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Maskenball am Film-Set Von Thomas Molke / Fotos: © Opéra Royale de Wallonie-Liège / Jonathan Berger Obwohl der gerade mal 24-jährige Gioachino Rossini bei der Uraufführung seines Dramma buffo Il turco in Italia erst vier Jahre im Operngeschäft tätig war, handelte es sich bei diesem Werk bereits um seine 13. Oper. Nachdem zunächst Venedig das Zentrum seines kompositorischen Schaffens gewesen war, konnte er 1812 am Teatro alla Scala mit La pietra del paragone einen so großen Erfolg verbuchen, dass weitere Kompositionsaufträge für Mailand folgten. Nach der Opera seria Aureliano in Palmira 1813 griff er ein Jahr später mit Il turco in Italia auf einen Stoff zurück, der bereits 1794 von Franz Xaver Süßmayer auf ein Libretto des Dresdner Hofdichters Caterino Mazzolà vertont worden war. Der Uraufführung am 14 August 1814 war allerdings kein großer Erfolg beschieden, und die erste Produktion brachte es lediglich auf vierzehn Vorstellungen. Vielleicht lag es daran, dass ein Großteil der Komposition nicht von Rossini stammte. So ließ er nicht nur die Secco-Rezitative und Albazars Sorbetto-Arie von einem Mitarbeiter anfertigen, sondern vertraute diesem auch noch die Kavatine des Don Geronio und das komplette zweite Finale an. Vielleicht schockierte allerdings auch das freizügige Verhalten einer italienischen Frau, die ihren Gatten offen betrügt, das damals vorherrschende Moralverständnis. Fiorilla (Elena Galitskaya) ist von ihrem Ehemann Don Geronio (Bruno De Simone) genervt. Verglichen wird die Oper häufig mit der ein Jahr zuvor entstandenen L'italiana in Algeri, wobei es nicht nur musikalisch gravierende Unterschiede zwischen den beiden sogenannten "Türkenopern" gibt. Während es nämlich Isabella, die Titelfigur in L'italiana in Algeri, in den Orient verschlägt, um ihren Geliebten Lindoro zu befreien, der bei Mustafà gefangen gehalten wird, - Mozarts Entführung aus dem Serail lässt grüßen, nur mit nahezu vertauschten Rollen -, kommt in Il turco der reiche Türke Selim nach Italien, um sich dort nach europäischen Frauen umzusehen. Isabella avanciert im folgenden Verlauf der Oper zur Heldin und spielt nur mit Mustafà, wohingegen Fiorilla in Il turco keineswegs hehre Ziele verfolgt. Sie ist nämlich nicht nur mit ihrem älteren Gatten Don Geronio unglücklich, sondern findet auch in der Beziehung zu ihrem Liebhaber Don Narciso keine rechte Befriedigung mehr. So kommt ihr der Türke mehr als gelegen, um ihrem tristen Alltag zu entfliehen. Dabei hat sie aber die Rechnung ohne Zaida gemacht, die einst von Selim der Untreue bezichtigt und aus dem Serail vertrieben worden ist und sich nun mit dem treuen Diener Albazar als Wahrsagerin verdingt. So kommt es zum handfesten Streit zwischen den beiden Frauen. Selim bietet mittlerweile Don Geronio Geld dafür an, dass dieser ihm Fiorilla überlässt, woraufhin Don Geronio dem Türken empört eine Tracht Prügel androht. Also beschließt Selim, Fiorilla auf einem Maskenball zu entführen. Doch Zaida und Don Narciso tragen auf dem Fest die gleichen Kostüme wie Selim und Fiorilla, so dass es zu einer Verwechslung kommt. Selim entscheidet sich schließlich für Zaida und kehrt mit ihr in seine Heimat zurück, während sich Don Geronio von Fiorilla trennen möchte. Doch auch Don Narciso möchte Fiorilla nicht mehr haben, so dass sie schließlich allein ist und ihr Verhalten bereut. Don Geronio ist bereit, ihr zu verzeihen und sie wieder bei sich aufzunehmen, und so gibt es am Ende zwei "glückliche" Paare. Da scheint der Türke Selim (Guido Loconsolo) eine bessere Partie zu sein. Eingebettet ist diese Komödie in eine Rahmenhandlung um den Dichter Prosdocimo, der verzweifelt auf der Suche nach einer Inspiration für sein neues Stück ist. Da kommen ihm Selim, Fiorilla, Zaida und Don Geronio gerade recht, und so greift er auch aktiv ins Geschehen ein, um die Situation für die einzelnen Figuren auf die Spitze zu treiben. Das Regie-Team um Fabrice Murgia betrachtet ihn als einen Filmemacher und siedelt die ganze Geschichte auf einem Film-Set an. Zu Beginn sieht man in einer Projektion ein Bild, das stark an die berühmte Liebesszene zwischen Rhett Butler und Scarlett O'Hara aus Gone With the Wind erinnert. Ein Werk dieser Größe möchte Prosdocimo in Murgias Inszenierung wohl schaffen und sucht dafür nach einer geeigneten Geschichte. Auf der rechten Bühnenseite steht ein kleiner Kamerawagen, von dem aus das Geschehen auf der Bühne überwacht und geleitet wird. Von hier zieht Prosdocimo zunächst die Fäden, bevor er aktiv in das Geschehen auf der Bühne eingreift. Der Chor, Zaida und Albazar sind bunt kostümiert und deuten an, dass die Richtung, in die dieser Film gehen soll, wohl noch nicht ganz klar ist. Im Hintergrund sieht man einen großen zweiteiligen Kastenwagen. Der rechte Teil stellt die Garderobe Fiorillas dar, die wohl so etwas wie die Diva am Set ist. Auf der linken Seite befindet sich eine Art Büro, in dem Don Geronio sitzt. Ist er vielleicht sogar der Produktionschef, auch wenn er im weiteren Verlauf Teil der Geschichte wird? Mit einem weiteren Wagen wird dann Selim hereingefahren, der im weißen Anzug mit machohaften Allüren wohl der weitere Star am Set ist. Da ist es für Fiorilla natürlich klar, dass sie diesen attraktiven Mann erobern will und weder Don Narciso noch Don Geronio ihm das Wasser reichen können. Zaida (Julie Bailly) will Selim zurückerobern. In diesem Ambiente entfaltet Murgia nun in einer ausgeklügelten Personenregie die Geschichte mit großartiger Komik. Dabei werden die Szenen teilweise von Handkameras begleitet und direkt auf die Front des jeweils geschlossenen Kastenwagenteils projiziert. So bekommt man die Protagonistinnen und Protagonisten in Großaufnahme und kann sich von ihrer großartigen Mimik noch besser überzeugen. Beim Finale des ersten Aktes geht es auf der Bühne dann auch richtig zur Sache. Fiorilla und Zaida streiten nicht nur mit Worten, sondern zum Ende hin gibt Fiorilla ihrer Rivalin eine überzeugend wirkende Kopfnuss. Beim Pausenapplaus unterstreichen beide allerdings mit freudigem Lachen, dass alles nur gespielt war und nehmen sich herzlich in den Arm. Auch der Kostümball wird von Murgia großartig umgesetzt. Hier lässt sich gut nachvollziehen, dass Don Geronio nicht weiß, wer bei den beiden Paaren denn jetzt eigentlich wer ist. Da Don Narciso und Selim beide einen pinken Anzug und eine Maske tragen, lassen sie sich quasi genauso wenig unterscheiden wie Fiorilla und Zaida, die in zartem Blau auftreten. Don Geronio ist für diese Szene in einen weißen Anzug geschlüpft, um gewissermaßen den Türken zu imitieren, kommt aber mit komödiantischem Spiel nicht an die Coolness des Selim heran. Wer ist wer beim Maskenball: von links: Fiorilla (Elena Galitskaya), Don Narciso (Mert Süngü), Don Geronio (Bruno De Simone), Selim (Guido Loconsolo) und Zaida (Julie Bailly) Auch musikalisch lässt die Produktion keine Wünsche offen. Da ist zunächst die russische Sopranistin Elena Galitskaya zu nennen, die darstellerisch und stimmlich als Fiorilla begeistert. Mit großer Flexibilität in den halsbrecherischen Läufen singt sie die Koloraturen mit leuchtenden Höhen klar aus und fängt darstellerisch den launenhaften Charakter Fiorillas mit großem Spielwitz ein. Während sie sich in den beiden Kavatinen zu Beginn der zwei Akte recht flatter- und divenhaft präsentiert, punktet sie in ihrer Arie am Ende des zweiten Akt, "Squallida veste, e bruna", wenn sie sich von allen verlassen wähnt und ihr Verhalten bereut, mit großer Dramatik und stupenden Spitzentönen. Der ständig von seiner Gattin hintergangene Don Geronio stellt für den Buffo-Bariton Bruno De Simone eine Paraderolle dar. Man nimmt ihm darstellerisch in jedem Moment ab, wie sehr er sich über das Verhalten seiner Gattin ärgert, und muss am Ende doch schmunzeln, dass er ihrer Reue Glauben schenkt. Die Parlando-Stellen meistert De Simone spielerisch. Einen musikalischen Höhepunkt stellt das Duett zu Beginn des zweiten Aktes mit Selim dar, in dem der Türke Don Geronio überreden will, ihm seine Frau zu verkaufen. Hierbei legt De Simone eine enorme Geschwindigkeit vor. Guido Loconsolo gestaltet die Titelpartie mit markantem Bass und machohaftem Spiel und kann im großen Buffo-Duett mit De Simone wunderbar mithalten. Auch mit Galitskaya findet er in den Duetten zu einer bewegenden Innigkeit, die nachvollziehbar macht, dass Fiorilla sich zu dem charmanten Türken hingezogen fühlt. Mert Süngü überzeugt als Don Narciso mit kraftvollem Tenor und sauber ausgesungenen Höhen. Julie Bailly gestaltet die Partie der Zaida mit warmem Mezzosopran, der Selim schließlich davon überzeugt, lieber sie als die kapriziöse Italienerin mit zurückzunehmen. Mit Galitskaya liefert sich Bailly darstellerisch einen herrlichen Schlagabtausch. Biagio Pizzuti gelingt es als Prosdocimo mit überzeugendem Spiel, die Fäden wie ein Spielleiter in der Hand zu halten. Dabei stattet er den Dichter mit kraftvollem Bariton und großer Leidenschaft aus. Alexander Marev rundet als Albazar das Ensemble gut ab. Auch der von Denis Segond einstudierte Chor überzeugt durch homogenen Klang und große Spielfreude. Das Orchester der Opéra Royale de Wallonie-Liège gestaltet unter der musikalischen Leitung von Giuseppe Finzi Rossinis Partitur mit der erforderlichen Leichtigkeit, so dass es am Ende verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt. FAZIT Einen Film-Set hat man bei dieser Oper in den letzten Jahren schon häufiger gesehen. In Liège gelingt es aber, diesen Film-Dreh überzeugend in die Geschichte einzubauen, auch wenn er für die Komik der Handlung nicht notwendig gewesen wäre.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild Kostüme Licht Video Chorleitung
Orchester und Chor
Solistinnen und SolistenDon Geronio Fiorilla Selim Don Narciso Prosdocimo Zaida Albazar Cadreuses (stumme Rolle)
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