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Schlechte Zeiten für Märchenopern
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Christina Iberl Jüngst ist Achim Freyer vom Deutschen Bühnenverein mit dem Theaterpreis "Der Faust" für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden. In der Begründung fällt, natürlich, der Begriff "Gesamtkunstwerk", schließlich ist der inzwischen 88jährige Künstler Bühnen- und Kostümbildner und Regisseur in einem, entwirft künstlerische Konzeptionen, die vom Bild her gedacht sind, sich aber keineswegs darauf beschränken, ein Stück zu bebildern. Vielmehr bilden Ausstattung und Spiel eine feste Einheit. "Es ist halt Freyer", das reicht im Allgemeinen aus, um eine Inszenierung des Künstlers zu beschreiben: Eine oft sehr poetische, verspielte, scheinbar naive Ausstattung, eine Abkehr vom realistischen Theater hin zu einer Art vergrößertem Puppenspiel, was auch ein großes Maß an Abstraktion mit sich bringt. Darüber vergisst man leicht, dass Freyer Meisterschüler von Bertold Brecht war. So unpolitisch, wie seine Inszenierungen auf den ersten Blick aussehen, sind sie womöglich gar nicht. "Du sollst der Tochter Retter sein": Die Königin der Nacht hat einen folgenschweren Auftrag für Tamino
Die Zauberflöte hat er schon mehrfach inszeniert; in Hamburg (1982), Salzburg (1997), Schwetzingen / Strasbourg / Dresden (2002), Moskau und Warschau (2006). Die neue Meininger Produktion (die Premiere war am 17. Juni 2022) ist offenbar in weiten Teilen eine Überarbeitung der Schwetzinger Version. Die schräg ansteigende Bühne ist von drei überdimensionierten Türen gerahmt, die wie flüchtige Skizzen aus Papier aussehen, und in diesem Raum agieren die Figuren wie große Puppen, allen voran Papageno (und später Papagena). Alles ist sehr bunt und vergleichsweise unernst. Sarastros Hofstaat besteht aus Herren in gelb mit gelben Perücken und seltsamen Plastikbrillen, und als zusätzliches verbindendes Zeichen halten sie Maurerkellen in die Luft - da macht Freyer sich liebevoll über die Freimaurerei und das zugehörige Pathos lustig, lässt die beiden Priester und Geharnischten wie Clowns agieren, kurz: er fährt den erwartbaren, ziemlich amüsanten Freyer-Kosmos auf. Sarastro im sicher bewusst klein gehaltenen Strahlenkranz (aber mit zwei tollen Löwen) und eine Königin der Nacht, die ziemlich irdisch daherkommt und damit ganz anders als die ikonographische Schinkel'sche Himmelskönigin auf der Mondsichel - das bricht die Ansprüche auf Weltherrschaft und Deutungshoheit auf sympathische Weise herunter auf Menschenmaß. Rätsel gibt das eher misslungene Kostüm Taminos auf, ein bisschen Clown und ein bisschen Altrocker. Pamina erscheint als das natürlichste und menschlichste Wesen von allen, und das ist sicher in Mozarts Sinn. Sarastro mit Pamina, vorne Papageno, rechts und links Löwen
Die Dialoge sind gestrafft und moderat abgeändert (Dialogfassung: Klaus-Peter Kehr), und Freyer präsentiert eine unpathetische, amüsante Zauberflöte, die den hohen Idealen, die im Text geäußert werden, misstraut. Ein paar Frivolitäten sind für den liebestollen Papageno auch eingebaut. Das funktioniert gut und würde noch besser funktionieren, wenn die musikalische Seite überzeugender wäre als an diesem Abend. Unter der Leitung der jungen zweiten Kapellmeisterin Tamara Lorenzo Gabeiras spielt die Meininger Hofkapelle nach einer ziemlich mechanisch abgespulten Ouvertüre klangschön und auch filigran, aber in der Abstimmung mit den Sängerinnen und Sängern hapert es gewaltig, da läuft die Musik oft auseinander. Ohnehin erschweren immer wieder absurde Tempowechsel mitten in einer Nummer den musikalischen Fluss (wofür die Dirigentin vermutlich nichts kann; eigentlich liegt das Dirigat in den Händen des ersten Kapellmeisters Harish Shankar). Die Tempi an sich überzeugen teilweise nicht (der Marsch der Priester, der den zweiten Akt einleitet, erklingt extrem langsam, quasi im halben Tempo; in manchen Ensembles werden die Sänger dagegen extrem gehetzt). Und der Sarastro, das weiß man als Opernliebhaber, schleppt in seinen Arien. Eigentlich immer. Wenn die Dirigentin das ignoriert, dann ist das Orchester eben zwei Takte früher im Ziel. "So viele kleine Kinderlein": Papageno und Papagena bei der Familienplanung
Ja, auch Mikko Järviluoto als Sarasto schleppt und kann auch klanglich mit ungenau fokussiertem Bass wenig überzeugen. Laura Braun als Königin der Nacht und damit Sarastros Gegenspielerin hat eine mädchenhaft lyrische Stimme mit wenig Wucht, dafür singt sie die geliebt-gefürchteten Koloraturen schön aus. Rafael Helbig-Kostka ist ein leichtgewichtiger Tamino mit flackerndem Tenor, Sara-Maria Saalmann eine leuchtend intensive Pamina. Johannes Mooser gibt den Papageno in der Tradition Emanuel Schikaneders, des Librettisten und ersten Darstellers der Figur, als singenden Schauspieler, also mit zurückgenommenem Bariton, beweglich und angemessen (nicht überzogen) komödiantisch. Deniz Yenim, Marianne Schechtel und Tamta Tarieshvili sind ein volltönendes, etwas unausgewogenes Damenterzett, Alina König-Rannenberg, Katharina Fulda und Sophie Greiwe schön singende und lausbubenhaft spielende Knaben. Mit Alex Kim und Tomasz Wija als Priester und Geharnischte und Shin Taniguchi als Sprecher sind die kleineren Partien solide besetzt, Francesca Paratore gibt eine soubrettenhaft kokette Papagena, Stan Meus einen agilen und beweglichen Monostatos. Klangschön singt der Chor (Einstudierung: Manuel Bethe). Bereit für lebensgefährliche Prüfungen: Tamino und Pamina
Im vollbesetzten Meininger Theater gibt es trotz mancher Panne viel Applaus, auch nach jeder einzelnen Nummer - als familientaugliche Produktion bewährt sich diese Zauberflöte durchaus. Dabei geschieht am Ende Ungeheuerliches. Um die höheren Weihen zu erhalten, müssen Tamino und Pamina bekanntlich durch Feuer und Wasser gehen, was hinter den geschlossenen Türen geschieht (Sarastros Personal versucht neugierig, durch jeden denkbaren Spalt einen Blick zu erhaschen). Beim Feuer geht das ja noch gut, aber nach der Wasserprobe öffnet sich die Tür, und an Stelle des hohen Paares stehen zwei Kerzen auf der Bühne, und dahinter brandet im Video, nur leicht künstlerisch verfremdet, das Meer. Sind die beiden etwa ertrunken? Sie treten nicht mehr auf. Vor dem von Mozart ohnehin denkbar knapp gehaltenen Finale erscheinen ja noch einmal die Königin mit Gefolge, hier mit stilisiertem Kampfbomber. Zwar gehen sie mit Blitz und Donner unter, aber die Welt hinter den Türen ist danach zersplittert (und Sarastros Strahlenkranz arg ramponiert). "Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht" - da geht im Zuschauerraum das Licht an, und der Chor singt aus den Logen. Das sieht dann doch gehörig nach dem Brecht-Schüler Freyer aus, der dem Publikum szenisch entgegenruft: Es muss, muss, muss ein guter Schluss her! Das Jahr 2022, so scheint's, ist keines, in dem man sich unbeschwert harmlose Bühnenmärchen erzählen kann. Mit dem ganz großen Schockeffekt entlässt das Meininger Theater sein Publikum indes nicht, denn die Applausordnung im Märchenformat stellt die alte Ordnung schnell wieder her, als sei nichts gewesen. Ein rätselhaftes Finale. FAZIT Über weite Strecken eine im Geiste Mozarts und Schikaneders hübsch verspielte Zauberflöte, die es mit den hehren Idealen nicht so ernst nimmt - und dann mit dem merkwürdigen Ende alles infrage stellt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Kostüme
Szenische Einstudierung /
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Pamina
Tamino
Sarastro
Papageno
Papagena
Monostatos
Königin der Nacht
1. Dame
2. Dame
3. Dame
1. Geharnischter/1. Priester
2. Geharnischter/2. Priester
Sprecher
1. Knabe
2. Knabe
3. Knabe
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