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Lieber Piratin als Ehefrau
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Ein Glück, dass Wagner eine so lange Ouvertüre zum Fliegenden Holländer komponiert hat. Da lässt sich allerlei Vorgeschichte unterbringen. Das Kind Senta, so sehen wir, verkleidet sich gerne als Pirat, soll aber nach dem Willen des Vaters mit Puppen spielen - zwecks Vorbereitung auf das spätere Leben als Ehe- und Hausfrau. Die kranke Mutter, die in solchen Dingen offener zu sein scheint, stirbt (Suizid, weil Gatte Daland eine Affäre mit Amme Mary hat?), und damit verliert Senta die einzige Verbündete. Regisseur Roman Hovenbitzer erzählt das immerhin punktgenau zur Musik, in der es Chefdirigent Mihkel Kütson hier noch richtig krachen lässt. Das Kind Senta werden wir dann noch häufiger sehen. Sehr verändert hat sich die zur jungen Frau herangewachsene Senta allerdings auch nicht, sie trägt immer noch dasselbe Piratenkostüm. Norweger im Sturm
Die Intention ist klar: Hier will eine Frau die ihr zugewiesene bürgerliche Rolle nicht übernehmen. Das ist zwei Akte lang ziemlich nah bei Wagner. Der geschäftstüchtige Vater, der mit ihrer spontanen Verheiratung mit dem dubiosen, aber schwerreichen Holländer das Geschäft seines Lebens macht; Senta, die paradoxerweise genau in diesem Holländer das antibürgerliche Gegenmodell erträumt - das sind ja durchaus Konstanten in der Rezeption. Hovenbitzer erzählt das in einer etwas gewöhnungsbedürftigen Mischung aus Realismus und der erdachten Perspektive Sentas, aber das funktioniert erst einmal leidlich gut. Ein rostiges Schiff mit riesigen Bullaugen ist angedeutet, davor moderne Möbel (Bühne: Roy Spahn), das ist ein Raum mit genug Seemannsatmosphäre und hinreichend Verfremdung. Senta ist mal mittendrin, mal steht sie davor (immer wieder durch einen Vorhang getrennt). Videosequenzen zeigen Bilder aus der Erinnerung, aus gerade auf der Bühne abgelaufenen Szenen, natürlich auch immer wieder das Meer. Wobei Dalands Mannschaft nicht aus Matrosen, sondern aus Anzugträgern besteht, die vorsichtshalber im Sturm Rettungswesten tragen. Eine so große Rolle spielt das Meer für Hovenbitzer dann wohl doch nicht. Auftritt des Holländers; das Kind Senta schaut staunend zu
Ziemlich bemüht sind die Szenen, in denen die junge Senta auftritt und oft von der erwachsenen Senta an die Hand genommen wird, manchmal umarmen sie sich auch. Dann sind es doch eher Schwestern als dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten. Und Sentas Piratentracht sieht leider viel zu sehr nach rheinischem Straßenkarneval aus, als dass man den sich darin manifestierenden Freiheitsgedanken ernst nehmen könnte. Wenn die Spinnstube des zweiten Akts zum Shop für Hochzeitskleider umgedeutet wird, zeigt das zwar einigermaßen schlüssig, dass diese jungen Mädchen sich alle wahnsinnig aufs Heiraten freuen, aber es trägt ebenfalls zum etwas provinziellen Charakter der Inszenierung bei, die sich krampfhaft um eine Neudeutung bemüht. Ein selbstbestimmtes Frauenbild soll her, sicher, aber das dürfte doch ein wenig raffinierter entwickelt werden. Senta singt die "Ballade vom fliegenden Holländer"
Problematisch wird dann der dritte Akt, in dem der Holländer mit der angehenden Hochzeit im Handumdrehen zum Bürger mutiert, ununterscheidbar von den anderen Herren. Ein Wechsel von Fluch der Karibik zum Traumschiff in wenigen Sekunden. So hat Senta sich "Treue bis in den Tod" ja gerade nicht vorgestellt (und plötzlich erscheinen ihr die - jetzt allesamt im Hochzeitsoutfit, aber ziemlich derangiert auftretenden Bürger als Gespenster). Man mag ja an der Geschichte entlang noch argumentieren, dass mit der Hochzeit ja die Rettung und damit die Verbürgerung des ruhelosen Seefahrers gewährleistet wird, aber Wagners Musikdramaturgie macht das nicht mit. Die große Chorszene wird verschenkt, obwohl Chor und Extrachor toll singen, prachtvoll im Klang, mit großer Attacke, aber auch mit nuanciertem Piano (Einstudierung: Maria Benyumova und Michael Preiser). Nur schade, dass der Holländer-Chor elektronisch eingespielt wird. Aber die musikalischen Kontraste zwischen den feiernden Norwegern und den gespenstischen Holländern, die gibt es auf der Bühne gar nicht mehr. Da sind ja längst alle Norweger, sprich: frauenfeindliche Spießbürger, geworden. Folgerichtig schmeißt Senta ihrem Beinahe-Gatten den Brautschleier vor die Füße und zieht mit ihrem jüngeren Ich beleidigt davon. Ein Komödienschluss. Den endgültigen Ausbruch aus dem überkommenen Rollendenken hätte man mit weniger Aufwand und Umdeutung stringenter inszenieren können. Katerstimmung bei Jäger Erik, hier zwischen der jungen und der erwachsenen Senta
Der (noch) zum Lyrischen tendierende jugendlich-dramatische Sopran von Ingegjerd Bagøien Moe klingt manchmal noch etwas ungelenk, hat aber große Momente mit schönem, nuanciertem Piano, auch in den klug disponierten Ausbrüchen - die junge Norwegerin wird in die Partie hineinwachsen. Fabelhaft ist der kraftvolle, gut durchgestaltete Holländer von Johannes Schwärsky. Matthias Wippich gestaltet einen klangschönen, durchsetzungsfähigen Daland. Bemerkenswert der strahlende und höhensichere Erik von Ralph Ertl. Woongyi Lee als tadelloser Steuermann und Eva-Maria Günschmann als solide Mary runden ein durchweg überzeugendes Sängerensemble ab. Klara Raeder spielt die junge Senta sehr engagiert. Mihkel Kütson und die guten Niederrheinischen Sinfoniker begleiten sängerfreundlich, Kütson zeigt viel Gespür für die Situation: Mit dem Chor, mit Johannes Schwärsky an der Rampe kann es donnernd laut werden, aber nie deckt das Orchester die Sänger zu. Zudem ist die Textverständlichkeit meistens ziemlich gut. Die Brüche zwischen den eher konventionellen Nummern und der "modernen" Musik des Holländers werden nicht abgeschwächt, aber insgesamt dirigiert Kütson sehr viel mehr aus der Perspektive der romantischen Oper denn des sich vorsichtig abzeichnenden Musikdramas. Der Geschichte kommt das allemal zu Gute, und die detaillierte Personenregie und die Musik gehen oft sehr genau Hand in Hand. Die musikalische Geschichte, die dabei erzählt wird, ist trotzdem spannender als die auf der Bühne.
Musikalisch gelingt hier ein sehr überzeugender Holländer. Szenisch überzeugt Roman Hovenbitzers Ringen um ein zeitgemäßes Frauenbild nicht so recht, und so bleibt die Regie trotz ein paar guter Szenen oft angestrengt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Daland
Der Holländer
Senta
Mary
Erik
Der Steuermann
Senta als Kind
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