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Unglückliche Brieffreundschaft
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Nilz Böhme
Russland ist ziemlich fern. Jedenfalls in der Inszenierung, mit der sich Magdeburgs seit Saisonbeginn amtierender Intendant Julien Chavaz dem Publikum als Regisseur vorstellt. Endlose Weite mit ein paar Birken; ein formidables abgewirtschaftetes Landgut in der Provinz, im letzten Akt als Kontrast zaristischen Petersburger Prunk - all' diese beliebten Zutaten zu Eugen Onegin sucht man im Bühnenbild von Amber Vandenhoeck vergeblich. Stattdessen sieht man vor einem durch eine gewaltige Gardine markierten Rundhorizont eine Rasenlandschaft mit ein paar begrünten Podesten und Felsen, die wie eine vergrößerte Modellbahnlandschaft aussehen und am Rande noch eine Veranda integrieren. Im zweiten Akt wird das alles an den Rand geräumt und macht Platz für einen Rasen, offenbar ein Sportplatz, auf dem sich Lenski und Onegin unglücklich duellieren werden. Und im dritten Akt ist die Natur ganz nach hinten gewandert und die Rundhorizontgardine grenzt die Spielfläche ab. Eine Entwicklung von der Natur zur Kultur, parallel zur Entwicklung Tatjanas vom naiv verliebten jungen Mädchen bis zur eleganten Gattin eines Veteranen am Hofe. Oder, um es mit der Sprache der Pressemitteilung zu sagen: Wir erleben "einen mysteriösen, sich selbst dekonstruierenden Raum". Gegensätzliche Schwestern: Die lebensfrohe Olga (links) und die introvertierte Literaturfreundin Tatjana; dahinter Larina, ihre Mutter
Der so sehr mysteriös dann aber auch nicht ist, und was es eigentlich zu dekonstruieren gibt in dieser reichlich harmlosen Spielzeugwelt, das will sich auch nicht recht erschließen. Chavaz erzählt die Geschichte einigermaßen genau, ohne Historien- und Ausstattungstheater zu zeigen, ein bisschen abstrahiert, ein bisschen symbolisch aufgeladen. Der Chor ist konsequent durchchoreographiert, was an Operneinlagen in Fernsehshows der 1980er-Jahre erinnert - letztendlich sieht das weniger spezifisch nach Eugen Onegin aus als vielmehr nach "irgendwie typisch Oper", brav arrangiert und mit einer ziemlich starken Prise Künstlichkeit. Dazu gehört, dass nicht nur der Chor, sondern auch alle Solisten immer das Publikum anschauen, sobald sie singen, und idealerweise haben sie sich kurz vor ihrem Einsatz zur Mitte der Bühne begeben (vor allem der erste Akt mit begrenzter Spielfläche ist nach diesem Prinzip eingerichtet). Es liegt ein Hauch von Wunschkonzert über der Szenerie. Schlüsselszene der Oper: Tatjana schreibt einen Liebesbrief an Onegin (bekanntlich ohne Erfolg).
Die Kostüme von Sanne Oostervink sind ziemlich heutig, pastellfarbene Provinzmode (die lebensfrohe Olga darf einen knallgelben Rock tragen). Das ist im ersten Akt plausibel, allerdings fehlt es dem Aufstieg Tatjanas von der Landpomeranze zur Salongröße an Wirkung - die Veränderung sollte Onegin, der Tatjana einst verschmäht hat, beim Petersburger Wiedersehen wie ein Schock treffen, und das ist hier angesichts der geringen Veränderungen kaum nachvollziehbar. Dieser Onegin wiederum tritt im ersten Akt derart hemdsärmlig auf, dass man Tatjanas Begeisterung für ihn nicht nachvollziehen mag. An solchen entscheidenden Momenten ist die Regie zu oberflächlich, und mit dem Verzicht auf den historisch-sozialen Kontext kommt eben auch keine Unterstützung aus der Kulisse. Am Ende trägt Onegin Grün und Tatjana komplementäres Rot, sodass auch die Farben deutlich machen: Sie können zusammen nicht kommen. Befreundete Duellanten: Lenski (rechts) und Onegin
Über eine eher biedere Nacherzählung kommt die Regie letztendlich nicht hinaus, auch weil die Personenregie ziemlich konventionell angelegt ist - oder an den Darstellern scheitert? Aleksandr Nesterenko singt den Lenski, der seinen Freund Onegin aus falscher Eifersucht heraus zum Duell fordert, mit kernigem Tenor, bei dem die Melancholie seiner großen Arie im Piano in Weinerlichkeit zu kippen droht, und schaut dabei reichlich pathetisch in den Zuschauerraumhimmel, sodass man nicht wirklich mitleiden mag. Und Onegin müsste am Ende nicht unbedingt tot umfallen vor Enttäuschung darüber, dass die verheiratete Tatjana ihrem Gatten Gremin (mit großem, recht ungenauem Bass: Johannes Stermann) treu bleibt. Ansonsten gibt der agile Marko Pantelić diesem Onegin vokale Präsenz (weniger Eleganz) und eine einigermaßen überzeugende Menge an ironischer Weltverachtung mit. Tatjanas Schwester Olga, von Weronika Rabek zuverlässig gesungen und ziemlich statisch gespielt, müsste von der Regie stärker als Gegenentwurf zur introvertierten Tatjana aufgebaut werden; hier bleibt die Figur allzu blass. Schön gesungen und mit der erforderlichen Würde und Altersweisheit gespielt sind Mutter Larina (Doris Lamprecht) und Amme Filipjewna (Jadwiga Postrozna). Finale in St. Petersburg: Fürst Gremin zwischen Tatjana und Onegin
Die spannendste und schlüssigste Szene des Abends ist Tatjanas große Briefszene. Hier hat die Regie ein paar ganz effektvolle Ideen, lässt etwa Papierschnitzel von oben herabregnen, wenn Tatjana wieder einen Liebesbriefentwurf (den sie in die Luft geschrieben hat) zerreißen will. Anna Malesza-Kutny hat einen vom Charakter her recht dramatischen Sopran mit leicht nervösem Dauertremolo (wirklich lyrische Tschaikowsky-Stimmen finden sich im das Magdeburger Ensemble nicht), singt aber mit hoher Intensität, und sie zeichnet ein ziemlich spannendes Portrait eines jungen, hoffnungslos verliebten und eben damit hoffnungslos überforderten Mädchens. Der Chor des Magdeburger Theaters singt klangprächtig (und manchmal etwas zu laut). Unter der Leitung von Kapellmeister Svetoslav Borisov (die Premiere dirigierte Generalmusikdirektorin Anna Skryleva) spielt die insgesamt gute Magdeburgische Philharmonie sehr ordentlich mit schönen Holzbläsern und manchem sorgfältig ausdifferenziertem Detail im Piano. Viel Applaus vom an diesem Abend leider nicht allzu zahlreich erschienenen Publikum.
Das Magdeburger Regiedebüt von Intendant Julien Chavaz ist trotz Verzicht auf Realismus ziemlich konventionell geraten. Musikalisch sicher kein großer, aber ein akzeptabler Abend. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Mitarbeit Regie
Bühne
Kostüme
Beleuchtungsdesign
Chor
Dramaturgie
Solisten
Larina, Gutsbesitzerin
Tatjana, ihre Tochter
Olga, ihre Tochter
Filipjewna
Eugen Onegin
Lenski, sein Freund
Fürst Gremin
Ein Hauptmann
Saretzki
Triquet
Guillot, Onegins Diener
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