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Tristans
keusche Liebe Von Christoph Wurzel / Fotos: © Jochen Klenk Eine Uraufführung nach fast 100 Jahren und ein Komponist, der nahezu vergessen ist! Die Geschichte allerdings ist Operngängern geläufig. Jedenfalls scheint es so, aber diese Tristan-Oper weicht in entscheidenden Stellen von Wagners übermächtigem Vorbild ab, ist eigentlich komplett ein Gegenentwurf. Sowohl was die Handlung betrifft als auch die Musik. Aber der Reihe nach: Charles Tournemire (1870-1939) dürfte heute nur noch Organisten und Orgelliebhabern ein Begriff sein. Er selbst hatte zu Lebzeiten sowohl als Orgelimprovisator als auch Komponist zahlreicher Orgelwerke einen hervorragenden Ruf. Sein übriges ¼uvre allerdings, immerhin acht Sinfonien, Kammermusik, Klaviermusik und mehr, ist auch in Frankreich kaum bekannt. Von seinen vier Bühnenwerken wurde nur eines je aufgeführt. Die handschriftliche Partitur von La Légende de Tristan, entstanden 1925/26, wurde zwar von der Pariser Oper angenommen, verschwand aber in der Schublade und wurde vergessen. Dank eines Hinweises wurde der Ulmer Intendant Kay Metzger auf das Werk aufmerksam und beschloss, es an seinem Theater herauszubringen. Geplant war das Jahr 2020 zum 150. Geburtstag des Komponisten. Infolge der Pandemie konnte die Uraufführung aber erst jetzt stattfinde. Reizvoll an diesem Projekt ist vieles, natürlich zuerst der Tristan-Stoff. Anders als Wagners sehr eigenwillige und wie man weiß, von biografischen Ereignissen gespeiste Interpretation geht dieses Libretto stärker von den originalen keltischen Quellen aus, die der Sprachwissenschaftler Joseph Bédier in seinem Roman de Tristan et Iseut (1900) neu erzählt hatte. 1. Akt: Der erschlagene Morholt (Ensemble) Tournemires Librettist, der Mediävist Albert Pauphilet, fasste den überlieferten Stoff in drei Akte und acht Bilder, wobei er den Handlungsbogen wesentlich weiter spannte als Richard Wagner. In dieser Oper ist die Vorgeschichte der Handlung szenisch integriert, also der Totschlag an Morholt (bei Wagner: Morolt), dessen Leichnam gleich zu Beginn der Oper auf die Bühne getragen wird. Im gleichen Moment erscheint ein Fremder, der im Auftrag der Stadt einen Mädchen verschlingenden Drachen töten soll. Es ist Tristan, der nach erfolgreichem Kampf als Held gefeiert wird. Iseut fühlt sich unwiderstehlich zu dem "geheimnisvollen Sieger" hingezogen und pflegt seine Wunden, bis sie an einem Detail seines Schwertes erkennt, dass er der Mörder ihres Onkels Morholt ist. Das aufgebrachte Volk wird von Iseut mit dem Hinweis auf die Befreiung der Stadt durch die Drachentötung beruhigt. Eigentlich war die Hand Iseuts dem Sieger über den Drachen versprochen. Tristan aber sieht in der blonden Frau eine Art Prophezeiung erfüllt, die ihm zuhause in Cornwall durch eine Schwalbe mit einem goldenen Haar im Schnabel den Auftrag erteilt habe, diese Frau seinem König Marc auf Schloss Tintagel als Braut zuzuführen. Nur widerwillig folgt Iseut Tristan nach Cornwall. Kay Metzger erzählt im Einheitsbühnenbild von Michael Heinrich die Handlung klar und schnörkellos. Im ersten Bild sehen wir die Halle oder Bibliothek eines offenbar großbürgerlichen Hauses mit einer weiten Flügeltür, die den Blick nach außen auf die irische See erlaubt, durch Videoprojektionen je nach Stimmung mal heftig bewegt, mal ruhig und still. Es ist Kriegzeit, Verwundete werden von Pflegerinnen versorgt und die Kostüme deuten die Zeit des 1. Weltkriegs an. Kriegsbilder flirren schemenhaft im Hintergrund, auch der Drachenkampf wird mittels Projektion angedeutet. Die Stimmung macht plausibel, dass es Tristans Motiv ist, durch Iseuts Vermählung mit König Marc Frieden zwischen Irland und Cornwall zu stiften. Im 2. Bild erleben wir den schicksalhaften Moment, wenn Tristan und Iseut gemeinsam den Trank zu sich nehmen, den ihre Dienerin Brangien (I Chiao Shih mit warmer Altstimme) gebraut hat, damit der Verbindung Iseuts mit dem König dauernde Liebe beschieden sei. Hier geschieht dieser Moment eher beiläufig und wie ein Zufall schicksalhaft. Beide wollen eigentlich nur ihren Durst löschen, aber fortan bindet der Trank sie in unverbrüchlicher Liebe aneinander. Weder dieser Moment - und das ist der entscheidende Unterschied zu Wagner - noch die folgenden Szenen ihrer Gemeinsamkeit haben auch nur den geringsten Anflug von sinnlicher Überwältigung oder erotischer Leidenschaft. Diese Liebe ist absolut keusch und rein vergeistigt. In der gesamten Oper ist Tristan und Iseut kaum eine intime Berührung gegönnt, geschweige denn ein Kuss. Rauschhafte Wonnen einer Liebesbegegnung gibt es hier nicht. Und ebenso wenig in der Musik. Tournemires Musik ist überraschend distanziert, mitunter spröde. Eher kommentiert sie, als dass sie die Zuhörer in einen Sog zieht. Gleichwohl ist sie außerordentlich reich an Stimmungen und Farben. Die Zeit der Komposition dieser Oper ist im deutschen Raum die Epoche von Richard Strauss, Franz Schreker oder Arnold Schönberg. Von allem finden sich Elemente in Tournemires Partitur, allerdings nicht als Anleihen oder gar Plagiate, sondern in der stilistischen Haltung seiner Musiksprache. Sein Stil ist ungemein eigenständig und komplex. Dramatische Expressivität und lyrischer Impressionismus stehen je nach szenischer Situation nebeneinander. Souverän findet Tournemire für jede Szene eine eigene Farbe: schroffe Dissonanz, harte Rhythmik bis hin zum gregorianisch anmutenden a-capella-Gesang des Schluss-Chores. Das Orchester ist groß besetzt, vor allem aber äußerst apart und neben den Streichern mit oft auch solistisch eingesetzten Harfen, Celesta, Glockenspiel und einem reichen Holzbläserarsenal sogar mit dem seltenen Sarrusophon, einem Doppelrohrblattinstrument, das einen Klang zwischen Oboe und Fagott erzeugt und aus dem Bereich der Militärmusik stammt. So kann der Ulmer GMD Felix Bender mit dieser Besetzung sowohl großen Orchesterklang als auch kammermusikalische Klarheit erzeugen, immer transparent und ausgesprochen klangschön. 2. Akt: Im selbstgewählten Exil: An de Ridder (Iseut) und Marcus Francke (Tristan) Breiten Raum nimmt in Tournemires Oper Iseuts Aufenthalt am Hofe in Cornwall ein. Der zweite Akt zeigt die Hochzeitszeremonie. Hier hat die Regie zur Verdeutlichung der Handlung umfassend Gebrauch von der Statisterie gemacht und lässt bildreich den Hofstaat beider Länder aufmarschieren. Wo Wagner den zweiten Akt nur der einen Liebesnacht vorbehält, gibt es hier mehrere Begegnungen zwischen Tristan und Iseut. Zuerst im nächtlichen Garten, wo sie allerdings von dem intriganten Hofzwerg Frocin belauscht und (mit genau festgelegtem Sprechgesang) an den König verraten werden. Später sehen wir sie im selbstgewählten Exil (laut Libretto) im "wilden Wald von Morois". Die Regie verlegt diese Szene in eine schäbige Dachkammer, wo Tristan und Iseut ein kleinbürgerliches Liebesglück gefunden haben - in Askese und Keuschheit, voller Schuldgefühle einerseits, zugleich aber im Gefühl höchster Liebeserfüllung. Textdichter und Komponist waren streng katholisch und der Titel der Oper "Légende" weist darauf hin: Tristans Leiden wird hier als Martyrium interpretiert. Nicht wie bei Wagner als eine quälende erotische Sehnsucht, die sich nur durch den Tod stillen lässt. Dort werden sie erneut vom König aufgespürt, doch als dieser auf dem Lager das Schwert zwischen ihnen liegen sieht, verliert er jeden Zweifel über die Untreue seiner Frau und deutet Verzeihen an, indem er ihr seinen Ring über den Finger streift, worauf Tristan sie zum König zurückschickt. König Marc ist in dieser Oper ein duldender, sanfter Charakter. Mit weichem, hohem Bariton ist Dae-Hee Shin ideal für diese Rolle und er singt sie außerordentlich sonor und warm. In dieser Szene wird An de Ridder als Iseut und Marcus Francke als Tristan mehr sängerische Emphase gegönnt als sonst in der Oper, die den Sängerinnen und Sängern wenig Raum zu vokaler Entfaltung lässt. Doch gerade auch hier erfüllen diese beiden Sängerdarsteller ihren Part vollkommen überzeugend aus. 3. Akt. Der wahnsinnige Tristan: Marcus Francke (Tristan), Marcus Brück (Le Nain Frocin), Dae-Hee Shin (Le Roi Marc) und An de Ridder (Iseut) sowie Ensemble Zu Beginn des dritten Akts erlebt der in die Einsamkeit geflohene Tristan auf einem "Schmerzensfelsen" eine Todesvision. Hier wandelt sich der sonst hauptsächlich sachliche Erzählton zu poetischer Sprache und die Musik malt mit zartesten Klängen von Celesta und Glockenspiel, flirrender Solovioline und Englischhorn eine berührende Atmosphäre von Entrückung und Glückserfüllung in der Hoffnung auf die Vereinigung mit Iseut "in purpurner Herrlichkeit". In völligem Kontrast dazu steht die folgende Szene, wenn Tristan, nunmehr unter seinen Qualen wahnsinnig geworden, nochmals den Hof König Marcs aufsucht. In der Verkleidung eines wilden Hofnarren schleicht er sich wie eine Katze an Iseut heran, die ihn zuerst abweist. Doch als sie ihn erkennt, fallen sich beide - hier zum ersten Mal - vor Glück in die Arme. Die Regie hat diese Szene als surrealistischen Traum inszeniert, womit sie - was auch stimmig ist - vollkommen aus dem Grundmodus dieser Inszenierung als ansonsten nüchterner Bericht herausfällt. Einen Liebestod wie bei Wagner gibt es hier nicht. Tristan stirbt gleichsam einen Märtyrertod, wortlos und ohne musikalischen Rausch. Nur ein Chor unsichtbarer Stimmen geleitet ihn in das ersehnte Reich aus "Frieden und Licht". Der Vorhang senkt sich, nachdem sich Iseut wortlos an seine Seite gelegt hat. FAZIT
Mit dieser wahrhaft bedeutenden Opernausgrabung ist dem Ulmer Theater
ein echter Coup gelungen. Die Inszenierung hält sich eng ans Libretto,
interpretiert nur andeutungsweise und überfrachtet die Oper nicht mit
psychologischen Deutungsversuchen. Das Sängerensemble und der Chor
werden ihren Aufgaben bestens gerecht. Das von Felix Bender
differenziert geleitete Orchester bringt die hoch artifizielle Musik
souverän zu Klingen. Erwähnt werden soll auch das hervorragend edierte
Programmheft mit fundierten Informationen und dem vollständigen
Libretto, was selbst größere Häuser oft nicht in dieser Qualität
zustande bringen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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