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Das Schicksal tanzt Foxtrott
Von Stefan Schmöe / Fotos © Martina Pipprich Es gibt wieder Sinn auf der Bühne in Münster. Soll heißen: Theater, das sich an die großen Fragen heranwagt. Das war zuletzt in der Intendanz von Ulrich Peters nicht so leicht erkennbar, wo selbst einem an sich schon harmlosen Werk wie Wilhelm Killmayrs Yolimba die satirischen Zähnchen gezogen wurden. Jetzt hat Katharina Kost-Tolmein die Leitung des Theaters übernommen, zwar schon zu Beginn des Jahres, weil Ulrich Peters als Krisenmanager in Karlsruhe benötigt wurde, aber erst mit der neuen Spielzeit kann sie ihre eigene Handschrift zeigen - und greift gleich nach einem der ganz großen Stoffe der Theatergeschichte: Der Orestie. Nicht nur im Schauspiel, sondern spartenübergreifend. Und man darf unterstellen, dass die erste Musiktheaterpremiere ein großes Werk mit Chor (und Extrachor) und vielen interessanten Partien für das Solistenensemble sein sollte. Die Wahl ist gefallen auf: das Leben des Orest von Ernst Krenek. Agamemnon ist bereit, seine eigenen Kinder zu opfern, um die Götter für seine Expansionspläne gnädig zu stimmen
Was bitte? Krenek? Das scheint sich das kulturinteressierte Münsteraner Bürgertum gerade zu fragen, denn in der hier besprochenen zweiten Aufführung dürfte sich die Zahl der Zuschauer im lediglich zweistelligen Bereich befunden haben - vermutlich weniger Menschen, als aktiv an der Aufführung beteiligt waren. Hoffentlich spricht sich schnell herum, dass man der ambitionierten Produktion damit Unrecht tut. Der Bruch zur Ära Peters ist gar nicht so groß und die Musik dieser 1930 uraufgeführten Oper ist mit manchen revuehaften Momenten durchaus unterhaltsam. Drei Jahre zuvor hatte Krenek mit Johnny spielt auf einen Sensationserfolg gefeiert und mit der Einbindung von Jazz- und Tanzmusik den Zeitgeist ziemlich genau getroffen. Gleichwohl: Die "Jazz-Oper", als die sie schnell gehandelt wurde, ist Johnny spielt auf keineswegs, und das ist auch Leben des Orest nicht - allerdings auch kein "neoromantisches" Werk, wie der Artikel zu Krenek auf Wikipedia suggeriert. Krenek findet für den Atriden-Mythos einen spezifischen Tonfall zwischen lakonischer Sachlichkeit und großem Gefühl, wechselt unvermittelt zum Foxtrott und in die vermeintliche Trivialmusik der Zeit, ohne die Gattung damit grundsätzlich parodieren zu wollen. Vielmehr versucht Krenek, für das große und auch in seiner Zeit immer noch gültige Drama um Schuld und Verstrickung eine zeitgemäße Musik zu finden, auch mit mancher epochentypischen Leichtigkeit. Nur war es 1930 im Grunde schon wieder vorbei damit, da waren die goldenen 1920er-Jahre bereits Geschichte und die "Zeitoper" damit auch. Der trojanische Krieg als Jahrmarktsvergnügen, Orest hat, wenig schicksalbewusst, seine Freude daran
Ziemlich umfassend wird in fünf (eher kurzen) Akten die Geschichte Orests erzählt: Vom machtgierigen Vater Agamemnon zum Opfer auserwählt, kann er gerade noch rechtzeitig verschwinden, irrt durch die Welt, wird zum Rächer des Vaters und Mörder der Mutter, findet die verschwundene Schwester Iphigenie wieder und wird schließlich in Athen in einem Prozess freigesprochen und damit vom Fluch befreit. Regisseurin Magdalena Fuchsberger und Ausstatterin Monika Biegler zeigen diesen Orest als heutigen Menschen auf der nicht sehr zielstrebigen Suche nach Sinn und Bedeutung. Ganz im Sinne Kreneks führen sie parallel dazu die Mittel des Theaters vor, das kein Illusionstheater sein will. Im weitgehend leeren, durch eine Wellblechwand begrenzten Bühnenraum haben Requisiten eher den Charakter von Zitaten, als dass sie tatsächlich benötigt werden, sind dabei oft doppeldeutig: Die Säulenelemente mit ionischen Kapitellen verweisen natürlich auf die Antike, aber auch auf die Weltkriegsruine des klassizistischen Romberger Hofs, dessen Fragmente in den Neubau des Theaters Münster einbezogen wurden. Immer wieder sieht man Bühnenarbeiter ziemlich sinnfrei Kulissenteile über die Bühne schieben, was mitunter mehr nach Aktionismus denn nach planvoller Regie aussieht. Großformatige Videosequenzen im Hintergrund (Aron Kitzig) blenden ins heutige Griechenland über, zeigen aber auch selbstreflexiv das Münsteraner Theater. Manches Detail ließe sich sicher noch schärfen, aber insgesamt hält die Regie die von Krenek intendierte Schwebe zwischen Ernst und Unterhaltung recht gut. Krisensitzung im Nordland: Iphigenie, Orest, König Troas (hier: Ki Hoon Yoo) und dessen Tochter Thamar
Das Ende bleibt leider recht banal: In der Gerichtsverhandlung, ganz brechtsch mit beleuchtetem Zuschauerraum (ja ja, wir sind's, die urteilen müssen), beruft sich Orest naiv auf die schwierigen Umstände. Die Abstimmung über die Strafe endet unentschieden, und so gibt ein unschuldiges Kind den Ausschlag zu seinen Gunsten - ob das nun Götterwille, Zufall oder Menschenfreundlichkeit ist, bleibt ungewiss. Daraus hätte die Regie mehr machen müssen, sei es in der ironischen, sei es in der dramatischen Zuspitzung. Hier liegt allerdings eine entscheidende Schwäche von Kreneks Konzeption. Der Jazz-Musiker Johnny rief im Finale "seiner" Oper publikumswirksam eine neue Zeit aus. Das war ein Volltreffer - so sehr, dass die Nazis später diesen Johnny zum Symbol der "entarteten Musik" erklärten. Eine vergleichbar spektakuläre Schlusspointe, ein finales Überraschungsmoment fehlt dem Leben des Orest. Ein Kind besitzt die ominöse siebente weiße Kugel, die Orest den Freispruch bringt, und wirft sie dem Oberrichter des Bundesgerichts zu Athen zu.
Das Ensemble kann durchweg überzeugen und mitunter auch glänzen. Johan Hyungbong Choi, neu im Ensemble, ist mit jugendlichem Bariton ein zuverlässiger, etwas braver Orest, Margarita Vilsone eine furios auftrumpfende Elektra, Katharina Sahmland mit leichtem Sopran eine mädchenhaft klangschöne Iphigenie. Brad Cooper gibt den Machtmenschen Agamemnon mit markantem Tenor, Garrie Davislim einen überzeugend schmierigen Gegenspieler Aegisth und Wioletta Hebrowska eine solide Klytaemnestra. Gregor Dalal imponiert als stimmgewaltiger Richter und Hirt, Robyn Allegra Parton singt eine intensive nordländische Prinzessin Thamar (Mario Klein als akzeptabler Vater und König Thoas kann da nicht ganz mithalten), und Helena Köhne steuert eine präsente Amme Anastasia bei. Der ausgezeichnet singende und sehr spielfreudige Chor und Extrachor (Einstudierung: Anton Tremmel) legt wirkungsvoll manche Revueeinlage hin und klingt auch in reduzierter Besetzung als Straßenmädchen, Älteste und in den erzählenden Passagen, die Krenek an den Anfang einiger Bilder gestellt hat, ausgesprochen homogen. Chefdirigent Golo Berg leitet das gute Sinfonieorchester Münster, ergänzt um Banjo und Harmonium, umsichtig und mit viel Sinn für die ungewöhnlichen Klangfarben wie für die manchmal unterschwelligen, manchmal sehr direkt sich Bahn brechenden Tanzrhythmen.
Das Theater Münster startet mit einer tollen Ensembleleistung in die neue Saison und neue Intendanz, und auch wenn die Inszenierung ruhig noch mutiger sein dürfte, ist das Leben des Orest eine sehr lohnenswerte, auch unterhaltsame Wiederentdeckung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Video
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten(* Besetzung der rezensierten Vorstellung)
Agamenmon
Klytaemnestra
Elektra
Iphigenie
Orest
Aegisth
Aegisths Diener
Anastasia, Amme
Aristobolus, Richter / Ein Hirte
Thoas, König im Nordland /
Thamar
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- Fine -