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Kaiserliche Intrigen in modernem Ambiente
Die Spielzeit 2021/2022 sollte eigentlich mit Händels Giulio Cesare in Egitto
in einer Inszenierung des Regie-Teams Immo Karaman und Fabian Posca eröffnet
werden, die nicht nur während der Intendanz von Berthold Schneider für
bemerkenswerte Produktionen an der Wupper verantwortlich gezeichnet haben. Dann
kam jedoch das Hochwasser und verursachte so große Schäden am Opernhaus, dass
ein Spielbetrieb dort zunächst nicht möglich war. Die Eröffnungspremiere musste
in den Malersaal der Werkstätten der Wuppertaler Bühnen verlegt werden. Da das
Regiekonzept von Karaman und Posca dort allerdings nicht umsetzbar war, erschien
die Produktion als "Konzertinstallation". Zu diesem Zeitpunkt war das Bühnenbild
jedoch bereits fertig und man überlegte auch im Sinne der Nachhaltigkeit, wofür
man es noch nutzen könnte, wenn das Opernhaus wieder bespielbar ist. Da man
nicht erneut auf Händels Oper zurückgreifen wollte, suchte man nach einem
anderen Werk der Operngeschichte, das in diesem Bild vom gleichen Regie-Team
erzählt werden könnte. Die Wahl fiel auf Monteverdis Oper Die Krönung der
Poppea (L'incoronazione di Poppea), die nun den Abschluss der Intendanz
Schneider markiert.
Nerone (Catriona Morison, Mitte vorne) verhaftet
Ottone (Franko Klisović, 2. von rechts) und Drusilla (Johanna Rosa
Falkinger, in der Mitte liegend) wegen des Anschlags auf Poppea (auf der linken
Seite von links nach rechts: Littore (Yisae Choi), Arnalta (John Heuzenroeder)
und Damigella (Tinka Pypker), ganz rechts: Soldat (Marco Agostini), im
Hintergrund: Statisterie).
Monteverdis letzte Oper steht zwar nicht am Anfang der Operngeschichte, markiert
aber dennoch einen Neubeginn der Gattung, da erstmalig kein mythologisches Thema
gewählt wird, sondern Personen auf der Bühne stehen, die wirklich gelebt haben.
Mit der historischen Wahrheit nimmt es der Librettist Giovanni Francesco
Busenello allerdings nicht ganz so genau. So war es in Wirklichkeit nicht Neros
Lehrer und Erzieher Seneca, der der Liebe des Kaisers zu Poppea im Weg stand,
sondern Neros Mutter Agrippina, die für ihre Opposition sterben musste. Seneca
wurde von Nero erst einige Jahre später zum Selbstmord gezwungen, weil sich der
Philosoph wie der Dichter Lukan (in der Oper Lucano) angeblich an einer
Verschwörung beteiligt haben soll. Auch wurde der spätere Kaiser Otho (Ottone)
in der Realität nicht in die Verbannung geschickt, weil er versucht hatte,
Poppea, die in zweiter Ehe mit ihm verheiratet war, zu töten, sondern vom Kaiser
als Statthalter nach Lusitanien weggelobt, damit letzterer Poppeas Gunst
gewinnen konnte. Ansonsten folgt das Libretto um den römischen Kaiser Nero (Nerone),
der alle Hindernisse aus dem Weg räumt, um seine Geliebte Poppea zur Kaiserin zu
krönen, im Großen und Ganzen den historischen Begebenheiten, fügt allerdings
neben weiteren historisch nicht verbürgten Personen allegorische Figuren wie
Fortuna (das Schicksal) und Virtù (die Tugend) sowie Götter und Göttinnen in die
Handlung ein.
Nerone (Catriona Morison, links) fordert
anlässlich des Todes von Seneca (Sebastian Campione, links auf dem Boden
liegend) von Lucano (Theodore Browne, Mitte) ein Gedicht (rechts vorne: Il tempo
(Bettina Fritsche), im Hintergrund: Party-Gäste).
Da die Originalpartitur der Oper wahrscheinlich bei einem Brand des Teatro Santi
Giovanni e Paolo in Venedig 1748 vernichtet worden ist und bei den beiden
erhaltenen Abschriften aus Venedig und Neapel die Instrumentalstimmen fehlen,
muss man sich bei jeder Inszenierung fragen, welche musikalische Bearbeitung
bzw. Fassung gewählt werden soll. In Wuppertal hat man sich für eine Fassung
entschieden, die der
Poppea (Ralitsa Ralinova, links) und Ottavia (Anna Alàs i Jové, rechts) im Kampf um Nerone (Catriona Morison, rechts im Hintergrund) So wie Monteverdi die Geschehnisse aus dem ersten Jahrhundert nach Chr. auf seine Zeit übertragen hat, siedeln Karaman und Posca die Handlung ästhetisch in den 1980er Jahren an. Bei den Kostümen und Perücken der Kaisergattin Ottavia und ihrer Rivalin Poppea denkt man unweigerlich an Krystle Carrington und Alexis Colby aus dem Denver-Clan. Der Prolog beginnt wie eine riesige Party. Alle Solist*innen stehen in schwarzer Abendgarderobe auf einem grauen Podest, das mit den abgebrochenen Rändern wie der Boden einer Palastruine wirkt. Während des Streitgesprächs zwischen Fortuna und Virtù, wer von den beiden die größere Macht besitzt, erschließt sich die Personenregie Karamans und die Choreographie Poscas nicht wirklich. So bleibt unklar, wieso sich beispielsweise Simon Stricker, der später in die Rolle des Gottes Mercurio schlüpft, wie ein Wurm über die Bühne bewegen muss. Auch die Aktionen der übrigen Figuren, wirken überflüssig, weil man das Gefühl hat, dass die einzige Intention darin bestehe, die Bühne während dieses Prologs zu verlassen. Dann hätte man sie auch von Anfang an leer lassen können. Dass ein Großteil der Figuren dabei auch noch rauchen muss, ist eine weitere leider überflüssige Anlehnung an die 1980er Jahre. Als stumme Figur agiert während des ganzen Stückes Bettina Fritsche als Il tempo, deren Rolle trotz eindrucksvoller Bühnenpräsenz nicht wirklich klar wird. Selbstmord in der Badewanne: Seneca (Sebastian Campione) mit Il tempo (Bettina Fritsche) Bei dem Bühnenbild von Karaman merkt man nicht, dass es ursprünglich für eine andere Produktion gedacht war. Aus dem Schnürboden werden in verschiedenen Ebenen graue Wände herabgelassen, die schnelle Szenenwechsel ermöglichen und immer wieder neue Räume erzeugen. Die Wände sind an den Seiten so abgerissen wie das Bodenpodest und deuten in der Struktur einen längst vergangenen Glanz an. Auch alle Requisiten sind in farblosem Grau gehalten, um, so wird es in der Einführung erklärt, die Konzentration nicht von den Figuren abzulenken, die sich mit Ausnahme der Dienstboten von den Grautönen deutlich abheben. Während auf dem veröffentlichten Probenfoto von Senecas Selbstmord in der Badewanne die Zeit aus dem Eimer wohl noch rote Farbe als Blut in die Wanne geschüttet hat, wird darauf in der Aufführung verzichtet. Erst nach der Pause sieht man einen blutverschmierten Seneca tot auf der Bühne liegen. Wieso sich der Dichter Lucano, der von Nerone angewiesen wird, in einem Gedicht Senecas Verdienste zu preisen, anschließend erschießt, bleibt unklar. Soll damit sein erzwungener Selbstmord angedeutet werden? Schließlich wurde er historisch genau wie Seneca beschuldigt, an der Verschwörung gegen den Kaiser beteiligt gewesen zu sein. Auch bei Ottones Verbannung geht Karaman recht frei mit Monteverdis Vorlage und der Historie um. Er lässt den späteren Kaiser Ottone, nachdem er die Bühne verlassen hat, einfach erschießen. Schluss-Duett zwischen Poppea (Ralitsa Ralinova, links) und Nerone (Catriona Morison, rechts) (in der Mitte: Il tempo (Bettina Fritsche), im Hintergrund: Ensemble) Dem musikalisch lieblichen Ende, bei dem Nerone und Poppea in dem berühmten Duett "Pur ti miro" ihr Liebesglück preisen, trauen Karaman und Posca nicht wirklich. Im Hintergrund dazu sieht man eine Bühnenwand, die wie nach einem Bombenangriff ein riesiges Loch in der Mitte aufweist. Davor liegen in Schutt und Asche die Reste dieser Wand. Nun treten alle Figuren des Stückes in schwarzen Abendkleidern auf und schreiten während des Duetts durch dieses Loch, während Nerone und Poppea auf der Bühne großen Abstand voneinander halten. Hier wird also bereits angedeutet, dass das Liebesglück nur von kurzer Dauer ist. Die Solistinnen und Solisten setzen musikalisch und szenisch das Konzept überzeugend um. Ralitsa Ralinova glänzt nach ihrer großartigen Violetta in Verdis Traviata auch in der Titelpartie von Monteverdis Oper mit strahlendem Sopran. Darstellerisch nimmt man ihr ab, dass Poppea jedes Mittel recht ist, um auf den Kaiserthron zu gelangen. Anna Alàs i Jové wirkt mit ihrer blonden "Krystle"-Perücke zwar relativ sanft, zeigt aber, dass sie alles andere als ein hilfloses Opfer ist. Mit kraftvollem Mezzosopran versucht sie, Ottone für ihre Zwecke einzuspannen. Ob es aber wirklich lustig ist, wenn sie in einer Art Fitness-Center bei Dehnübungen Ottone den Auftrag erteilt, seine ehemalige Geliebte zu töten, so dass ein Teil des Publikums in begeistertes Gelächter ausbricht, ist Geschmacksache. Franko Klisović punktet als Ottone mit virilem Countertenor und intensivem Spiel. Catriona Morison kehrt als Nerone an ihre alte Wirkungsstätte zurück und begeistert mit kraftvollem Mezzosopran. Mit Blick auf die anderen Figuren hätte man ihr allerdings durchaus mehr Haare auf dem Kopf zugestehen können, zumal Nero in jungen Jahren ja keineswegs ein hässlicher Mann gewesen ist. Auch die übrigen Partien sind gut besetzt. Hervorzuheben sind noch Hyejun Kwon, Johanna Rosa Falkinger, Theodore Browne und John Heuzenroeder. Kwon verfügt als Fortuna und Page Valletto über einen frischen und jugendlichen Sopran, der die Keckheit der beiden Figuren unterstreicht. In Valletto lässt sich durchaus schon ein Vorbote von Mozarts Cherubino erkennen. Falkinger stattet die Virtù und Drusilla mit einem weichen Sopran aus und hebt damit die Leidensfähigkeit der jungen Frau, die für ihren ehemaligen Geliebten Ottone alles täte, hervor. Browne verfügt über einen kraftvollen Tenor, mit dem er im Prolog als Amore Fortuna und Virtù in ihrem Streit in die Schranken weist und deutlich macht, dass er als Gott der Liebe das eigentliche Sagen hat. Heuzenroeder verleiht Poppeas Amme Arnalta wunderbar komische Züge und punktet vor allem in ihrem Triumph im dritten Akt, wenn sie ihren Einfluss als Bedienstete der künftigen Kaiserin beschreibt. So gibt es für alle Beteiligten verdienten und großen Applaus am Ende. Schneider bedankt sich beim Regie-Team Karaman und Posca für die Produktionen während seiner Intendanz mit einem Blumenstrauß.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung und Bühne
Kostüme und Choreographie Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal
Statisterie der Solistinnen und Solisten
Poppea
Nerone
Ottavia
Ottone
Seneca
Drusilla
Fortuna (Das Schicksal)
Virtù (Die Tugend)
Amore (Die Liebe) Pallade
Arnalta
Nutrice
Valletto Mercurio
Liberto
Damigella
Lucano Littore
2 Soldati
3 Famigliari Il tempo (Die Zeit)
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- Fine -