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Witwe im 70er Jahre-Look
Als Franz Lehár 1905 den beiden Direktoren des Theater an der Wien seine neueste
Komposition Die lustige Witwe in seinem Wohnzimmer vorspielte, war es
um die Gattung Operette nicht sonderlich gut bestellt. Seit dem Tod von Johann
Strauss (Sohn) und Franz von Suppé war es vorbei mit der "Goldenen
Wiener Operettenära", und was Lehár den beiden Direktoren vorstellte, überzeugte
sie zunächst nicht. Das sei keine Operettenmusik. Das Publikum und die Presse
sahen das anders, und die Uraufführung am 30. Dezember 1905 wurde ein riesiger
Erfolg. Dank der zahlreichen eingängigen Melodien gilt das Stück bis heute als
die bekannteste und erfolgreichste Operette des österreichischen Komponisten
ungarischer Herkunft. Dabei hätte es das berühmte Duett "Lippen schweigen"
beinahe gar nicht gegeben, da Lehár die Melodie nur als Walzer-Intermezzo
vorgesehen hatte, sich dann jedoch überzeugen ließ, sie zum Hauptthema für Hanna
und Danilo zu machen. Dass Berthold Schneider seine letzte Spielzeit als
Intendant an der Oper Wuppertal mit diesem Operetten-Klassiker eröffnet, mag ein
wenig verwundern, da er in den vergangenen Jahren häufig zur Saison-Eröffnung
eher auf Unkonventionelles gesetzt hat. Erinnert sei beispielsweise an die
Video-Oper Three Tales und Offenbachs Hoffmanns Erzählungen in
vier Regie-Handschriften in seiner ersten Spielzeit oder die Kombination des
dritten Aktes von Wagners Götterdämmerung mit Heiner Goebbels'
Surrogate Cities im Jahr darauf. Doch auch für Lehár lassen sich Gründe
finden, ihn an den Beginn der Spielzeit zu stellen. So begann seine musikalische
Laufbahn als Orchestermusiker in Wuppertal am damaligen Stadttheater am
Brausenwerth. Außerdem hat Generalmusikdirektor Patrick Hahn in Wuppertal noch
keine Operette dirigiert, so dass es langsam Zeit für ein Wuppertaler Debüt in diesem Genre
ist.
Botschafter Mirko Zeta (Sebastian Campione, vorne
links sitzend) überlegt mit Njegus (Philippine Pachl, auf dem Tisch) und den
Pontevedrinern (Chor), wie der drohende Staatsbankrott verhindert werden kann.
Die Geschichte um den drohenden Bankrott des fiktiven Balkanstaates Pontevedro,
den die reiche Witwe Hanna Glawari mit der Heirat des pontevedrinischen Grafen
Danilo Danilowitsch verhindern soll, besitzt eigentlich zu jeder Zeit eine
gewisse Aktualität und verleitet häufig zu einer mehr oder weniger gelungenen
Modernisierung. Christopher Alden, der zuletzt 2016 in Wuppertal den "Antonia"-Akt
aus Hoffmanns Erzählungen in Szene gesetzt hat, verlegt die Geschichte
zwar optisch in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, verzichtet jedoch
darauf, den Ort der Handlung oder die Problematik auf die heutige Zeit zu
übertragen. Dass das Publikum dabei optisch nicht in seliger Operettenseligkeit
schwelgen kann, liegt vor allem am Bühnenbild von Blanca Añón und
an Aldens Personenregie beim Chor. Añón hat als Grundraum einen
riesigen Saal der pontevedrinischen Botschaft in Paris kreiert, der mit den
schäbigen gelben Stühlen ein wenig an ein sozialistisches Politbüro erinnert. Im
ersten Akt prangt ein riesiges Bild der pontevedrinischen Berge an der Rückwand.
Der eisbedeckte Gipfel wird dann im zweiten Akt wie ein Museumsstück in den Raum
geholt und dient Hanna Glawari beim berühmten Vilja-Lied gewissermaßen als
Rückzugsort. Wieso sie dabei mit einem Geweih auf dem Kopf auftritt, erschließt
sich genauso wenig, wie die Tatsache, dass der Chor mit weißen Pelzmützen und
dicken Handschuhen ausgestattet ist. Soll das eine ironische Brechung sein? Auch
bleibt unklar, wieso die Chorsänger*innen später in einem Kreis um diesen
Berggipfel laufen müssen, wenn Danilo versucht herauszubekommen, wer die
verheiratete Frau ist, die mit dem Franzosen Camille de Rosillon ein Verhältnis
hat.
Die Grisetten (von links: Ja-Young Park, Katrin
Natalicio, Teresa Heiligenthal, Philippine Pachl, Marco Agostini und Hyejun Kwon)
Ein Zwischenvorhang trennt den hinteren Teil der Bühne ab, so dass Umbauten
während des Aktes möglich sind. Der Pavillon, in dem Camille mit der
verheirateten Frau entlarvt werden soll, entpuppt sich schließlich als Bett, in
dem der Pariser mit Hanna liegt, nachdem Valencienne den Pavillon kurz zuvor
mehr oder weniger unbemerkt verlassen hat. Dass Valencienne nicht die einzige
Ehefrau ist, die es mit der Treue nicht so genau nimmt, betont Alden in seiner
Inszenierung, indem er auch den pontevedrinischen Politikergattinnen Sylviane (Ya-Young
Park), Olga (Teresa Heiligenthal) und Praskowia (Katrin Natalicio) großen
Spielraum gewährt. So sieht man Olga zu Beginn heftig mit dem Franzosen Saint
Brioche (Max van Wyck) und Sylviane mit dem Vicomte Cascada (Mark Bowman-Hester)
flirten, während Praskowia Danilo Avancen macht. Obendrein lässt Alden die drei
auch noch in die Rollen der Grisetten im dritten Akt schlüpfen. Wieso sich Olgas
Gatte Kromow (Marco Agostini) allerdings auch in eine Grisette verwandelt,
erschließt sich nicht wirklich. Wenn man die Grisetten geschlechterübergreifend
präsentieren will, hätte man vielleicht einen anderen Darsteller aus dem Chor
auswählen sollen. Agostini macht zwar als Grisette eine gute Figur, führt aber
zu Verwirrung, wenn er anschließend im Grisetten-Kostüm wieder in die Rolle des
Kromow schlüpft. Gleiches gilt für das Faktotum Njegus, das in Aldens
Inszenierung von vornherein als Frau besetzt ist. Das funktioniert zwar
grundsätzlich, auch wenn der Sprachwitz bei Philippine Pachl als Njegus mit den
gewollten Versprechern bisweilen ein wenig platt ist und in Klamauk abdriftet.
Darstellerisch besitzt Pachl enorme Bühnenpräsenz, die sie in diversen
Slapstick-Einlagen gekonnt einsetzt, auch wenn ihr Auftritt mit Skiern im
zweiten Akt arg übertrieben ist.
Hanna (Eleonore Marguerre) mit dem träumenden
Danilo (Simon Stricker) beim Vilja-Lied (rechts: Chor)
Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Generalmusikdirektor Patrick
Hahn gibt ein in jeder Hinsicht gelungenes Operetten-Debüt in Wuppertal. Mit
Leidenschaft und großer Präzision arbeitet er mit dem Sinfonieorchester
Wuppertal die Feinheiten der Partitur heraus und erzeugt die Operettenseligkeit,
die man im Bühnenbild und den Kostümen von Kaye Voice vermisst. Auch die
Solistinnen und Solisten lassen keine Wünsche offen. Für die Titelpartie hat man
Eleonore Marguerre verpflichtet, die sicherlich vielen Besucher*innen noch aus
Dortmund in bester Erinnerung ist, wo sie unter der Intendanz von Jens-Daniel
Herzog zahlreiche große Sopran-Partien interpretiert hat. Auch als Hanna
begeistert sie mit strahlenden Spitzentönen. Sehr differenziert legt sie auch
das Vilja-Lied im zweiten Akt an, auch wenn der alberne Kopfschmuck ein wenig
vom wunderbaren Gesang ablenkt. Darstellerisch und optisch versprüht sie großen
Charme und stellt mit Simon Stricker als Graf Danilo Danilowitsch ein Traumpaar
dar, das in dem berühmten Duett "Lippen schweigen" nach anfänglichen
Streitereien doch noch zueinander finden darf. Auch vorher macht sie bereits
deutlich, wie stark es zwischen ihr und Danilo knistert und wie vehement sie
diese Gefühle zu verbergen versucht. Simon Stricker verfügt als Danilo über
einen markanten Bariton und legt die Rolle mit großem Spielwitz an.
Darstellerisch nimmt man ihm durchaus ab, dass er im Maxim das Leben in vollen
Zügen genießt.
Happy End für Hanna (Eleonore Marguerre) und
Danilo (Simon Stricker)
Die Partie der Valencienne ist mit Hyejun Kwon, einem Mitglied des Opernstudios
NRW, gut besetzt. Mit keckem Spiel und weichem Mezzosopran spielt sie ihren
Flirt mit Camille de Rosillon verführerisch aus und führt dabei ihren Gatten,
den Botschafter Mirko Zeta, den Sebastian Campione mit großartiger Komik
verkörpert, wunderbar an der Nase herum. Auch als Grisette versprüht sie großen
Charme. Theodore Browne stattet den Franzosen Camille de Rosillon mit tenoralem
Schmelz aus. Mit strahlenden Höhen lädt er Valencienne ein, mit ihr in den
Pavillon zu kommen, und bei diesen sauber ausgesungenen Spitzentönen verwundert
es nicht, dass Valencienne diese Bitte nicht abschlagen kann, auch wenn sie ihm
anschließend unmissverständlich auf den Fächer schreibt, dass sie eine
anständige Frau sei. Der von Ulrich Zippelius einstudierte Chor präsentiert sich
homogen und mit großer Spielfreude, auch wenn nicht alle Einfälle von Aldens
Personenregie und Choreographie schlüssig sind. Das Publikum
scheint das nicht zu stören. Es feiert das Regie-Team genauso wie die
Solist*innen, den Chor und das Orchester.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme Choreographisch-Szenische Mitarbeit Lichtdesign Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Wuppertaler Bühnen Besetzung*Premierenbesetzung Mirko Zeta Valencienne / Grisette Danilo Danilowitsch Hanna Glawari Camille de Rosillon Njegus / Grisette Vicomte Cascada Raoul de Saint Brioche Bogdanowitsch Sylviane, seine Frau / Grisette Kromow / Grisette Olga, seine Frau / Grisette Pritschitsch Praskowia, seine Frau /
Grisette
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- Fine -