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Die Eroberung von Mexico

Musik-Theater nach Antonin Artaud
Text und Musik von Wolfgang Rihm

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Premiere im Staatstheater Mainz am 29. Januar 2023
(rezensierte Aufführung: 5. Februar 2023)

Logo: Staatstheater Mainz

Staatstheater Mainz
(Homepage)
Der Kampf der Geschlechter entscheidet sich an der Spülmaschine

Von Stefan Schmöe / Fotos von Andreas Etter

"Es ist das Aufeinandertreffen zweier Planeten", schrieb Wolfgang Rihm über die Begegnung des Aztekenherrschers Montezuma mit dem spanischen Eroberer Hernán Cortez in seinem Musik-Theater Die Eroberung von Mexico, entstanden in den Jahren 1987 - 1992. Auf der Bühne des Mainzer Theaters ist verbildlichend ein Meteorit eingeschlagen, ein veritabler Steinbrocken, der einen Krater in die Drehbühne gehauen hat (Ausstattung: Valentin Köhler). Drumherum - also auf der Bühne - sitzt auf drei Seiten das Publikum, und auf der vierten (zum Zuschauerraum hin) das Orchester, das über seinem angestammten Platz, dem Graben postiert ist. Einzelne Musikerinnen und Musiker sind im Zuschauerraum aufgestellt, und diese Anordnung erzielt ganz ausgezeichnet einen Raumklangeffekt, wie der Komponist ihn sich vorgestellt hat. Oft lassen die Klangquellen sich nicht genau lokalisieren. Dabei nimmt die Musik vom ersten unbestimmten Ton an, einem von irgendwoher erklingenden Schlagzeuggrummeln, gefangen. Unter der umsichtigen Leitung von Hermann Bäumer spielt das Philharmonische Staatsorchester Mainz klangsinnlich und vielschichtig, nie einfach nur laut, und wird zum mystischen Erzähler - gerade da, wo die Regie von Elisabeth Stöppler sich in der ohnehin nur vage angedeuteten Handlung mitunter verzettelt.

Vergrößerung in neuem Fenster Unheimliche Begegnung am Meteoriten: Cortez, flankiert von den ansonsten Monezuma begleitenden Frauenstimmen

Nun hat Wolfgang Rihm ebenso wenig eine narratives Historiendrama im Sinn wie Antonin Artaud, auf dessen (nicht ausgeführtem) gleichnamigem Dramenentwurf von 1936 das Libretto basiert. Vielmehr sind Montezuma und Cortez Symbolträger für Prinzipien, für aufeinanderprallende Kulturen nicht (nur) im kolonialistischen Sinn, weiter gedacht auch für entgegengesetzte Denkmodelle. Aus einer weiteren Schrift Artauds (Das Seraphim-Theater, 1936) übernimmt Rihm die Begrifflichkeiten "weiblich - männlich - neutral", die in mehrfacher Hinsicht leitmotivischen Charakter bekommen - als häufig wiederholte Textpassage, aber vor allem in der musikalischen Anlage der Figuren. "Männlich" ist der mit einem Bariton besetzte Cortez, "weiblich" der im Sopran singende Montezuma. Cortez stehen zwei "Sprecher" zur Seite, die mehr zischen und bellen als singen (das aber überzeugend: Falko Höhler und Alexander Geller) - die Regie stellt sie als Hunde oder Wölfe dar, mit entsprechenden Tiermasken, ansonsten in schäbbig abgetragener Draufgängerkleidung. An Montezumas Seite singen ein sehr hoher Sopran und ein Alt, was den "weiblichen" Klangraum deutlich aufweitet gegenüber dem verengten "männlichen". Die beiden Damen treten zunächst auf als adrette Hostessen in Violetttönen. Montezuma in weiß und Cortez in schwarz bilden auch optisch ein konträres Paar. Zunächst zeitlos gekleidet, bekommt Cortez im zweiten Bild ein angedeutetes Renaissancekostüm, Montezuma die berühmte aztekische Federkrone in knalligen Farben Ein Bewegungschor in Alltagskleidung, zunächst im Publikum verteilt, begutachtet die Szenerie.

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Ein Hauch von Historie: Montezuma und Cortez

Artaud verwendete das Begriffstrio "männlich - weiblich - neutral" natürlich nicht in der Bedeutung der aktuellen Genderdebatte, die Elisabeth Stöppler dennoch nicht abschütteln will. Sie entwickelt eine erotische Spannung zwischen den beiden Protagonisten, die sich zum Abschluss der ersten Hälfte unter dem inzwischen über der Szene schwebenden und dampfenden Meteoriten umarmen - eines der geheimnisvollen Bilder, die sich einprägen. Nach der Pause hat sich die Szenerie gewandelt. Im dritten und vierten Bild, in denen es nach der vorsichtigen Annäherung in den ersten beiden Bildern zum wechselseitigen Gemetzel und zum Untergang beider Kulturen kommt, stehen allerlei Küchenmöbel und elektrische Küchengeräte im Krater, in dem zuvor der Meteorit ruhte. Die Personen tragen allesamt hautfarbene Anzüge, die sie wie Roboter erscheinen lassen. Um die Männer-Wölfe ist es offenbar auf drastischere Weise geschehen - einer der Wolfsköpfe wird in der Pfanne gebraten. Das männliche und weibliche Prinzip haben sich in der Manege der modernen Bürgerlichkeit neutralisiert, sind also "neutral" geworden. Nicht nur hier verliert sich Elisabeth Stöpplers Regie allzu sehr in unübersichtlicher Kleinteiligkeit. Trotzdem gelingen auch hier ein paar starke Bilder, vor allem wenn Cortez die Federkrone Montezumas über eine Kugellampe stülpt wie in einem hilflosen Versuch, den vorherigen Zustand der gegenseitigen Faszination noch einmal heraufzubeschwören.

Vergrößerung in neuem Fenster Kurzes Glück: Montezuma und Cortez

Vereinfachend könnte man die Regie so zusammenfassen: Rihms magischer Moment des Aufeinandertreffens der Planeten Frau und Mann endet in der gemeinsamen Küche, wo die banal neutrale Schicksalsfrage lautet: Wer räumt denn gleich die Spülmaschine aus? Das lässt sich als kritischer, wenngleich unterkomplexer Standpunkt in der aktuellen Gender-Debatte verstehen, wobei Elisabeth Stöppler - man bedenke die Hund-Hostessen-Metaphorik - die traditionellen Geschlechterbilder alles andere als verklärt. Die angesichts des Ukraine-Krieges denkbare (freilich durch die lyrische Überzeichnung der Protagonisten ziemlich problematische) Bedeutungsebene eines Eroberungskrieges lässt Elisabeth Stöppler (die jüngst in Düsseldorf eine ziemlich martialische Résistance-Jungfrau von Orléans zur Musik Tschaikowskis auf die Bühne gestellt hat) aus. Gemordet wird in diesem Mexiko dagegen nur mit dem Kissen, und selbst das scheint entbehrlich.

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Der Kulturkampf endet in bürgerlicher Tristesse

Nun eignet sich Musiktheater aber nur bedingt zum gesellschaftspolitischen Diskurs, und so hat die fabelhafte musikalische Umsetzung die ungleich größere Nachwirkung. Nadja Stefanoff singt einen betörend wohlklingenden Montezuma, Maren Schwier eine auch in höchster Lage umwerfend intonationssichere Sopranbegleiterin, mit der Karina Repova mit solidem Alt nicht mithalten kann. Peter Felix Bauer beginnt als Cortez überwältigend mit klangschönem, zupackendem Bariton; am Ende muss er, ziemlich verausgabt, froh sein, ohne größere Einbußen ins Ziel gekommen zu sein. Das ist der Preis für eine musikalisch ungemein intensive Aufführung, die unterstreicht, dass Die Eroberung von Mexico - in der hier besprochenen Aufführung ausverkauft - als ein Schlüsselwerk des späten 20. Jahrhunderts repertoiretauglich und ungebrochen aktuell ist.


FAZIT

Musikalisch großartig und unbedingt hörenswert. Szenisch überzeugt die Produktion da, wo sie der Musik klare Bilder entgegensetzt.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Herrmann Bäumer

Inszenierung
Elisabeth Stöppler

Ausstattung
Valentin Köhler

Licht
Ulrich Schneider

Dramaturgie
Christin Hagemann


Bewegungschor (Statisterie des
Staatstheaters Mainz)

Philharmonisches Staatsorchester Mainz


Solisten

Montezuma
Nadja Stefanoff

Cortez
Peter Felix Bauer

sehr hoher Sopran
Maren Schwier

Alt
Karina Repova

Sprecher 1
Falko Hönisch

Sprecher 2
Alexander Geller

Der schreiende Mann
Doğuş Güney


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Mainz
(Homepage)




Da capo al Fine

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