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Musiktheater
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Woina i Mir (Krieg und Frieden)

Oper in drei Akten (1863 / 1879)
Libretto von Sergej S. Prokofjew und Mira A. Mendelson-Prokofjewa nach dem gleichnamigen Roman von Lew N. Tolstoi
Musik von Sergej S. Prokofjew


In russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 10' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Gran Teatre del Liceu, Barcelona
Premiere am 5. März 2023 an der Bayerischen Staatsoper München




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Auf dem Hochseil über Schlachtfeldern

Von Joachim Lange / Fotos von Wilfried Hösl

Seit Serge Dorny an der Bayerischen Staatsoper in München das Sagen hat, ist die jüngste Produktion wohl die bislang größte und heikelste Herausforderung. Und das nicht allein, weil Sergej Prokofjews Oper Krieg und Frieden musikalisch und szenisch ein Blockbuster der Extraklasse ist, der es, trotz beherzter Striche, auch in München noch (mit einer vierzigminütigen Pause) auf über vier Stunden Bruttospielzeit bringt. Allein die Skizze der Uraufführungsgeschichte im Programmbuch deutet darauf hin, dass es sich um ein Werk aus der Kategorie "unvollendetes Schmerzenskind" handeln mag: Von der ersten Fassung in elf Bildern wurde am 7. Juni 1945 im Moskauer Konservatorium neun Bilder konzertant aufgeführt, die erste szenische Aufführung gab es 1948 im Nationaltheater Prag. Von der zweiteiligen Fassung wurde am 12. Juni 1946 im Maly-Theater Leningrad der erste und am 4. Dezember 1948 der zweite Teil aufgeführt. Die dritte Fassung in zehn Bildern erlebte am 26. Mai 1953 im Teatro Communale in Florenz die erste Aufführung und eine vierte schließlich am November 1957 im Stanislawski-und-Nemirowitsch-Dantschenko- Musiktheater in Moskau. Jede Uraufführung war mit einer veränderten politischen Großwetterlage konfrontiert. Das war also schon damals nicht anders als heute.

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Andrei Zhilikhovsky als Fürst Andrej und Arsen Soghomonyan als Graf Besuchow

Im Graben verlangt dieser Opern-Blockbuster vor allem dem Mann im Pult Vladimir Jurkowski gleichsam Feldherrenqualitäten ab, wenn der nicht nur sein Bayerisches Staatsorchester, sondern auch die gewaltigen von David Cavelius einstudierten Chormassen im Griff behalten will. Was dem russischen GMD der Bayerischen Staatsoper mit der gefühligen Sensibilität für die tragische love story zwischen Fürst Andrej und der schönen Natascha schon im ersten Teil gelingt. Aber auch im zweiten mit all dem martialisch hereinbrechenden Kriegsgetöse, das Napoleons Marsch auf Moskau mit sich bringt. Meistens gelingt ihm das auch bei den patriotischen Chören, denen die Regie zur bühnenfüllenden Tableauformation oft ein exzessiv individuelles Bewegungsprogramm verordnet. Es ist schon eine faszinierende Leistung, wenn da keiner der fast 50 durchweg exzellente Protagonisten nicht abhanden kommt, sondern sich jeder nicht nur mit vokalen Glanzleistungen, sondern auch szenisch angemessen profilieren kann.

Foto

Olga Kulchynska als Natascha Rostowa

Wer nach dem Kriegsausbruch vor über einem Jahr an der Entscheidung für dieses Stück festhält, gibt damit per se auch ein Statement gegen jene Cancel-Culture-Aktivisten, die eine Verbannung russischer Kunst (und Künstler) mit Solidarität mit der auf Befehl des Kremlherrn überfallenen Ukraine verwechseln.

Prokofjew ist der Komponist, der 1953 am selben Tag wie Stalin starb. Dieser 5. März ist 70 Jahre später auch der Tag der Münchner Premiere. Die Oper nach Tolstois berühmter Romanvorlage ist ein Paradebeispiel für patriotische Mobilmachung, wenn ein Eroberer aus dem Westen bis Moskau vorzudringen versucht und wie zurzeit von Putin das Wir-gegen-den-Westen zur Staatsdoktrin erhoben wird. In Zeiten, in denen die Russen ihrerseits die historische Rolle des Eroberers einnehmen (und als Verteidigung deklarieren), ist es eine besondere Herausforderung, die szenische Vorlage zu liefern, die jedem Zuschauer seine eigene, sozusagen dialektische Wende dieser Geschichte im Kopf ermöglicht.

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Im Klubhaus der Gewerkschaften findet sich auch ein Porträt des Komponisten.

Dimitri Tcherniakov gelingt das. Er verlegt (wie immer auch als sein eigener Bühnenbildner) das Geschehen in den berühmten Säulensaal des Moskauer Hauses der Gewerkschaften. Es ist der wohl geschichtsträchtigste Saal Russlands. Der Ort von Kongressen, Lenin-Reden, Schauprozessen und Aufbahrungen von führenden Leichen; Lenin, Stalin und etliche von deren Nachfolgern (zuletzt Gorbatschow) in der Realität, der von Kutusow im Stück. Dass dieser berühmte Saal auf der Bühne die Anmutung einer Notunterkunft für Flüchtlinge (oder Bedrängte) von heute hat, ist wohl die finsterste Pointe der Vergegenwärtigung der historischen Vorlage, mit der Tcherniakov Position bezieht. Dass hier alle die Geschichte von Fürst Andrej und Natascha, den Kampf gegen Napoleon und dessen Anmaßung quasi nachspielen, schafft die nötige Distanz, um der Geschichte zu folgen. Dass sie alle diesem Spiel nicht entkommen, fügt der Distanz eine Irritation hinzu, die zum Nachdenken über die Wirkung von Krieg an sich zwingt. Insofern ist auch das, was nicht völlig gelungen scheint, Teil des Gelingens.

Foto

Moskau brannte, als Napoleon einmarschierte.

Von den vielen Solisten können nur einige erwähnt werden - verdient hätten es alle. Allen voran Andrei Zhilikhovsky als Andrej, der mit kernigem, warm timbriertem Bariton als Sympathieträger für sich einnimmt, und Olga Kulchynska, die die Wandlung der Natascha vom flatterhaften jungen Mädchen zur gereiften Frau mit jugendlicher Leichtigkeit verkörpert. Herausragend auch Arsen Soghomonyan als klug reflektierender Graf Pierre Besuchow. Auch Stars wie Violeta Urmana undSergei Leiferkus sind in kleineren Rollen mit von der Partie. Die Oper in München bietet für jede Rolle auf, was Rang und Namen hat, und macht damit ihrem Ruf alle Ehre.

Im Detail bleibt die Liebesgeschichte im Stück szenisch oft isoliert. Packend allerdings der verzweifelte Versuch Nataschas, mit dem tödlich Verwundeten noch einmal in der Walzerseligkeit von einst zu schwelgen. Durchweg stark gelingen die nachgespielten bzw. echten Ausbrüche von kollektiver Aggression bis hin zur Überzeichnung. Dass der Krieg allemal das Gegenteil von Vernunft und Zivilisation ist, wird so offensichtlich.

FAZIT

Tcherniakov hat sich mit dieser Regie auf ein Hochseil begeben und ist nicht abgestürzt. Die einhellige Zustimmung des Premierenpublikums ist der verdiente Lohn. Der Jubel für das exzellente Ensemble und Jurowski und seine Musiker ist es sowieso.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Vladimir Jurowski

Inszenierung und Bühne
Dmitri Tcherniakov

Kostüme
Elena Zaytseva

Licht
Gleb Filshtinsky

Kampfcoach
Ran Arthur Braun

Chöre
David Cavelius

Konzeptionelle Mitarbeit
Analena Weres

Dramaturgie
Malte Krasting



Bayerischer Staatsopernchor

Zusatzchor der Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Fürst Andrej Bolkonski
Andrei Zhilikhovsky

Natascha Rostowa
Olga Kulchynska

Sonja
Alexandra Yangel

Gastgeber des Silvesterballs/ De Beausset/ Ein Gottesnarr
Kevin Conners

Lakai des Silvesterballs/ Kaisarow
Alexander Fedin

Marja Dmitrijewna Achrossimowa
Violeta Urmana

Peronskaja/Händlerin
Olga Guryakova

Graf Ilja Andrejewitsch Rostow
Mischa Schelomianski

Graf Pierre Besuchow
Arsen Soghomonyan

Gräfin Hélène Besuchowa
Victoria Karkacheva

Anatol Kuragin
Bekhzod Davronov

Leutnant Dolochow
Alexei Botnarciuc

Ein alter Lakai der Bolkonskis/ Ein Gottesnarr
Christian Rieger

Stubenmädchen der Bolkonskis
Emily Sierra

Kammerdiener der Bolkonskis
Martin Snell

Fürstin Marja Bolkonskaja
Christina Bock

Fürst Nikolai Andrejewitsch Bolkonski/ Matwejew
Sergei Leiferkus

Balaga
Alexander Roslavets

Matrjoscha
Oksana Volkova

Dunjascha
Elmira Karakhanova

Gawrila
Roman Chabaranok

Métivier/ Marschall Bertier
Stanislav Kuflyuk

Französischer Abbé
Maxim Paster

Denissow
Dmitry Cheblykov

Tichon Schtscherbaty
Nikita Volkov

Fjodor/ Adjudant des Generals Compans/ Iwanow
Alexander Fedorov

Wassilissa/ Mawra Kusminitschna
Xenia Vyaznikova

Trischka
Solist des Tölzer Knabenchors

Michail I. Kutusow
Dmitry Ulyanov

Erster Stabsoffizier/ Gérard
Liam Bonthrone

Zweiter Stabsoffizier/Hauptmann Jacqueau
Csaba Sándor

Napoleon
Tómas Tómasson

General Belliard/ Marschall Davout
Bálint Szabó

Adjutant des Fürsten Eugène/ Ein junger Fabrikarbeiter
Granit Musliu

Stimme hinter den Kulissen/ Leutnant Bonnet
Aleksey Kursanov

Adjutant aus dem Gefolge Napoleons
Thomas Mole

Hauptmann Ramballe
Alexander Vassiliev

Leutnant Bonnet
Aleksey Kursanov

Hauptmann Jacqueau
Csaba Sándor

Gérard
Liam Bonthrone

Ein junger Fabrikarbeiter
Granit Musliu

Ein französischer Offizier
Andrew Hamilton

Platon Karatajew
Mikhail Gubsky

Zwei französische Schauspielerinnen
Jasmin Delfs, Jessica Niles

Erster deutscher General
Alexander Bassermann

Zweiter deutscher General
Tobias Neumann


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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