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Kein Mann zum VerliebenVon Stefan Schmöe / Fotos von Karl & Monika Forster
Senta bleibt ledig. Am Schluss der Oper lässt sie beide Männer sitzen, denen sie mehr oder weniger deutlich ewige Treue versprochen hat - den biederen Jäger Erik sowieso, dafür hat bereits Richard Wagner gesorgt; den fremden Seemann, der sich "fliegender Holländer" nennt, allerdings auch. Das hat Wagner anders im Sinn gehabt. Dabei erklingt in Köln der Erlösungsschluss aus der zweiten Fassung. Aber diese Erlösung gilt in der Inszenierung von Benjamin Lazar gar nicht dem Holländer, sondern ausschließlich Senta, die ihre eigenen Wege geht. Ein Akt der Emanzipation. Daland (vorne) und Holländer (im Bild: James Rutherford) finden beim Waffenhandel zueinander.
Angesichts der miesen Stimmung bei den beiden verlassenen Herren auf der Bühne wäre das raue, düstere Finale der ersten Fassung schlüssiger gewesen. Die musikalische Überhöhung will nicht recht passen, denn die Inszenierung bemüht sich zwar, die Perspektive Sentas zu zeigen, löst das aber ausgerechnet im Schlussbild nicht ein - Sentas Abgang müsste dafür effektvoller, zumindest entschlossener in Szene gesetzt werden. Aber nach solcher Logik fragt zu diesem Zeitpunkt sicher kaum noch jemand. Im Ambiente eines trostlosen Containerhafens (Ausstattung: Adeline Caron), laut Einführung in den 1990er-Jahren in einem osteuropäischen Staat (was sich aus Bühne und Kostümen nicht erschließt), erzählt Lazar die Geschichte über weite Strecken ziemlich brav nach, nur unter modernen Vorzeichen. Der Reichtum des Holländers basiert auf dem Waffenhandel, in den Daland bereitwillig einsteigt. In einschlägigen Kriminalfilmen sieht das immer sehr viel cooler und brutaler aus, aber sei's drum: Man kann der Handlung grob folgen. Und weil die Personenregie gerade im Chor (der nicht nur ganz hervorragend singt, sondern auch eifrig mitspielt) ziemlich engagiert ist und Realismus vortäuscht, geht die Story auch voran, wenn auch ohne jegliche Seefahrerromantik - aber immerhin im Seefahrerambiente. Der Holländer (Joachim Goltz)
Lazar gibt der Handlung einen Rahmen, indem er Senta Jahre später an diesen Ort zurückkehren lässt und sich die Ereignisse um den Holländer vor ihrem inneren Auge abspielen - einen entscheidenden Mehrwert bringt das nicht. Mit dem Text darf man es in dieser Version nicht so genau nehmen, da folgt die Inszenierung eher grob Wagners Libretto. Darauf käme es letztendlich gar nicht so sehr an, gäbe es eine schlüssige Idee, an der sich die Regie orientiert. Wie Lazar allerdings um das zentrale Thema der Oper, nämlich Sentas Beziehung zu diesem geheimnisvollen Holländer, heruminszeniert und allen Problemen ausweicht, um zu seinem - ziemlich banalen - Emanzipationsfinale zu kommen, das verblüfft in seiner, pardon, Unverfrorenheit dann doch. Weder ist klar, was sie an dem wenig geheimnisvollen Fremden interessiert, warum sie ihm "Treue bis in den Tod" verspricht, noch warum sie ihn dann doch im wahrsten Sinne des Wortes sitzen lässt und weggeht. Es fehlt an einer erkennbaren psychologischen Entwicklung Sentas - oder überhaupt an einer psychologischen Disposition. Vielmehr arbeitet sich die Regie an Klischees ab. Damit macht sie erstmal nicht viel falsch, aber auch nichts wirklich richtig. Senta (hier: Ingela Brimberg) und Erik
Die Musik erzählt ohnehin ihre eigene Geschichte, befeuert vom ausgezeichneten Gürzenich-Orchester und dessen Chefdirigenten François-Xavier Roth. Der dirigiert ungemein agil, schlank im Klang, dramatisch, aber immer kontrolliert. Das Orchester sitzt inmitten der Bühne im Saal 1 des Deutzer Staatenhauses, teilweise überbaut, wodurch die Sängerinnen und Sänger dem Publikum ziemlich nahe sind. Daraus resultieren allerdings erhebliche akustische Probleme. Ein Mischklang mit dem Orchester will sich nicht einstellen, und man hört jeden kleinen vokalen Patzer, der in einem "richtigen" Opernhaus gnädig verschluckt worden wäre. Und es ist ziemlich laut, beim Fortissimo des präzise und mit klanglicher Wucht singenden Chores und Extrachores sowieso, aber auch bei den Solisten. Jedenfalls dröhnt es in den vorderen Reihen mächtig, aber das ist wohl der Preis dafür, dass auch ganz oben auf der Publikumstribüne noch ein satter Klang ankommen soll. Gleichwohl: Ein wenig mehr Abstand zwischen Bühne und Publikum täte klanglich durchaus gut. Der dritte Aufzug zeigt ein Faschingsfest am Hafen (Ensemble)
In der Premiere sangen James Rutherford den Holländer und Ingela Brimberg die Senta, in der hier besprochenen Aufführung ist Joachim Goltz ein präsenter Holländer mit großer, aber eher hell timbrierter und wenig "schwarzer" Stimme; Kristine Kaiser ist eine Senta mit schönen lyrischen Momenten, die in den dramatischen Passagen manchmal die Stimme forciert, sich aber insgesamt sehr ordentlich schlägt. Karlheinz Lehner ist ein klar fokussierender, großformatiger Daland, Maximilian Schmitt ein ordentlicher, eher lyrisch geprägter Erik. Dmitry Invanchey singt einen klangschönen, recht leichtgewichtigen Steuermann, Daliah Schaechter mit brüchiger Stimme eine in die Jahre gekommene Mary.
Musikalisch eine ziemlich spannende, in der heiklen Akustik des Staatenhauses auch ziemlich laute Aufführung. Die Inszenierung hat man schnell vergessen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Co-Regie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Daland
Senta
Erik
Mary
Der Steuermann
Der Holländer
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