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Erzähl' keine Märchen!
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Pedro Malinowski
Fangen wir mit einer Entwarnung an: So schwierig wie oft behauptet sei die Frau ohne Schatten gar nicht, gibt Regisseur und Staatsintendant Jens-Daniel Herzog im Programmheft zu Protokoll. Man müsse sich nur auf die Privat-Mythologie Hugo von Hofmannsthals einlassen. Dessen Libretto erzählt bekanntlich ein großes Kunstmärchen: Die Tochter des Geisterkönigs Keikobad hat sich in den Menschenkaiser verliebt, muss aber innerhalb eines Jahres als Ausdruck ihrer Menschwerdung einen Schatten werfen (was bedeutet: ein Kind gebären). Mit Hilfe ihrer Amme versucht sie, der Frau des Färbers Barak den Schatten, also die Gebärfähigkeit, abzukaufen, begreift aber gerade noch rechtzeitig, dass dies nur um den Preis gelingen kann, dieses Menschenpaar ins Unglück zu stoßen. Dass dahinter allerlei Fragen nach dem Sinn und Ziel des Lebens und allzu menschliche Beziehungsprobleme stecken, versteht sich eigentlich von selbst. Lasst uns den farbenprächtigen Mantel des Märchens doch einfach abstreifen, und schon wird alles klar - so in etwa lautet die Inszenierungsidee Herzogs. Und so sehen wir ziemlich viel leeren Bühnenraum und ein paar angedeutete Requisiten (Bühne: Johannes Schütz), und allein die im allgemeinen Schwarz wirkungsvoll hervortretende Farbigkeit der Hauptfiguren durchbricht die optische Tristesse (Kostüme: Sibylle Gädecke).
Färber (blau) und Färberin (rot) sind ganz normale Menschen, wie man sie in der Nürnberger Fußgängerzone findet, das leuchtet irgendwie ein. Die Amme ist ein Relikt aus Zeiten, in denen großbürgerliche Haushalte noch zuverlässiges Dienstpersonal fanden. Kaiser (schwarz) und Kaiserin (goldgelb) sind ein Paar der High Society, und warum sie anfangs naturnah im Wohnwagen campieren, erschließt sich bestenfalls aus der Jagdleidenschaft des elegant gekleideten Herren. Der singende Jagdfalke des Kaisers (der musikalisch markant verkündet, dass der Kaiser zu Stein wird, sollte die Kaiserin sich nicht fristgemäß einen Schatten zulegen) ist aus Pappe, was für Lacher sorgt, aber sicher ebenfalls signalisieren soll: Fangt bitte nicht an, irgendetwas Märchenhaftes zu suchen. Andromahi Raptis singt die wenigen, aber wichtigen Töne des Vogels mit eindringlich klarem Sopran.
Färberin und die Stimmen der Ungeborenen
Man fragt sich, warum Herzog die Märchenwelt so scheut (und die Oper um ihren visuellen Charme bringt), denn er will ja nichts umdeuten. Und anders als in der oben zitierten Aussage lässt er sich (respektive das Publikum) ja gerade nicht auf die Hofmannsthal'sche Mythologie ein, sondern entledigt sich dieser. Dabei wäre ihm in einem weniger ernüchternden Ambiente wohl auch (und vielleicht noch besser) die überzeugende Charakterisierung der handelnden Akteure gelungen, denn die entscheidenden Akzente setzt die an den wichtigen Stellen präzise und konsequente Personenregie. Vielleicht könnte man die in ihrer Zerrissenheit faszinierende und sympathische Färberin subtiler anlegen als im Dauerverzweiflungsmodus, aber Manuela Uhl gibt der Figur Glaubwürdigkeit und mit trompetenhaft strahlendem Sopran immense Präsenz. Thomas Jesatko singt und spielt unprätentiös einen ernüchterten Barak ohne die der Rolle leicht anhaftende Tumbheit und Drolligkeit - da versteht jemand nicht, was um ihn herum eigentlich passiert. (Allerdings schwächelt die Regie ein wenig darin, dass die Männerrollen ungleich uninteressanter gezeichnet sind als die der Frauen.)
Ilia Papandreou ist mit jugendlichem, nicht zu schwerem, aber in der Höhe glänzenden Sopran eine hinreißende Kaiserin, lange ein wenig naiv staunend, die den Erkenntnisprozess (an dessen Ende der Verzicht auf den ersehnten Schatten auf Kosten der Färberin steht) glaubhaft macht und von der Regie klug mehr und mehr vom Rand in das Zentrum des Stückes geschoben wird. Lioba Braun gibt die Amme als illusionslose Pragmatikerin; die Stimme hat sehr unterschiedliche Farben in der nicht mehr ganz jung klingenden Höhe und der sorgfältig ausdifferenzierten, allerding wenig voluminösen Mittel- und tiefen Lage. Alle Darsteller passen optisch perfekt in ihre Rollen. Als Kaiser sprang in der hier besprochenen Vorstellung Heiko Börner für den erkrankten Tadeusz Szlenkier ein und sang von der Seite, während Regieassistent Sebastian Häupler spielte oder zumindest im Kostüm des smarten Dandy auf der Bühne stand, mehr aber auch nicht - das hätte man dem bühnenerfahrenen Heiko Börner, mit höhensicheren, souverän geführtem Tenor sängerisch absolut zuverlässig, auch ohne große Einweisung zugetraut. Samuel Hasselhorn gibt einen großformatigen Geisterboten, Chloe Morgan einen klangschönen Hüter der (Tempel-)Schwelle und Martin Platz eine szenisch wie vokal agile Jünglingserscheinung. Ganz ausgezeichnet singen Kinderchor und Chor, auch in den kleinen Ensembles der Dienerinnen und Wächter (Einstudierung: Tarmo Vaask).
Finale
Die vielleicht klangmächtigste Figur singt dagegen gar nicht: Das ist der Geisterfürst, durch ein markantes, den Namen "Keikobad" skandierendes Dreitonmotiv im Orchester fast allgegenwärtig. Für die erkrankte Chefdirigentin Joana Mallwitz steht Kapellmeister Björn Huestege (ohnehin für einige Aufführungen vorgesehen) am Pult der sehr guten Staatsphilharmonie (allein die Intonation in der hohen Lage dürfte genauer sein). Huestege veranstaltet ganz großes Musiktheater mit Lautstärken, die das Haus erbeben lassen (aber durchaus mit Rücksicht auf die Sänger), mit großer, nervöser innerer Anspannung. Den opulenten Strauss'schen Wohlklang gibt es dabei eher selten, vielmehr betont Huestege die Schroffheiten und die Dramatik der Partitur. Kein Klang, um darin zu baden, sondern einer, der aufpeitscht. Natürlich gibt es auch die Ruhepunkte wie den Schluss des ersten und den Beginn des letzten Aktes, aber das sind Verschnaufpausen im großen Menschheitsdrama.
Und wenn sie nicht gestorben sind … aber halt!, das sind sie. Färber und Färberin, Kaiser und Kaiserin, sie liegen am Ende tot auf der Bühne, aber im Kinderchor leuchten bereits ihre Farben auf: Die Geschichte wiederholt sich. Leider kann sich Herzog nicht verkneifen, bei diesem Kinderchor auf den Niedlichkeitsfaktor zu setzen, der eben ganz schnell zum Kitschfaktor wird. Dabei sagt die Musik: Niedlich ist hier gar nichts. Und im Zweifelsfall hat sie an diesem Abend mehr Recht als die Inszenierung.
Die Aufführung hat szenisch in der Personenregie ihre starken und berührenden Momente; ästhetisch gibt sie sich als Aus- und Ernüchterungsprogramm zur hochdramatischen musikalischen Interpretation (und unterliegt doch).
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Vorstellung
Der Kaiser
Die Kaiserin
Die Amme
Barak
Die Färberin, sein Weib
Der Geisterbote
Ein Hüter der Schwelle des Tempels
Die Erscheinung eines Jünglings
Die Stimme des Falken
Eine Stimme von oben
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
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