Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Die olympischen Götter haben abgedanktVon Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
Da lacht der Kölner: Als Oberbürgermeisterin Henriette Rekers in einem ebenso kurzen wie missglückten Grußwort zum Amtsantritt des neuen Intendanten Hein Mulders diesem Erfolg bei der Beendigung des Interims im Deutzer Staatenhaus und der baldigen Rückkehr ins Opernhaus am Offenbachplatz wünscht, bricht Heiterkeit aus. An die Fertigstellung der Sanierung des Riphahn-Baus glaubt wohl keiner so recht. Da zeigt sich das Wahlvolk recht respektlos gegenüber dem pikierten Stadtoberhaupt. So kann es den hohen Herrschaften gehen, das muss Frau Rekers in den folgenden fünfeinviertel Stunden auch auf der Bühne mit ansehen. Da sind es gleich die zwölf olympischen Götter, die am Autoritätsverfall leiden und sich letztendlich zu Zirkusfiguren degradiert sehen. In ihren Visionen durchschaut Kassandra die Kriegslist, die hinter dem trojanischen Pferd steckt - allein, niemand wird ihr glauben.
Dabei sind es ja eigentlich diese olympischen Götter, die den Trojanischen Krieg gelenkt haben, mit dessen Ende und dem Untergang Trojas sich Hector Berlioz' Monumentalwerk Die Trojaner die ersten beiden Akte lang beschäftigt. Von dort schickt es den Helden Aeneas in die Welt, um das neue Troja zu gründen - das wird das römische Imperium sein, das sich in Vergils Epos damit auf Geheiß des Kaisers Augustus einen illustren Gründungsmythos verschafft und gleich noch den Herrscher zum Gottkaiser erhebt. (Soweit ist es freilich in der Oper noch lange nicht, da landet Aeneas erst einmal in Karthago, wo er drei Akte lang hin und hergerissen ist, ob er die Liebe zur Regentin Dido seinem historischen Auftrag vorziehen soll.) In der Inszenierung von Johannes Erath vollzieht Aeneas die Ablösung von den Göttern, die zunächst als schrilles postbarockes Ensemble auftreten, ungefähr so, wie einst Austro-Rocker Falco in seinem Song Rock me, Amadeus den göttlichen Mozart vom Klassik-Olymp in die Pop-Kultur bugsierte. Dieses immer weiter abhalfternde Trüppchen, von den Trojanern wie Karthagern regelrecht ausgeplündert, ist in der Oper gar nicht vorgesehen, sondern eine freie Zutat der Regie, die dann sogar zur zentralen Idee wird. Die Legitimation dieses Ansatzes über Augustus und Vergil ist allerdings argumentativ ein wenig dünn. Die Seherin und der Held: Kassandra und Aeneas
War diese Premiere nicht irgendwann einmal zur Wiedereröffnung des im Sanierungsstau steckenden Opernhauses gedacht? Die grand opéra könnte ja durchaus eine funktionierende Bühnentechnik und einen Orchestergraben gebrauchen, beides gibt es im Staatenhaus nicht. Johannes Erath bietet trotzdem ganz große Oper, die ja auch immer etwas von Zirkus hat, und so bildet die kreisrunde Bühne eine Art Manege, umgeben von einem Laufsteg (Bühne und Kostüme: Heike Scheele). Und in dieser Manege sitzt das riesige Orchester (die sechs Harfen passen nicht mehr hinein, die bleiben draußen), während sich die szenische Handlung auf eben diesem Laufsteg abspielt. Boshaft könnte man sagen: Die Inszenierung wird gegenüber der Musik zur Randerscheinung, und das trifft es tatsächlich ganz gut, denn das Ereignis des Abends ist zweifellos die Musik. Für Kölns französischen Chefdirigenten François-Xavier Roth dürfte das Hauptwerk seines Landsmanns eine Herzensangelegenheit sein, und mit dem phänomenalen Gürzenich-Orchester wie auch dem nicht minder grandiosen Chor und Zusatzchor (Einstudierung: Rustam Samedov) bringt er Berlioz' Musik zum Leuchten und Schillern, dass man gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommt. Dabei betont Roth das Heterogene, die plötzlichen Stimmungs- und Stilwechsel. Das betörende Liebesduett steht da neben grellem militaristischem Jubel. Aber selbst die Ballettmusiken, angesichts der Länge des Stückes natürliche Kandidaten für Striche und Kürzungen, entwickeln ihren eigenen Zauber, dass man keine Note missen möchte. Zudem sind einzelne Chor- und Orchestergruppen immer wieder hinter oder neben der Zuschauertribüne postiert, sodass man einen Raumklang erlebt, der seinesgleichen sucht. Da ist es dann doch nicht so schlecht, im Staatenhaus zu spielen. Strandleben in Karthago
Musikalisch ist das großes Welttheater, und insofern liegt die Regie von Johannes Erath ganz richtig, wenn sie das munter bebildert, im Shakespeare'schen Sinne Tragik auch mit absonderlicher Komik kontrastiert und das umfassende Theatererlebnis propagiert, mit teils comicartiger Überzeichnung. Ästhetisch gelingt das eindrucksvoll, wobei Erath hier seine ziemlich geniale Kölner Manon plündert, denn auch da gab es einen Laufsteg (damals gerade und nicht rund wie hier), farblich gab es den Kontrast von schwarz und weiß mit wenigen, wirkungsvoll gezielt eingestreuten Rot- und Pinktönen, und hier wie dort besticht das Bild durch unterkühlte Eleganz. In mancher Hinsicht sind diese Trojaner ein bildmächtiges Selbstzitat geworden. Natürlich ist die Inszenierung nicht historisch; die Antike sucht man gleich ganz vergeblich. Im Grunde begegnen wir modernen Menschen, wobei die Karthager mit ihrer prosperierenden Stadtgründung sich modisch am deutschen Wirtschaftswunder und den 1950er-Jahren orientieren. Viele Figuren erscheinen stilisiert; die wichtigste Ausnahme bildet Kassandra, die fluchbeladene Seherin, deren Prophezeiungen niemand glaubt. Isabelle Druet gibt ihr eine jugendlich-dramatische, flammende Stimme, und natürlich ist sie die Sympathieträgerin. Erath muss hier nichts weiter inszenieren, die beklemmende Aktualität liegt in der Luft: Auf der einen Seite die kriegsmüde Gesellschaft, die im legendären trojanischen Pferd ein Friedensangebot sieht, das man gar zu gerne annimmt; auf der anderen Kassandra, die (vergeblich) vor der Heimtücke der Aggressoren warnt. Die Geschichte (und damit auch diese Oper) gibt eine eindeutige Antwort. Der stilisierte Selbstmord der trojanischen Frauen, die damit der drohenden Vergewaltigung durch die Besatzungsarmee zuvorkommen, braucht kein Blut, um seine beklemmende Wirkung zu entfalten. Insik Choi singt einen soliden Chorébe, den Geliebten Kassandras, den die Regie mit edlem Gewand ausstattet, aber im Gesamtkonzept nicht weiter verorten kann. Dido und Aeneas
Sehr viel problematischer ist der Umgang der Regie mit der zweiten großen Frauenfigur, der karthagischen Herrscherin Dido, die wie ein verunglücktes Abbild von Elizabeth Taylor als Cleopatra auftritt (in einigen Szenen mit pinkfarbener Perücke), zudem offenbar drogenabhängig ist und keinen Anspruch stellt, ernstgenommen zu werden - damit fehlt dem längeren zweiten Teil der Oper die tragische Hauptrolle. Veronica Simeoni singt anrührend, auf der vokalen Bühne zumindest hört man eine um ihre große Liebe betrogene Frau, wenig divenhaft, im Timbre der Kassandra vielleicht allzu ähnlich. Szenisch ist davon leider nichts zu sehen, eine ziemlich nervige Figur, deren Schicksal man anteilnahmslos hinnimmt. Und auch mit dem Aeneas fühlt man nicht wirklich mit, ein selbstverliebter Schönling, dessen Gewissensqualen man nicht so recht glauben mag, auch wenn Enea Scala mit leicht baritonal timbriertem, höhensicherem, mehr italienischem als französischem Tenor stimmlich durchaus überzeugen kann. Szenisch ist er eine selbsternannte Lichtgestalt, so etwas wie der Christian Lindner der Antike (sein Fluchtmotto in Karthago: Besser nicht regieren als schlecht regieren), am Ende der neue Zirkusstar. Einer, der sich selbst für unwiderstehlich hält und Dido bereits abknutscht, als er laut Libretto eigentlich noch gar nicht aufgetreten ist, was seinem eigentlichen Auftrittsmoment das von Berlioz geplante Überraschungsmoment nimmt. Die Menschen eignen sich die Insignien der olympischen Götter an: Anna (Schwester Didos) und Minister Narbal
Desweiteren herrscht stimmlich nicht unbedingt übermäßiger Glanz, aber Zuverlässigkeit. Giulia Montanari singt einen knabenhaft strahlenden Ascanius, Sohn des Aeneas, Lucas Singer einen unscheinbaren Begleiter Panthus, hier mit allgegenwärtigem Aktenkoffer offenbar der Buchhalter des Aeneas. Adriana Bastidas-Gamboa ist eine ganz ordentliche Anna, Schwester Didos, Nicolas Cavallier ein mitunter etwas angestrengter Minister Narbal, der allzu gerne die Herrschaft über Karthago übernehmen möchte. Young Woo Kim singt ganz hübsch das wehmütige Lied des Matrosen Hylas zu Beginn des fünften Aktes, Dmitry Ivanchey einen virilen Iopas.
Es ist der Abend des François-Xavier Roth. Und der von Hector Berlioz. Dirigent, Chor und Orchester agieren auf allerhöchstem Niveau, das solide bis gute Solistenensemble schlägt sich wacker. Die Inszenierung hinterlässt ambivalente Eindrücke; die ziemlich kläglich verschenkte Dido-Handlung kann Johannes Erath auch durch manchen pointierten Einfall auf anderer Ebene nicht wettmachen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Co-Bühnenbild
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereTroja
Cassandre
Chorébe
Énée (Aeneas)
Panthée
Ascagne
Priam
Hécube
Helenus
L'ombre d'Hector
Un Chef grec
Karthago
Didon
Anna
Narbal
Énée (Aeneas)
Iopas
Panthée
Ascagne
Hylas
Premier soldat troyen
Deuxiéme soldat troyen
Le dieu Mercure
|
© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de