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Ein dramatischer Fall von Mädchenhandel
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Gerade einmal 15 Jahre alt ist Puccinis Heldin Cho-Cho-San, genannt Madama Butterfly, gemäß dem Libretto. Wenn sie mit dem schneidigen amerikanischen Marineoffizier Pinkerton "verheiratet" wird, dann stellt das für ihn ein legitimes und jederzeit "kündbares" Verhältnis sexueller Ausbeutung dar, für sie die (völlig unrealistische) Utopie von echter Liebe und sozialem Aufstieg. Im Grunde ist diese Oper ein Skandalstück. Das Alter des Mädchens wurde in deutschen Übersetzungen nicht ohne Grund oft verschämt auf 17 Jahre hochgesetzt. In der Bühnenwirklichkeit hat das keine große Bedeutung, denn wer die dramatische Partie singen kann, hat in aller Regel ein deutlich höheres Alter, und das verschiebt die Akzente: In der Wahrnehmung ist die Butterfly dann doch die verlassene Frau. Die Altersangabe aus dem Libretto ignoriert man geflissentlich. In dieser Produktion allerdings rücken die Regisseurinnen Beverly und Rebecca Blankenship manches zurecht, was sich in der Rezeption der Oper verschoben hat. Und das gelingt durchaus spektakulär. Hochzeit mit Minderjähriger als Geschäftsmodell: Pinkerton und Suzuki, dazwischen die 15jährige Cho-Cho-San ("Butterfly 15")
Zunächst setzt die Inszenierung einen klaren Rahmen: Es geht um Frauenhandel und Zwangsprostitution, und das nicht im historischen Japan, sondern irgendwo (und überall) in der Gegenwart. Ein Container als zentrales (und extrem variables) Bühnenelement macht das erschreckend deutlich. Hier werden Frauen und Mädchen eingesperrt, hier stehen später die Kunden Schlange. Cho-Cho-San wird von ihrer verarmten Familie ohne große Skrupel verkauft, und Geld wechselt bündelweise die Besitzer. Käuflich ist in dieser Welt eben fast alles, auch die Menschen - die einen müssen ihre Körper gegen Geld anbieten, die anderen verkaufen ihre Moral. Der Clou der Regie besteht darin, dass Puccinis Oper dabei keineswegs dekonstruiert wird; vielmehr wird das sozialkritische Potential ernst (und beim Wort) genommen, und das bedeutet auch: Die beiden Regie führenden Schwestern erzählen eine große, hochemotionale Geschichte im Sinne Puccinis und seiner Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa, in den zentralen Abschnitten sogar recht konventionell. Ein Moment des Glücks: Pinkerton und Cho-Cho-San im Finale des ersten Aufzugs. (Auf allen Bildern: Yibao Chen als Cho-Cho-San; die Sängerin der besprochenen Aufführung, Yeonjoo Park, sieht ihr im Kostüm aber ziemlich ähnlich.)
Getragen wird das Konzept vom ziemlich genialen Bühnenbild (Ausstattung: Kirsten Dephoff). Der trostlose Container auf der Drehbühne kann auf einer der Längsseiten durch scheinbar federleichte Schiebetüren geöffnet werden und verwandelt sich damit auf bitterböse Weise in ein japanisches Haus, wie man es aus diversen anderen Inszenierungen kennt. Und am Ende des ersten Aktes im Liebesduett von Pinkerton und Cho-Cho-San stellt sich tatsächlich die Illusion von Glück ein (wozu sich auf Schnipsen Pinkertons etliche rote Lampions vom Bühnenhimmel herabsenken - mit Geld ist eben auch die passende Stimmung zu haben, und dennoch entwickelt dieses Bild durchaus einige Poesie). Die Regie hält die Geschichte permanent in der Schwebe zwischen einer immer wieder realistischen Erzählweise und einer deutlichen Abstraktion. Die Bühne wird begrenzt durch Wände, auf denen in diversen Sprachen die Begriffe "Frauenrechte", "Menschenrechte", "Würde" und "Freiheit" zu lesen sind; darübergemalt sind die japanischen Schriftzeichen für das Wort "Freiheit". Das individuelle Schicksal der 15-jährigen Cho-Cho-San wird somit überhöht in eine allgemeine Anklage bestehenden Unrechts. Dass die Auswahl der im Bühnenbild verwendeten Sprachen laut Programmheft die 34 verschiedenen Muttersprachen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am den Vereinigten Bühnen Krefeld-Mönchengladbach abbildet, ist mehr als eine nette Geste. Hier positioniert sich ein Theater und definiert sich über eine politische Inszenierung, die aber immer auch sinnlich und emotional erlebbar ist. Illusion von Glück: Cho-Cho-San im zweiten Aufzug. Realistin Suzuki (unten) sieht das Unheil kommen.
Die Regie fügt eine zusätzliche stumme Rolle ein, die mit "Butterfly 15" bezeichnet ist. Die zierliche taiwanesische Tänzerin Tzu-Yin Liou agiert wie das 15-jährige Mädchen, wobei die Figur nicht die Titelrolle doppelt, sondern in einigen Szenen wie ein Kommentar eingeschoben wird - die Idee könnte ruhig noch stärker ausgebaut werden; sie verliert im Verlauf der Aufführung einiges an Wirkung. Gesungen wird die Butterfly in der hier besprochenen Aufführung von Yeonjoo Park, kurzfristig für die erkrankte Yibao Chen eingesprungen. Die Koreanerin singt mit mädchenhaft heller, gleichzeitig dramatisch großer Stimme, die Kraft hat für die ganz großen Ausbrüche, aber auch mit schönen leisen Tönen aufwartet. Da kann Milen Bozhkov mit standfestem, nicht allzu geschmeidigem Tenor als Pinkerton nicht mithalten, ist aber gleichwohl eine sehr ordentliche Besetzung. Rafael Bruck ist ein stimmlich schlanker, am Ende des Abends in der Höhe überforderter Konsul Sharpless, der sich auch das eine oder andere Geldbündel zustecken lässt, gleichwohl als (glaubwürdiger) Mahner auftritt. Überhaupt zeichnet sich die Regie auch dadurch aus, dass sie die Figuren nicht eindimensional abstempelt, sondern vielschichtig mit inneren Brüchen darstellt. Das gilt auch für Dienerin Suzuki (souverän: Susanne Seefing), die janusköpfig Cho-Cho-Sans Vertraute und doch Vertreterin des perfiden Ausbeutersystems ist. Cho-Cho-Sans Kind ist hier ein Mädchen (im Libretto ist es ein Junge), und es zeichnet sich ab, dass diesem Kind ebenfalls der frühe Weg in die Zwangsprostitution droht. Das beglaubigt das Finale mit Butterflys Verzicht auf das Kind, das seinem amerikanischen Vater und dessen "richtiger" Ehefrau in ein hoffentlich besseres bürgerliches Leben folgen wird. Das Ende: Pinkerton (in weiß) mit Gattin Kate (rechts) möchten Cho-Cho-Sans Kind abholen, Suzuki und Konsul Sharpless bemühen sich um Schadensbegrenzung
Die Geschichte funktioniert in ihrer Gegenwärtigkeit gut, auch weil im farblich strengen, auf die Farben weiß, rot und schwarz reduzierten Bühnenbild (allein der Konsul weicht mit blauem Anzug ab) immer wieder bewusst artifiziell asiatische Elemente aufgegriffen werden - Puccinis Japan-Sehnsucht kommt zu ihrem Recht. GMD Mihkel Kütson macht mit den bestens aufgelegten Niederrheinischen Sinfonikern musikalisch große Oper daraus. Auch die pathetischen Momente bekommen Raum (und Kütson kostet manche Fortissimo-Stelle genussvoll aus - Yeonjoo Park als Butterfly überstrahlt das Orchester trotzdem), wird aber nie sentimental. Vielmehr ist der Orchesterklang oft schneidend scharf. Aber es wird auch im Pianissimo gezaubert, insbesondere im "Summchor" am Ende des zweiten Aktes, den der ausgezeichnete Opernchor (Einstudierung: Michael Preiser) glasklar und entrückt singt. Die mitunter schwer zu ertragenden Bilder und die betörende Musik stehen dabei keineswegs im Widerspruch. Eine Welt, in der es solche Schönheit gibt, darf Kinder- und Frauenschicksale wie das der Butterfly nicht zulassen, das ist die Botschaft.
Nicht nur die musikalische Umsetzung ist ein starkes Stück: Beverly und Rebecca Blankenship gelingt es, Madama Butterfly eminent politisch zu inszenieren (übrigens ohne jeden billigen Antiamerikanismus), ohne die emotionale Wirkung der Oper zu beschneiden. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Cho-Cho-San, Butterfly
Butterfly 15
Suzuki
Kate Pinkerton
B.F. Pinkerton
Sharpless
Goro
Yamadori
Onkel Bonze
Yakusidé
Kommissar
Die Mutter Cho-Cho-Sans
Die Base
Die Tante
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