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Die Barockoper der ZukunftVon Stefan Schmöe / Fotos von Karl & Monika Forster
Im Hintergrund ziehen dramatisch Wolken vorüber. Ab und zu sieht man Palmen, die sich im Wind wiegen. Pyramiden gibt es in klein auf der Bühne, als Schattenriss angedeutet. Ägypten ist durchaus präsent im Bühnenbild (Bühne: Frank Philipp Schlössmann, Video: Nicolas Hurtevent), und wenn es die obligatorischen Klischees sind, die hier bildhaft aufgegriffen werden, ergibt das Sinn: Dieses Ägypten ist nicht real, weder historisch noch gegenwärtig. Es ist ein Traumort, wie ihn die Barockoper imaginieren wollte. Überhaupt gibt nichts in dieser Inszenierung von Vincent Boussard vor, real sein zu wollen, hier ist alles Theater und will auch genau das sein. Das Regieteam (dazu gehören noch die Kostümbildner Christian Lacroix und Robert Schwaighofer, die immer wieder raffinierte Beleuchtung hat Andreas Grüter eingerichtet) präsentiert Händels Giulio Cesare im Geist der Barockoper, transformiert deren Mittel aber in die Moderne. Achilla (rechts) überbringt Cesare das Haupt des Pompeo
Das Gedankenspiel geht noch ein Stück weiter, und Boussard formuliert das im Programmheft so: "Wir versuchen nicht, das 18. Jahrhundert nachzuahmen, sondern erfinden die Moderne neu aus der Sicht des 18. Jahrhunderts." Zu Beginn und am Ende sieht man auf der Bühne ein Tableau aus schwarzen, sehr barock kostümierten Gestalten, die den theaterhistorischen Rahmen setzen. Das eigentliche Spiel nutzt dann moderne Accessoires, mitunter ziemlich witzig eingesetzt, folgt aber dem originalen Schema: Auftritt, Arie, Abgang, ohne dass die Szene mit zusätzlicher Bedeutung, die über die Charakterisierung der singenden Figuren hinausginge, aufgeladen würde. Dabei wirft die Regie einen ziemlich ironischen Blick auf die Geschichte, die als schrille Komödie nacherzählt wird. So trägt Cesares Widersacher Tolomeo (der Bruder Cleopatras) einen eng anliegenden hautfarbenen Strampler mit großem angenähten Penis, der ihn als wenig ernst zu nehmenden Lüstling charakterisiert, und sein Kompagnon Achilla (der Cesare mit dem Kopf von dessen politischen Gegners Pompeo empfängt, was den auf Friedensdiplomatie eingestellten römischen Feldherrn allerdings anwidert) ist ein großer Clown. Damit wird die derb komödiantische Seite kräftig bedient, was man bei dieser Oper nicht so oft erlebt. Cornelia und Sesto, dem das Schwert noch zu schwer ist.
Schließlich ist die Kehrseite - die wohl doch die Vorderseite ist, wenn man auf die Musik hört - ja tragisch grundiert. Da singen schließlich Cornelia und Sesto, Ehefrau und Sohn des ermordeten Pompeo, neben anderen getragenen Arien ein wunderbar tieftrauriges Duett. Cornelia wird als trauernde Witwe vergleichsweise konventionell gezeichnet, Sesto erscheint im silbrigen Anzug mit angedeutetem Möchtergern-Sixpack als Halbstarker, der bei seinen Racheplänen zunächst daran scheitert, dass er das große Schwert gar nicht tragen kann. Cesare darf elegant wirken, wobei die Brust durch das edle Kostüm noch etwas breiter als sonst erscheint. Und Cleopatra könnte eine moderne Geschäftsfrau sein, die allerdings oft ein Double im wiederum barocken Kostüm, man muss an einen großen Vogel denken, an ihrer Seite hat. So bevölkert eine illustre Gesellschaft die Guckkastenbühne im Staatenhaus, bei der durch parallel zur Rampe verschiebbare Wände immer wieder Ausschnitte fokussiert werden, was flotte Bildwechsel ermöglicht. Cleopatra (vorne) und Double
So weit, so hübsch und originell und auch über dreieinhalb Stunden Spieldauer leidlich unterhaltsam, wobei doch hin und wieder Stillstand eintritt, und so richtig mitfühlen mit dem obskuren Personal mag man auch nicht. Diese Leerstellen müssten natürlich durch die Musik gefüllt werden, was nur zum Teil gelingt. Rubén Dubrovsky dirigiert das gute Gürzenich-Orchester "historisch informiert", wie man wohl sagt, dabei unprätentiös und eher zurückhaltend - so klingt der Orchesterpart delikat und farbig, aber mit dem ganz großen Klangzauber will Dubrovsky nicht auftrumpfen (obwohl das zu dieser Inszenierung wohl passen würde). Zum teils comichaft grellen Bild gesellt sich die orchestrale Feinzeichnung. Die aber fehlt oft bei den Sängerinnen und Sängern. Tolomeo inmitten seines Hofstaats
Den Cesare singt in der hier besprochenen Vorstellung (wie schon in der Premiere ein paar Tage zuvor) Countertenor Raffaele Pe, der mit furiosen Koloraturen aufwarten kann, dessen Stimme im Forte aber an Glanz und Wohlklang verliert - und leider singt er oft (zu) laut. Die Piano-Passagen klingen sehr viel kontrollierter. (Die Partie ist alternierend mit Altistin Sonja Runje besetzt, was sicher zu einem ganz anderen Klangbild führt.) Mit Giulia Montanari (sie singt alternierend mit Kathrin Zukowski) ist die Cleopatra sehr leicht besetzt; die Stimme klingt für eine Herrscherin unangemessen mädchenhaft, und die Gesangslinien geraten ziemlich uneinheitlich - neben leuchtenden Tönen stehen etliche farblose. Das Potential ist sicher vorhanden, aber die Sängerin muss erst noch in diese Partie hineinwachsen. Für die Cornelia ist die Stimme von Adriana Bastidas-Gamboa oft zu "romantisch", hat zu starkes Vibrato, was im Verlauf der Aufführung besser wird. Den stärksten Eindruck hinterlässt Anna Lucia Richter als jugendlich strahlender Sesto. Sonja Prina lässt sich auch durch ihr extravagantes Kostüm nicht aus der Fassung bringen und singt einen soliden und präsenten Tolomeo, Matthias Hoffmann einen ebensolchen Achilla.
Die dekorative Regie hat im Spiel mit barocken Formen ihre Reize und ihre Längen. Musikalisch eher solide als glanzvoll. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Co-Kostümbildner
Video
Licht
Dramaturgie
Cembalo
Laute / Theorbe
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Giulio Cesare
Cornelia
Sesto
Cleopatra
Tolomeo
Achilla
Nireno
Curio
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