleto, legitimer Erbe des Königs
Felix Mischitz

Fengone, tyrannischer Herrscher Dänemarks
Yohan Kim

Veremonda, Prinzessin von Allanda
Sonja Isabel Reuter

Gerilda, Ehefrau Fengones und Ambletos Mutter
Neele Kramer

Valdemaro, königlicher General
Eddie Mofokeng

Siffrido, Vertrauter Fengones
Julian Rohde

Ildegarde, dänische Prinzessin
Kathelijne Wagner

 


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