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Musiktheater
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Great Open Eyes

Oper von Manuel Zwerger (Musik), Carolin Amann (Libretto) und Carmen C. Kruse (Konzept und Regie)
mit einer Videoinstallation im Foyer


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer der: ca. 1h 10' (keine Pause)
Die Videoinstallation im Foyer hat eine Laufzeit von 20 Minuten

Auftragswerk und Koproduktion mit Civic Opera Creations
Uraufführung im Kleinen Haus des Theaters Münster am 13. Mai 2023
(rezensierte Aufführung: 19. Juni 2023)


Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Vor der realen Trauer versagen die Theaterbilder

Von Stefan Schmöe / Fotos © Martina Pipprich und Michael Lyra

Wie gehen Menschen damit um, wenn ihr Kind stirbt? Um diese Frage kreist das Theaterprojekt Great Open Eyes des in Wien beheimateten Kollektivs Civic Opera Creations (COCREATIONS). Dafür haben die Künstler zunächst Interviews mit Betroffenen in Wien und Münster geführt. Ausschnitte davon kann man in einer Videoinstallation (Susanne Brendel) mit dem Titel Time Splits im Foyer des Kleinen Hauses des Theaters Münster vor oder nach der Aufführung anschauen, technisch leider ziemlich wacklig - immer wieder versagt oder stockt der Ton, wenn man sich auf zu engem Raum zwischen Videoleinwänden bewegt, einen schlechtsitzenden, unförmigen Kopfhörer balancierend. Dabei sollte man sich wohl optisch wie akustisch Gesprächsausschnitten nähern oder sich von diesen entfernen, untermalt von Klängen, die Komponist Manuel Zwerger (*1992) kreiert hat. Die unmittelbare Realität gibt den Rahmen für dieses Projekt, und das ist eine ganz entscheidende Komponente für diesen Abend im Grenzbereich zwischen Musiktheater und Installation. Nur müsste dafür die Technik reibungsloser funktionieren, und auch die Zahl der Besucher der Installation ist des kleinen Raumes wegen arg eingeschränkt. So hakt es bei der ambitionierten Produktion, bei der Münsters Intendantin Katharina Kost-Tolmein auch als Dramaturgin mitgewirkt hat, schon bei den Rahmenbedingungen.

Vergrößerung in neuem Fenster Foto: Michael Lyra

Die knapp einstündige Oper im Zentrum des Abends (den man mit einem Nachgespräch beschließen kann) lehnt sich an Henrik Ibsens Drama Klein Eyolf von 1894 an. Dort legt der Tod des Sohnes Eyolf die Brüche in der Ehe von Rita und Alfred offen. Eyolf ist einer Rattenfängerin, der "Rattenmamsell", ins Meer gefolgt. Viel mehr als diese vier Personen und das Motiv des Ertrinkens sind allerdings nicht übernommen, und damit zeichnet sich das nächste Problem ab: Great Open Eyes besitzt keine dramatische Handlung, die es zu erzählen gäbe; vielmehr ist das Werk im Grunde eine Kantate für vier Sänger:innen und Orchester. Der immer wieder in Glissandi die Tonalität verschleiernden Musik von Manuel Zwerger ist es noch am wenigsten anzulasten, dass die Eindrücke bestenfalls ambivalent bleiben. Für Rita und Alfred spiegelt sich in dieser Musik ein Verlust an Bodenhaftung, sie haben den tonalen Boden unter den Füßen verloren und befinden sich durch den Tod des Kindes sozusagen im musikalischen wie emotionalen Schwebezustand. Eher plakativ erscheinen die kontrastierenden Abschnitte der "Ratwife", wie die Rattenfängerin aus dem Drama hier heißt: Fanfarenartige Klänge mit ein wenig aufgepeppten Dreiklangsmotiven in den Blechbläsern haben in ihrem bewussten Wiedererkennungswert eine recht vordergründige Wirkung. Gleichzeitig unterstreichen sie die ziemlich konventionelle Anlage als Nummernoper, aus der sich nicht so recht eine Entwicklung der Figuren heraushören lässt. Am Ende kommt das tote Kind zu Wort, begleitet von einer Spieluhr - suggestiv, aber nicht ohne Kitschfaktor.

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Foto: Martina Pipprich

Das Libretto (Carolyn Amann) greift Äußerungen aus den Interviews auf und bringt sie eine geschlossene, sehr poetische Form für die Trauer. Der Schmerz wird damit künstlerisch veredelt, aber, boshaft gesagt, auch mit Poesie überzuckert - das ist der Preis für den Wechsel von der realen auf die theatralische Ebene. Der Schritt vom Erhabenen zum Banalen ist auch hier mitunter klein. Text, Musik und Inszenierung sind Hand in Hand erfolgt und haben sich an vielen Stellen wechselseitig bedingt (das lässt sich im Programmheft nachlesen), und so kann man es nicht allein dem Libretto anlasten: Es fehlt der dramatische Kern und eine zentrale Idee, die eine Bühnenaktion legitimieren könnte, zumal eine in konventioneller Form, bei der das Publikum auf eine Bühne schaut.

Vergrößerung in neuem Fenster Foto: Martina Pipprich

Wie also setzt man ein Konzept, das nur wenig theatralische Aktion zulässt, letztendlich szenisch um? Im Zentrum des sechseckigen Kleinen Hauses steht ein runder Pool (ertrinken!), der mit Erde gefüllt ist (Grab!) und als Spielort dient. Das Orchester sitzt in bläulichen Sweatshirts (Wasser!) unmittelbar um diesen Pool herum und wird von zwei Dirigenten koordiniert. Die Blechbläser haben lange Plastikschläuche an ihren Instrumenten, die in den Pool hineinreichen. Werden die passenden Ventile gedrückt, dann entsteht der Klang am Ende dieser Schläuche und damit in einigen Metern Entfernung - ein Effekt, den man bei der Aufführung bestenfalls durch die Verfremdung des Klangs (der "quäkiger" wird) mitbekommt und den uns der zuvorkommende Hornist des (sehr guten) Sinfonieorchesters Münster nach der Aufführung noch einmal demonstriert. Das ist beinahe aufregender als das, was man während der Aufführung (nicht) sieht - ein paar Aktionen in eben diesem Pool, im Halbdunkel mehr zu erahnen als zu erkennen, weil dieser Pool nicht nur wenig Einblicke zulässt, sondern eben auch noch Musiker:innen des Orchesters zwangsläufig die Sicht versperren. Man hat freilich nicht den Eindruck, dadurch allzu viel zu verpassen - was man erkennt, beschränkt sich auf belanglose Gesten.

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Foto: Martina Pipprich

Berührend ist vor allem der Gesang von Sopranistin Robyn Allegra Parton, die mit liedhaftem und lyrischem Sopran ohne Sentimentalität zu einer abstrahierten Form von Trauer findet. Bariton Johan Hyunbong Choi singt kultiviert, aber die Stimme ist zu groß und donnernd für die intime Atmosphäre des Raumes. Hasti Molavian gibt der Ratwife opernhafte Züge, nimmt sich dafür stimmlich zurück - wirklich Profil abgewinnen kann sie der ziemlich künstlichen Figur nicht. Finn Heermann singt mit passend zerbrechlichem Knabensopran das Solo des Kindes. Dirigent Henning Ehlert und Ko-Dirigent Boris Cepeda Hernandez leiten die Aufführung umsichtig.


FAZIT

Mehr guter Wille als gute Oper: Great Open Eyes startet als ambitioniertes Projekt, mit dem modernes Musiktheater ganz aktuell in der Bürgergesellschaft verankert werden soll - in der theatralischen Realisierung lassen sich die hohen Ansprüche dann nur zum (kleinen) Teil einlösen. Die Installation wirkt stärker nach als die eigentliche Aufführung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Henning Ehlert

Ko-Dirigat
Boris Cepeda Hernandez

Konzept und Regie
Carmen C. Kruse

Bühne
Valentin Mattka

Kostüme
Ulf Brauner

Videoinstallation
Susanne Brendel

Dramaturgie
Katharina Kost-Tolmein


Sinfonieorchester Münster


Solisten

(* Besetzung der rezensierten Vorstellung)

Ratwife
Hasti Molavian

Rita
Robyn Allegra Parton

Alfred
Johan Hyunbong Choi

Kind
Alwin Fröhlich /
* Finn Heermann



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

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