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Morden kann ganz einfach sein
Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Stutte Bei den neueren Musicals kommt es mittlerweile häufig vor, dass als Vorlage nicht ein Buch, sondern vielmehr eine Verfilmung dient. So haben sich auch der Textdichter Robert L. Freedman und der Komponist Steven Lutvak in den frühen 2000er Jahren überlegt, die makabre Krimikomödie Kind Hearts and Coronets, die in Deutschland unter dem Titel: Adel verpflichtet lief und in der Alec Guinness in acht Rollen der blaublütigen Adelsfamilie D'Ascoyne glänzte, als Musical zu vertonen. Der Weg erwies sich allerdings als äußerst steinig, da die fehlende Freigabe der Filmrechte viele Jahre verhinderte, dass das Stück auf die Bühne gebracht werden durfte. Erst im Oktober 2012 konnte die Musicalfassung schließlich durch die Theatergruppe von Hartford Stage in Hartford, Connecticut, in der Regie von Darko Tresnjak eine umjubelte Uraufführung feiern. Nach der Broadway Premiere am 17. November 2013 wurde das Musical 2014 unter anderem mit vier Tony Awards und sieben Drama Desk Awards ausgezeichnet und erhielt 2015 sogar eine Grammy-Nominierung. Am 24. September 2021 erlebte es schließlich in der Übersetzung von Daniel Große Boymann am Landestheater Detmold seine deutschsprachige Erstaufführung und feiert nun auf den Tag genau ein Jahr später in einer neuen Produktion Premiere im Theater Krefeld. Miss Shingle (Debra Hays) hat eine Nachricht für Monty (Oliver Arno), die sein Leben verändert. Das Musical übernimmt aus dem legendären Film von 1949 die Idee, alle acht Mitglieder der adeligen Familie, die nacheinander das Zeitliche segnen, von einem einzigen Schauspieler darstellen zu lassen. Ansonsten geht das Musical ähnlich frei mit der Filmvorlage um wie der Film mit dem 1907 erschienenen Roman Israel Rank: The Autobiography of a Criminal des britischen Schriftstellers Roy Horniman, auf dem der Film basiert. Montague "Monty" Navarro (im Roman: Israel Rank, im Film: Louis Mazzini) wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und erfährt nach dem Tod seiner Mutter von deren Freundin Miss Shingle, dass er in Wahrheit ein Spross der berühmten Adelsfamilie D'Ysquith (im Roman: Gascoyne, im Film: D'Ascoyne) ist. Als er Kontakt zu seinen blaublütigen Verwandten aufnehmen will, wird er jedoch brüsk zurückgewiesen. Schließlich sucht er Hilfe beim Reverend Lord Ezekiel D'Ysquith, der allerdings alkoholisiert bei einer Turmführung in den Tod stürzt. Daraufhin beschließt Monty, diesem "Unfall" weitere folgen zu lassen, um doch noch einen Anspruch auf das Familienerbe zu erhalten. So kommen nach und nach die D'Ysquiths, die in der Erbfolge vor Monty stehen, auf mysteriöse Weise zu Tode, bis schließlich nur noch Lord Adalbert D'Ysquith Montys Ernennung zum Lord im Wege steht. Als er diesen mit Gift ins Jenseits befördern will, kommt ihm jedoch jemand zuvor. Dennoch wird er verhaftet und soll zum Tode verurteilt werden. Dank seiner Gattin Phoebe D'Ysquith und seiner Geliebten Sibella kommt er jedoch frei. Doch das Happy End wird in Frage gestellt, da er beim Verlassen der Zelle auf einen Wärter trifft, der wie Monty ein verstoßener Anwärter auf den Adelstitel ist. Monty (Oliver Arno) ist Sibella (Rahel Antonia Wissinger) verfallen. Das Regie-Team um Thomas Weber-Schallauer setzt die temporeiche schwarze Komödie mit großartigen Bildern um. Ausstatter Siegfried E. Mayer arbeitet dabei mit Projektionen im Stile der Graphic Novel, die in Zeichnungen von Peter Schmitz den Hintergrund der einzelnen Szenen bilden. Als Vorhang fungiert eine Art Irisblende. In einem großen Oval kann sie auf- und zugehen und gibt den Blick auf kleinere und größere Räume frei. Rechts und links von der Bühne befindet sich die Gefängniszelle, in der das Stück beginnt. Monty geht zu Beginn davon aus, dass er für den Mord am letzten Lord D'Ysquith, den er nicht begangen hat, verurteilt und hingerichtet wird, und beschließt, in der Zelle vor seinem Tod in seinen Memoiren die übrigen Morde zu gestehen. Eine riesige Maus auf der rechten Seite, auf der sein Bett steht, und ein Skelett, das wohl für die zahlreichen Toten steht, sind hier seine Begleiter, denen er quasi seine Geschichte erzählt. Immer wieder kehrt er im Verlauf der Handlung in diese Erzählung zurück, bevor er zum nächsten Unfall wechselt. Die Kostüme, für die ebenfalls Mayer verantwortlich zeichnet, fangen die Atmosphäre des Englands der Jahrhundertwende großartig ein. Phoebe D'Ysquith (Gabriela Kuhn) liebt Monty (Oliver Arno) (im Hintergrund: Henry D'Ysquith (Markus Heinrich) im fatalen Kampf mit den Bienen). In diesem Ambiente bietet Weber-Schallauer seinem Ensemble mit einer ausgeklügelten Personenregie alle Möglichkeiten, den bissigen Humor der Vorlage herauszuarbeiten. Da ist zunächst einmal Markus Heinrich zu nennen, der sich in Windeseile in die unterschiedlichen Familienangehörigen der D'Ysquiths verwandeln muss und dem es vorzüglich gelingt, jeden dieser acht Charaktere mit einem anderen Spleen auszustatten, den das Publikum dazu verleitet, den jeweiligen Tod der Figur als wenig tragisch zu betrachten. Mit großem Spielwitz und vorstehenden Zähnen mimt er zunächst den stark alkoholisierten Reverend Lord Ezekiel D'Ysquith als bigotten Pfarrer, dessen Nächstenliebe sofort aufhört, wenn es um einen neuen Anwärter auf die Erbfolge geht. Da fragt man sich als Zuschauer*in, ob man diesem unsympathischen Charakter denn selbst die Hand gereicht hätte, um den Sturz vom Turm zu verhindern. Auch mit dem lüsternen Asquith D'Ysquith, Jr., der beim Eislaufen seine Finger nicht bei sich behalten kann und seiner jungen blonden Geliebten gegenüber unangenehm zudringlich wird, empfindet man kein großes Mitgefühl, wenn er im von Monty gesägten Loch im zugefrorenen See versinkt. Als Henry D'Ysquith, der mehr an Männern als an Frauen interessiert ist, setzt Heinrich dann ganz andere Akzente und verleiht dessen Tod, wenn er von seinen eigenen Bienen zu Tode gestochen wird, eine bissige Komik. Die absolute Paraderolle für Heinrich im Reigen der skurrilen Charaktere ist die schrullige alte Lady Hyacinth D'Ysquith, die zunächst scheinbar nicht totzukriegen ist. So überlebt sie die ersten beiden Katastrophengebiete, in die Monty sie schickt, und fällt erst beim dritten Versuch einem Stamm von Menschenfressern zum Opfer. Am Ende übernimmt Heinrich dann auch noch den Gefängniswärter, der sich vielleicht von Montys Werdegang hat inspirieren lassen. Lady Hyacinth D'Ysquith (Markus Heinrich, mit Ensemble) will die Welt retten. Bei allem Glanz von Heinrichs Spiel wird der Abend allerdings nicht zu einer One-Man-Show. Auch die übrigen Rollen sind hervorragend besetzt. Oliver Arno gibt den "Unfallmörder" Monty als netten Jungen, der sich ja eigentlich nur ein bisschen Verständnis und Akzeptanz gewünscht hätte. Dabei sind ihm auch wunderbare Pointen in den Text gelegt, wenn er zum Beispiel kommentiert, dass seine Braut Phoebe glücklicherweise nicht vor ihm in der Erbfolge gestanden habe. Anders als im Film kann er verhindern, dass seine Memoiren an die Öffentlichkeit gelangen, da er sie bei seiner Entlassung von dem leicht dümmlichen Polizisten ausgehändigt bekommt. Rahel Antonia Wissinger legt Montys Freundin Sibella, die zwar von Monty nicht lassen kann, aber dennoch lieber den reichen aber langweiligen Lionel Holland geheiratet hat, recht verführerisch an. Mit herrlicher Slapstick-Komik glänzen sie und Arno, wenn ihr Schäferstündchen plötzlich von Phoebe gestört wird, und Monty verzweifelt versucht, die beiden Frauen voreinander zu verbergen. Gabriela Kuhn ist als Phoebe eine der ganz wenigen sympathischen Familienangehörigen der D'Ysquiths und entfaltet ihre Komik vor allem in einer gehörigen Portion Naivität. Debra Hays hat als Miss Shingle ihr ganz eigenes Geheimnis. Die Musik von Lutvak ist rasant und abwechslungsreich wie die Handlung und bietet im Spiel der Niederrheinischen Symphoniker unter der Leitung von GMD Mihkel Kütson beste Unterhaltung. Auch die übrigen Rollen sind großartig besetzt, so dass es großen und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt. FAZIT Häufig kann eine musikalische Umsetzung eines Films dem Vergleich mit dem Original nicht standhalten. Lutvaks und Freedmans Musical ist der Vorlage aber durchaus ebenbürtig. Thomas Weber-Schallauer bietet mit einem spielfreudigen Ensemble herrlich makabre Unterhaltung.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie Animierte Illustration
Dramaturgie
Niederrheinische Sinfoniker Statisterie des Theaters Krefeld Mönchengladbach
Solistinnen und Solisten
Montague "Monty" Navarro Miss Shingle
Sibella Hallward
Phoebe D'Ysquith Die D'Ysquith-Familie Frau
#1 Frau #2
Frau #3 Mann #1 Mann #2
Mann #3
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