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Unbekannter Verdi in Liège Von Thomas Molke / Fotos: © Opéra Royale de Wallonie-Liège / Jonathan Berger Verdis Alzira gehört zu den unbekanntesten Werken des berühmten italienischen Opernkomponisten, der bis heute mit Opern wie Rigoletto, La traviata, Il trovatore und Nabucco fester Bestandteil an jedem Musiktheater ist. Selbst soll er dieses Werk einmal als seine "schlechteste Oper" bezeichnet haben. Alzira entstand während der sogenannten "Galeerenjahre", in denen Verdi nach seinem Erfolg mit Nabucco nahezu jeden Kompositionsauftrag annahm und in rascher Folge bis zum Rigoletto 1851 13 Opern komponierte. Dabei hatte er gerade in Alzira große Erwartungen gesteckt. Schließlich kam der Auftrag vom Teatro di San Carlo in Neapel, dem damals angesagtesten Opernhaus. Als Textvorlage wählte er Voltaires Alzire ou les Américains, eine Tragödie in fünf Aufzügen, die am 27. Januar 1736 in Paris uraufgeführt worden war und sich zu einem der beliebtesten Bühnenstücke des Autors entwickelt hatte. Doch die Arbeit des Librettisten Salvatore Cammarano ging nicht so schnell voran, wie Verdi es sich vorstellte, so dass ihm wenig Zeit für die Komposition blieb. Dann fiel auch noch die Titelpartie wegen Schwangerschaft aus, und Verdis gesundheitliche Probleme führten zu weiteren Verzögerungen. Als das Werk schließlich am 12. August 1845 in Neapel seine Uraufführung erlebte, war es mit zwei Akten und einem Prolog Verdis kürzeste Oper und wurde vom Publikum relativ verhalten aufgenommen. Auch eine Neueinstudierung ein Jahr später an der Mailänder Scala brachte nicht den erhofften Erfolg, so dass das Stück vom Spielplan verschwand. 2018 hat man sich nun anlässlich einer Jahresfeier in Peru entschieden, dieses Stück am Ort der Handlung neu einzustudieren. Eigentlich sollte diese Produktion bereits 2020 in Liège zu erleben sein, was allerdings die Corona-Pandemie verhinderte. Zamoro (Luciano Ganci, Mitte) will mit den Inkas Alzira befreien. Die Geschichte spielt Mitte des 16. Jahrhunderts zur Zeit der spanischen Eroberung Perus. Alvaro, der spanische Gouverneur von Peru ist in die Hände von Inka-Kriegern unter der Leitung von Otumbo gefallen, der ihn töten will. Doch Zamoro, der Häuptling eines Inkastammes, der aus der spanischen Gefangenschaft entkommen ist, lässt Gnade walten und schenkt Alvaro die Freiheit. Als er kurz darauf erfährt, dass seine Braut Alzira gemeinsam mit ihrem Vater Ataliba, dem Häuptling eines anderen Inkastammes, von Alvaros Sohn Gusmano gefangengenommen worden ist und diesen heiraten soll, schwört er Rache und begibt sich nach Lima. Dort will Gusmano durch die Hochzeit mit Alzira den Frieden zwischen Inkas und Spaniern festigen. Doch Alzira trauert um ihren Geliebten Zamoro, den sie für tot hält. Als er überraschend bei ihr auftaucht, werden die beiden von Gusmano entdeckt. Gusmano will den Rivalen sofort töten, doch sein Vater Alvaro erkennt in ihm seinen Retter und bewirkt Zamaros Freilassung. Es kommt zu einem erneuten Kampf zwischen Spaniern und Inkas, bei dem die Inkas unterliegen und Zamoro erneut in Gefangenschaft gerät. Gusmano stellt Alzira vor die Wahl. Entweder sie heiratet ihn, oder Zamoro wird hingerichtet. Schweren Herzens entschließt sich Alzira, das Leben des Geliebten zu retten. Doch Zamoro kann mit Otumbos Hilfe erneut aus der Gefangenschaft entkommen und schleicht sich als spanischer Grande verkleidet zu den Hochzeitsfeierlichkeiten. Kurz vor der Eheschließung erdolcht er Gusmano und fordert die Spanier auf, ihn zu töten. Doch sterbend besinnt sich Gusmano seiner christlichen Ideale, vergibt seinem Mörder und schenkt Zamoro und Alzira die Freiheit. Kurzer Moment des Glücks: Alzira (Francesca Dotto) und Zamoro (Luciano Ganci) Das Regie-Team um Jean Pierre Gamarra verbindet in der Inszenierung mehrere Zeitschienen, die jeweils einen Bezug zur Unterdrückung der indigenen Bevölkerung Perus haben. So werden beispielsweise zu Beginn des ersten Aktes Tondokumente der Prozesse aus den Jahren 2002 und 2003 eingespielt, in denen die Regierung des Diktators Alberto Fujimori für schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die indigene Landbevölkerung in der Zeit von 1996 bis 2001 angeklagt wurde. Die Kostüme von Lorenzo Albani legen sich zeitlich ebenfalls nicht fest. Die Inkas wirken im Prolog mit ihren Indio-Mützen relativ modern, während die Spanier im ersten Akt mit ihren hohen Zylindern optisch an das 18./19. Jahrhundert erinnern. Erst bei der Hochzeit im zweiten Akt wählt Albani für Gusmano, Alzira und Zamoro eine Kostümierung, die der Zeit, in der die Geschichte spielt, nahekommt. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Albani verantwortlich zeichnet, fängt auf einem Podest mit einem Feld mit hohen Sträuchern zu Beginn einen Hauch von der Urbevölkerung ein, die von den Spaniern unterjocht worden ist. Schließlich umfasst dieses Feld nur einen begrenzten Teil der Bühne und wird auf drei Seiten von Kettenvorhängen umgeben, die gleichzeitig auch die Eroberung symbolisieren. Im ersten Akt werden außerdem im Hintergrund mehrere Plastikvorhänge herabgelassen, die mit dem kalten Licht aus dem Schnürboden und den Ketten den Eindruck einer Folterkammer entstehen lassen. Alzira ist im ersten Akt auf diesem Feld eine Gefangene, die keine Chance hat, ihrem Schicksal zu entkommen. So wird am Ende des ersten Aktes das Feld mit ihr nach oben gezogen. Alvaro (Luca Dall'Amico, links oben auf dem Podest) fordert seinen Sohn Gusmano (Giovanni Meoni, Mitte) auf, Zamoro (Luciano Ganci, rechts oben sitzend auf dem Podest) zu begnadigen (Mitte: Alzira (Francesca Dotto), ganz links: Ataliba (Roger Joakim)). Gamarros Personenregie lässt den Figuren viel Raum und konzentriert sich ganz auf die Musik, und da hört man sehr viel, was vertraut klingt, auch wenn man diese Oper noch nicht gesehen hat. An zwei Stellen lässt sich allerdings durchaus erkennen, dass Verdi dieses Werk in relativ kurzer Zeit vollendet hat und ihm der letzte Schliff fehlt. Da ist zunächst die Ouvertüre zu nennen, die im ersten Teil relativ naiv fröhlich daherkommt und in keinem Moment den Eindruck erweckt, dass es sich hierbei um eine Tragödie handelt. Vielleicht soll damit die glückliche Zeit Alziras und Zamoros vor der Eroberung angedeutet werden, die in der Oper allerdings gar nicht vorkommt und daher auch an dieser Stelle deplatziert wirkt. Die leichten Töne gehen in einen "typischen frühen" Verdi über. Hier lässt Nabucco grüßen, was wohl für die Ankunft der Eroberer steht. Im weiteren Verlauf der Ouvertüre kann man sich nicht so recht entscheiden, welches Thema hier eigentlich anklingt. Das ist zwar alles nett anzuhören und wird vom Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège unter der Leitung von Giampaolo Bisanti mit viel Verve umgesetzt, klingt aber insgesamt zu beliebig und wenig auf die Handlung fokussiert. Der zweite Schwachpunkt ist das abrupte Ende. Hier fehlt jegliche Motivation, wieso Gusmano auf einmal seine Meinung ändert. Verdi hat den Schluss zwar eindrucksvoll in Musik gesetzt, aber inhaltlich nachvollziehbar ist das nicht. Hier hätte die Regie vielleicht eine Hilfestellung leisten können und alles als eine traumhafte Utopie enttarnen können. Stattdessen überlegen Alzira und Zamoro nur, ob sie nach der Königskrone greifen sollen, die vor ihnen liegt. Gusmano (Giovanni Meoni, Mitte) vergibt Alzira (Francesca Dotto) und Zamoro (Luciano Ganci, rechts) (mit dem Chor links: Alvaro (Luca Dall'Amico), mit dem Chor rechts: Ataliba (Roger Joakim)). Sieht man von diesen beiden Aspekten ab, bietet Verdis vernachlässigtes Werk Musikgenuss vom Feinsten, der in Liège von einem hervorragenden Ensemble getragen wird. Da ist zunächst Luciano Ganci als Zamoro zu nennen. Mit kraftvollem Tenor und sauber ausgesungenen Höhen lässt er den Inka-Häuptling zu einem wahren Helden avancieren. Ein erster musikalischer Höhepunkt ist seine große Arie im Prolog, in der er beschließt, Alvaro zu verschonen. Hier punktet er mit strahlenden Spitzentönen, die er obendrein recht lang zelebriert. Francesca Dotto findet in der Titelpartie im Duett mit ihm zu einer betörenden Innigkeit. Mit flexibler Stimme macht sie die Gefühlsschwankungen Alziras deutlich und wechselt zwischen leuchtenden Höhen, die die Reinheit der Figur unterstreichen, und nahezu gebrochenen Tönen, die ihre Verzweiflung manifestieren. Ein Höhepunkt ist ihre große Arie im ersten Akt, in der sie davon träumt, mit ihrem Geliebten Zamoro wieder vereint zu sein. Giovanni Meoni punktet als Bösewicht Gusmano mit hartem Bariton, der betont, dass er mit seinen Feinden keine Gnade kennt. Dennoch gelingt es ihm auch stimmlich, seine Schwäche für Alzira glaubhaft herauszuarbeiten. Das Terzett der drei am Ende der Oper kann, auch wenn es inhaltlich absolut unmotiviert ist, als weitere musikalische Perle des Abends beschrieben werden, die von Ganci, Dotto und Meoni wunderbar umgesetzt wird. Auch die übrigen Partien lassen keine Wünsche offen. Luca Dall'Amico stattet den Gouverneur Alvaro mit dunklem Bass aus. Roger Joakim ist als Alziras Vater Ataliba eine in Liège gewohnt zuverlässige Bank. Marie-Catherine Baclin lässt als Alziras Vertraute Zuma mit sattem Mezzo aufhorchen. Zeno Popescu überzeugt als Otumbo mit kraftvollem Tenor. Der von Denis Segond einstudierte Chor der Opéra Royal de Wallonie-Liège punktet mit kraftvollem Klang bei den Herren, wenn die Inkas zum Widerstand gegen die Spanier aufrufen, und gefühlvollen Tönen bei den Damen, wenn sie mit Alziras Schicksal mitleiden. Giampaolo Bisanti zaubert mit dem Orchester einen leichten Verdi-Klang aus dem Graben, wie es für den frühen Verdi typisch ist, so dass es für alle Beteiligten lang anhaltenden Applaus gibt und der Abend auch durch den Zwischenapplaus insgesamt eine Viertelstunde länger wird, als er im Programmheft ausgewiesen ist. FAZIT Alzira ist sicherlich nicht Verdis beste Oper, hat es aber dennoch verdient, auf dem Spielplan zu stehen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Licht Bühnenbild und Kostüme Chorleitung
Orchester und Chor
Solistinnen und SolistenAlzira Zamoro Gusmano Alvaro Ataliba Zuma Otumbo Ovando
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