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Geschichte abfackeln
Von Joachim Lange / Fotos © Martina Pipprich Neben Salome ist Elektra von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal auch über 100 Jahren nach ihrer Dresdner Uraufführung 1909 immer noch die Opernüberwältigung schlechthin. Ein opulentes musikalisches Schwelgen im Blutrausch, bei dem sich die musikalische Moderne schon ankündigt. Als hochangesehener und gut verdienender Zeitgenosse hatte Richard Strauss im April 1933 als einer der prominentesten Unterzeichner des berüchtigten "Protestes der Richard-Wagner-Stadt München" gegen Thomas Mann und seinen Aufsatz "Leiden und Größe Richard Wagners" unrühmlichen Anteil am Rausekeln des Literaturnobelpreisträgers aus Deutschland. Als Komponist der '36er Olympiahymne und zeitweiliger Präsident der Reichsmusikkammer arrangierte sich Strauss als ein Platzhalter der nachhallenden Spätromantik mit den Machthabern, ohne deren Rolle bei der Zerstörung von Kultur auch nur ansatzweise wirklich zu durchschauen. Als Künstler war er schon vor dem Ersten Weltkrieg vom Weg in Richtung Moderne in die seines genial erfundenen Rosenkavalier-Wiens abgebogen. Alles was dann, nach 1933, noch kam, als die politischen Würfel gefallen waren, kann man zwar nicht zum Widerstand umdeuten, aber durchaus als eine Art subtiler Verweigerung vor den politischen Forderungen des Regimes an die am Leben und im Lande gebliebenen Künstler sehen. Strauss ist insofern ein Exempel für das ambivalente Verhältnis von Macht und Geist, von politischen Forderungen und dem Versuch, die eigene Kreativität zu bewahren.
In seiner Inszenierung am Theater in Münster beschränkt sich Regisseur Paul-Georg Dittrich nicht darauf (wie vor kurzem Giancarlo del Monaco in Erfurt mit seinem Bühnenbild gewordenen, beklemmenden Tunnelblick), das Psychogramm der Racheobsession Elektras auszuloten. Er denkt den Kontext nicht allein der Entstehung, sondern auch der realen und potenziellen Fern- und Nebenwirkungen dieser Musik mit. Szenisch macht er aus dem Einakter eine Art metaphorischen Flammenwerfer, mit dem er die jüngere deutsche Geschichte regelrecht abfackelt. Hier brennen im Video der Zeppelin Hindenburg und der Reichstag, aber auch Polizeiautos von heute und der NSU-Kleinbus. Hier wird eine Deutschlandkarte mit diversen Ausbrüchen von Gewalt der jüngsten Vergangenheit eingeblendet. Dabei scheut dieser Regisseur auch vor einem assoziativen Overkill der Bilder nicht zurück. (Auf die Meistersinger, die er für Linz im April nächsten Jahres plant, darf man gespannt sein.)
Dazu kommen selbstreferenzielle Videoschleifen, die einen Einblick in die Analyse von Szenarien geben und so selbst zu deren Teil werden. Ausstatter Christoph Ernst hat ihm dafür raffinierte Diskursräume gebaut. Die erlauben und stützen ihrerseits einen Strom von Assoziationen, die mal plausibel sind, sich gelegentlich aber auch einer Deutung verschließen. Selbst wenn man sich auf das opulente Spiel mit Insignien (z.B. die schwarz-weiß0-rote Flagge mit dem Spruch "Treue um Treue", darunter Deutschland in Fraktur und ein Eisernes Kreuz in der Mitte - im Internet für 9,90 zu erwerben!) und sekundärtugendlichen Kernsätzen einlässt, die die Kollision eines explodierenden deutschen Selbst- oder vielleicht besser Überbewusstseins mit zivilisatorischer Selbstbeschränkung illustriert. So leuchtet es durchaus ein, dass das junge Mädchen Elektra, das zu Beginn vor dem opulenten Vorhangfoto des Hauses der Deutschen Kunst steht, alsbald ihre Rachegelüste als blonde SS-Maid (so wie es Madonna machen würde) auslebt. Während ihr Bruder zum rechten Schläger mutiert. Warum sie dann allerdings in die Klischeepracht von Sissi wechselt, gehört zu den offenen Fragen, die man nach dem "Vorhang zu" mit nach Hause nimmt. Wenn das Schlussbild ein konstatierendes Fazit des Zustandes unserer Gegenwart sein soll, dann gute Nacht Deutschland! Nach einem Kanzlerinnen-(Klytämnestra als Angela Merkel) und einem Kanzlermord (Ägisth als Gerhard Schröder) baut sich ein deprimierendes Trio von Überlebenden an der Rampe auf: links eine in die selfieaffine Desinteressiertheit abgedrehte Chrysothemis, rechts der rechte Schläger Orest und in der Mitte Elektra im Beate-Zschäpe-Look. Man kann das wohl nur als Warnung - und nicht als Tatsachenbeschreibung - lesen.
Hinter dem Vorhang also ein Drehbühnenkonstrukt, in dem die deutsche Geschichte mit ihren Traumata auf der berühmten Analytiker-Couch liegt. Mit seiner Flut der Bilder (sprich deren Overkill) inszeniert Dittrich im Grunde so, wie Elfriede Jelinek schreibt. Immer auf der Suche nach des Wortes und des Bildes doppelter Bedeutung. Und das in beiden Richtungen auf der Zeitachse. Nehmen wir (direkt von der Vorlage ausgehend) den "Tatort Familie". Immerhin: Vater Agamemnon opfert Tochter Iphigenie, Mutter und Liebhaber ermorden den Vater, Sohn ermordet Mutter und Liebhaber - da kommt ganz (un)schön was zusammen. Die Bebilderung fängt harmlos mit einem Zwischenvorhang mit einer akademischen gemalten Familienidylle in Öl an. Dahinter befindet sich wie auf einer Bühne ein gut-, klein- oder wie immer bürgerliches Wohnzimmer, in dem ein uniformierter Vater dem Sohnemann Klavierspielen beibringt - mit der Gertenschlägen auf die Finger für jeden falschen Ton. Unsere Gegenwart, ein paar Generationen später, kommt mit dem ARD-Tatortlogo an einer Wand vor. Es gehört zu den übermütigsten Einfällen, dieser an Einfällen überreichen Inszenierung, dass dann sogar das gut erkennbare Münsteraner Tatort-Trio Thiel, Börne und Assistentin Alberich mitspielt. Einmal buddeln sie Knochen aus, und zum finalen Rache-Mord an der Exkanzlerinnen-Klytämnestra und dem Exkanzler-Ägisth reichen sie die Waffen. Man kann in diesen Raum von falscher Familienidylle auch von außen durch die Fenster der schlichten Giebelwand eines Kleinbürgerhauses sehen. Von dort schauen aber auch die zu kafkaesken Kakerlaken mutierten Mägde heraus. Der Tatort Familie wird so zum ganz großen Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Zu all dem - so meint das Bühnenbild - gibt ein überlebensgroßer Richard Strauss vor vollbesetzten Rängen eines Opernhauses den Takt vor. Dittrich reanimiert hier eine Art von dekonstruierend assoziativem, aussagefreudig kontextualisierendem Regietheater, wie es mittlerweile gar nicht mehr so häufig anzutreffen ist.
Die musikalische Seite des Abends hat vor allem im Graben ihre überzeugendsten Momente. GMD Golo Berg entfesselt einen mitreißenden Strom der Musik und behauptet sich damit noch am ehesten gegen die Bilderflut. Bei den Protagonisten ist das differenzierter. Am besten gelingt es Helena Köhne, ihre Klytämnestra wortverständlich mit beredtem Gesang zu gestalten. Rachel Nicholls stemmt ihre Elektra gelegentlich mit deutlichem Vibrato, bewältigt aber ihre enormen darstellerischen Herausforderungen mit Bravour. Das gilt analog auch für Margarita Vilsones Chrysothemis, die der Gefahr, in manieriert wirkende Hysterie abzudriften, nicht immer entgeht. Johan Hyunbong Choi als solider Orest und Garrie Davlislim als nervöser Ägisth komplettieren ein Ensemble, bei dem sich auch alle anderen für die kleineren Partien vokal ins Zeug legen und darstellerisch über die Maßen gefordert sind.
In Münster wurde einem Opernabend überwiegend applaudiert, der für das Publikum nach dem letzten Ton noch lange nicht vorbei ist und Stoff für reichlich Diskussion bietet.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Ägisth
Orest
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Erste Magd
Zweite Magd
Dritte Magd
Vierte Magd
Fünfte Magd
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- Fine -