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Sechs Personen finden Ihren DrehbuchautorVon Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
Das Märchen vom Aschenputtel, das aus Schmutz und Asche zur Prinzessin aufsteigt, wird bei Gioacchino Rossini zum aufklärerischen Lehrstück veredelt: Der Philosoph und fürstliche Erzieher Alidoro zieht die Fäden, auf dass vor dem Eheglück die Erkenntnis der wahren Tugend stehe. Die mit der Figur typischerweise verbundenen Märchenaccessoires wie die Tauben oder der verlorene Schuh fehlen. Viel wichtiger ist die Frage: Willst Du mich unabhängig von meinem sozialen Status heiraten? Dafür braucht es keinen Märchenprinzen, und dann kann man die Geschichte auch aus der Es-war-einmal-Zeit in die jüngere Vergangenheit verfrachten, was in dieser Produktion bedeutet: in das Hollywood der großen Musicalfilme, die Ära Fred Astaires, Ginger Rogers' oder Gene Kellys. Weil der fürstliche Ball und damit das Tanzen im Zentrum steht, ist diese Verschiebung durchaus schlüssig. Und diese Art von Glanz und Glamour ist uns fraglos näher als der verblichene Firnis der Aristokratie. Drehbuchautor auf Stoffsuche: Der Philosoph Alidoro
Nun würde eine Verschiebung von einer Vergangenheit in eine andere (das typische Mittel, wenn einem Regisseur nichts einfällt) noch keine gute Inszenierung ergeben. Die Italienerin Cecilia Ligorio, die hier ein fulminantes Deutschland-Debut gibt, geht raffinierter vor. Sie durchbricht die Erzählebenen und macht den Philosophen Alidoro zum Drehbuchautor, der über der Story grübelt. Plötzlich werden seine Figuren lebendig, und das könnte ganz schrecklich im Kitsch enden, ist aber hinreißend charmant auf die Bühne gebracht. Zunächst sind es nämlich unzählige Doppelgänger, die mit großer Eleganz hervorgezaubert werden: Jeder Chorist ein Alidoro. Und überhaupt besticht der Abend durch eine ungeheuer präzise Personenregie oder besser -choreographie, die das Solistenensemble, den für Rossinimaße riesigen (nicht nur toll singenden, sondern auch sehr spielfreudigen) Herrenchor und noch eine sechsköpfige Tänzergruppe umfasst, die den Chor szenisch verstärkt (Choreographie: Daisy Ransom Phillips). Don Ramiro, der sich als Chauffeur ausgibt, und das Aschenputtel Angelina finden sich auf den ersten Blick sympathisch
Wenn schon Hollywood, dann muss auch die Optik stimmen. Vera Pierantoni Giua hat hinreißende Kostüme entworfen, und Bühnenbildner Gregorio Zurla sorgt auch im Staatenhaus, dem Interimsquartier der Kölner Oper während der unendlichen Sanierung des Opernhauses, ohne große Bühnentechnik für viel Glamour. Aber die Regie verliert sich nicht an der glänzenden Oberfläche; sie spielt mit Stereotypen und stellt die Glitzerwelt unaufdringlich infrage. Das ist immer ganz nah an Rossini wie am Kern des Aschenputtel-Märchens, aber es will nicht belehren und nicht erklären, sondern lustvoll Theater spielen. Was auch heißt: Unterhalten. Es gibt ein paar sehr witzige Momente, aber es läuft nicht auf Klamauk hinaus. Davor schützt schon die leise Sentimentalität dieser Musical-Welt, und eben auch der ständige Perspektivwechsel. In der Gewitterszene vor dem Finale fliegen dem Drehbuchautor die Seiten davon, und die sechs Personen der Haupthandlung - das Aschenputtel (italienisch: Cenerentola) Angelina, ihr Stiefvater Don Magnifico, die eitlen Stiefschwestern Clorinda und Tisbe, der als Diener (hier: Chauffeur) verkleidete Prinz Don Ramiro und der den Fürsten gebende Diener Dandini - setzen sie gemeinsam zusammen. Damit umgeht die Regie geschickt das etwas einfältige Märchenfinale mit Hochzeit und Vergebung. Angelina wendet sich am Ende nicht ihrem adeligen Liebhaber, sondern dem Drehbuchautor zu. Und damit bleibt das Ende letztendlich offen: Rossinis glückliches Finale erscheint als eine von vielen Möglichkeiten. Großer Ball im Palast
Die Sängerdarsteller passen optisch perfekt in ihre Rollen. Allen voran an diesem Abend Stefan Wolfgang Schwaiger als Diener Dandini, der mit dem Fürsten die Rolle tauscht und das mit bewundernswerter Eleganz und Perfektion: Ein Dandy durch und durch. Vokal könnte die schlanke, bewegliche Stimme noch ein wenig mehr sonoren Unterbau gebrauchen. Das gilt auch für den echten Prinzen, den Pablo Martinez mit leichtem, hellem Tenor gibt. An diesem Abend singt Anna Alás i Jové die Angelina mit interessantem Mezzotimbre und glasklaren Koloraturen. Im ersten Teil ist sie (Nervosität?) bei den Einsätzen gerne eine Zehntelsekunde zu spät, was bei den höllischen Rossini-Tempi viel ausmacht, im Laufe der Aufführung gewinnt sie erheblich an Souveränität und spielt und singt sich mehr und mehr ins Zentrum der Aufführung. Dem Stiefvater Don Magnifico gibt Omar Montanari komödiantischen Charme. Giulia Montanari ist eine soubrettenhaft leichte Clorinda, Charlotte Quadt eine klangschöne Tisbe. Christoph Seidl ist ein solider Alidoro, der sich über manche Koloratur hinwegmogelt. Angelina bedankt sich beim Drehbuchautor für das happy end
Am Pult des sehr agilen Gürzenich-Orchesters sorgt Matteo Beltrami einerseits für immer wieder atemlos drängende Tempi, aber auch für Ruhepunkte, in denen sich der verzierte Gesang entfalten kann. Der schlanke, nuancierte und sorgfältig durchgehörte Orchesterklang orientiert sich an der Rossini-Zeit. In der heiklen Akustik des Staatenhauses kann das Orchester die Sängerinnen und Sänger auch schon mal zudecken. Und auch wenn der ganz große stimmliche Glanz ausbleibt, gelingt doch eine auch musikalisch mitreißende, in den Ensembles gut durchgestaltete Aufführung.
Brillante Inszenierung, spritzige Musik: Mit punktgenauer Personenregie und Gespür für große Bilder funktioniert La Cenerentola mit manchen Brechungen auch als Revue in der Traumfabrik Hollywood ganz ausgezeichnet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Angelina
Don Ramiro
Dandini
Don Magnifico
Clorinda
Tisbe
Alidoro
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