Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Noperas!: Obsessions

Musiktheater-Projekt von Oblivia
Musik von Yiran Zhao

Aufführungsdauer: ca. 1h 20' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 3. Dezember 2022
(rezensierte Aufführung: 14. Januar 2023)


Logo: Wuppertaler Bühnen

Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Bum chi chi, bum chi

Von Stefan Schmöe / Fotos von Björn Hickmann

"Kinder! Macht Neues!" lautet ein gern zitierter Ausruf Richard Wagners, der sich selbst als den großen Erneuerer des Musiktheaters sah. Die Möglichkeit des Scheiterns, die dem Experiment naturgemäß innewohnt, zog er für die eigenen Werke dabei eher weniger in Betracht. Mit dem Musiktheater unserer Tage ist es eher umgekehrt, da dient das Siegel "experimentell" beinahe als Entschuldigung für die Bühnenuntauglichkeit. So schlimm, das sei vorweggenommen, ist es um die neueste Produktion der Reihe Noperas! mit dem Titel Obsessions nicht bestellt. Wobei das Wuppertaler Publikum leiderprobt sein dürfte: In der Vorgängerproduktion Chaosmos bekam man als Besucher die Aufgabe, einen Aktenordner in ein Regal zu stellen, was dann irgendwie den Gang der Oper beeinflussen und zum vermeintlich "interaktiven" Event machen sollte. Da ist man durchaus froh, wenn man bei Obsessions ganz konventionell im Zuschauerraum sitzt und passiv einer Aufführung auf der großen Bühne beiwohnt. Wobei man in diesem Fall vom Intendanten des Hauses, Berthold Schneider, einen Platz zugewiesen bekommt: Die überschaubare Zahl der Zuschauenden wird traubenförmig in der Mitte des Parketts platziert, wohl um (wenn man mittendrin sitzt) den Eindruck eines gut gefüllten Hauses zu suggerieren.

Szenenfoto

Die Reihe NOperas! ist ein Projekt des feXm, wie sich der "Fond Experimentelles Musiktheater" fesch abkürzt, und darin sollen in der Regel drei Stadt- oder Staatstheater (diesmal sind es nur zwei, nämlich die aus Bremen und Wuppertal) zusammenschließen und einem Kollektiv aus der "freien Szene", in diesem Fall der finnischen Gruppe Oblivia, die Realisierung eines musiktheatralischen Werks ermöglichen. Dabei soll gerade nicht, wie es der konventionellen Sichtweise entspricht, der Komponist im Zentrum stehen, dem der Librettist zuarbeitet und das Regieteam als nachgeordnete Instanz weitgehend unabhängig ein Bühnenleben des Werkes ermöglicht; vielmehr sollen alle Prozesse gleichwertig nebeneinander und im Ideal gemeinsam entwickelt werden. Das leistet Obsessions recht überzeugend, wobei klar ist: Funktionieren kann so ein Projekt nur, wenn man die Idee einer vorgegebenen Handlung und eines festen Librettos aufgibt. Die wenigen Textzeilen hat man dann auch sofort wieder vergessen, und im Grunde ist es egal, was gesungen wird - nur zu viel Bedeutung darf es nicht haben. So bedarf es immensen Einfühlungsvermögens, um die von der Wuppertaler Dramaturgin Marie-Philine Pippert im kurzen Einführungsvortrag vorab angekündigten drei Abschnitte zu den Feldern "Macht als Obsession", "Small Talk als Obsession" und "postobsessionale Freiheit" (oder so ähnlich) in der Aufführung wiederzuerkennen. Am ehesten sichtbar scheint das im Mittelteil, in dem phrasenhafte, aber bedeutungslose Sätze über ein von allen Darstellern gesungenes zweitaktges Rhythmusmuster zum Text "bum chi chi bum chi" (im Rhythmus "lang-kurz-kurz lang-lang") gesprochen werden. Der minimalistischen Struktur der Musik entspricht eine ebenso simple Tanzschrittfolge (wenn man da einmal aus dem Takt kommt wie hier einer Perfomerin geschehen, dann kommt man praktisch nie wieder hinein, was ganz lustig anzusehen ist).

Szenenfoto

)

Auf der Bühne wirkt das gar nicht mal so albern, wie es sich hier womöglich liest, und das liegt an der Strenge von Inszenierung und Choreographie. Über weite Strecken bewegen sich sieben Akteure auf der leeren Bühne, die von einer großen Leinwand begrenzt ist (nur in einer Szene wird diese für Videoprojektionen benutzt, bei denen abstrakt Farbkleckse miteinander verschmelzen). Drei davon sind im Besetzungszettel durch die Bezeichnungen "Sopran" (Rebecca Murphy), "Mezzosopran" (Julia Reznik) und "Bass-Bariton" (Yisae Choi) als Sänger bzw. Sängerinnen ausgewiesen, die anderen vier (Alice Ferl, Timo Frederiksson, Matthieu Svetchine und Annika Tudeer sind Mitglieder von Oblivia) als "Perfomer". Trotzdem machen alle das Gleiche. Das führt zu einem gewissen Ungleichgewicht in der Ausführung; so ist die eindrucksvoll agierende Rebecca Murphy allen anderen sängerisch und tänzerisch in Intensität und Präzision merklich überlegen; auf der anderen Seite gebührt allen Respekt, wie gut sie sich auf unterschiedlichsten Terrains schlagen - das gilt auch für die neun überaus souveränen Musiker des Sinfonieorchesters Wuppertal, die am Ende ihre Plätze am Bühnenrand verlassen und mit den anderen ein Chorstück a cappella, also unbegleitet, singen (musikalische Leitung: Tobias Deutschmann).

Szenenfoto

Die Musik hat die 1988 in China geborene, in Peking, Berlin, Basel und Linz ausgebildete Komponistin Yiran Zhao komponiert (die ebenfalls Mitglied von Oblivia ist) und sich dabei wohltuend einfacher Modelle bedient. Im Wesentlichen lässt sich Obsessions als durchkomponierte Nummernoper hören. Im ersten Abschnitt weiten sich lang gehaltene Töne zu dissonanten Klangflächen, was ein wenig an die Musik Krysztof Pendereckis denken lässt; später gibt es einen Atem- und anderen Geräuschen geprägten Abschnitt, der an die Musik des an den Wuppertaler Bühnen in der Vergangenheit ziemlich präsenten Salvatore Sciarrino denken lässt. Parallel dazu bewegen sich die Akteure auf der Bühne in fernöstlich anmutenden Kleidern (Kostüme: Tua Helve) in pathetischen Posen. Der oben beschriebene "chi-chi-bum"-Teil ist als scherzohaftes Rondo angelegt, der mit schlichteren Kostümen szenisch eine tänzerische Leichtigkeit besitzt. Ein paar Passagen mit elektronischer Musik gibt es auch. In der letzten Szene tastet sich die Musik an Tonleitern entlang und hat barocke Strenge, auf der Bühne erscheint die Choreographie noch freier und gelöster. Manches wirkt ziemlich banal, etwa wenn von einer Pyramide die Rede ist und das Ensemble sich in Form eines Dreiecks gruppiert. Insgesamt aber korrespondieren Bühnengeschehen und Musik auf nicht uninteressante Weise, wobei man den Abend eher aus der Abstraktion des zeitgenössischen Tanztheaters als der Oper betrachten sollte.

Szenenfoto

Die Uraufführung erlebte Obsessions im Februar 2022 am Theater Bremen auf einer kleinen Bühne; die Wuppertaler Oper bezeichnet die den örtlichen Gegebenheiten angepasste, dabei wohl auch erneuerte Version als "zweite Uraufführung". Oblivia denkt indes weiter und zählt Obsessions bereits als Mittelteil einer Trilogie, deren letzter Teil Ende Januar 23 unter dem Titel Pleasure am Theater Rampe in Stuttgart herauskommen soll. So könnte das Stück, das in Wuppertal nicht über zwei Aufführungen hinauskommt, durchaus auch in Zukunft ein Bühnenleben besitzen und ein Bindeglied zwischen dem "großen" Musiktheater der mit öffentlichen Geldern subventionierten Bühnen und der "freien Szene" bilden.


FAZIT

Zu viel tiefere Bedeutung ist bei Obsessions nicht zu erkennen, aber das Werk hat seine poetischen Qualitäten.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tobias Deutschmann

Konzept, Text, Ausstattung, Regie
Oblivia

Künstlerische Leitung
Annika Tudeer

Musik und Sound-Design
Yiran Zhao

Kostüme
Tua Helve

Licht
Meri Ekola

Dramaturgie
Alice ferl
Anna-Maija Terävä


Solisten

Sopran
Rebecca Murphy

Mezzosopran
Julia Reznik

Bass-Bariton
Yisae Choi

Performer_innen
Alice Ferl
Timo Fredriksson
Matthieu Svetchine
Annika Tudeer



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -