Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Entmoralisierung der TyrannenweltVon Stefan Schmöe / Fotos: © Candy WelzSeine letzten Worte spricht Caligula aus dem vollständig abgedunkelten Raum heraus: "Noch lebe ich!" Und es ist zu befürchten, dass hier weniger die gerade gemeuchelte Bühnenfigur spricht, sondern das Prinzip dahinter: Die Macht, die keine Grenzen kennt, jedenfalls keine von Menschen und Moral gesetzte. Den Mond hatte Caligula vom Himmel holen lassen wollen, in der Hoffnung, damit das Schicksal umkehren, den Tod seiner Schwester Drusilla rückgängig machen zu können. Daran scheitert freilich sogar ein Caligula, dem ansonsten zweieinhalb Theaterstunden lang von keiner Instanz Einhalt geboten werden kann. Einer, der die Welt entmoralisiert hat. Im ersten Bild zeigt ihn Regisseur Dirk Schmeding eine Szene lang als Golf spielenden Donald Trump. Das reicht an konkreten Verweisen, ein lässiges "so sehen die Caligulas heute aus". Der Stoff ist zeitlos, leider. Festmahl unter Monitoren, die die Machtzentren der Welt einblenden. Die Verschwörer werden dabei einmal mehr gedemütigt.
Und doch muss man diese Produktion, die an diesem Abend ihre Wiederaufnahme erlebt, kurz historisch einordnen: Die Premiere war am 12. Februar 2022, also knapp zwei Wochen vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und zu einem Zeitpunkt, als die NATO und das westeuropäische, jedenfalls das deutsche Bürgertum noch hofften, es bliebe bei wechselseitigen Muskelspielen. Vermutlich hätte Schmeding mit dem Wissen von heute den Blick nicht einseitig auf Trump fixiert (vieles aus der Oper spiegelt sich in Putins Wirklichkeit im Jahr 2022 leicht erkennbar wider). Trotzdem passt Trump als Modell (schon deshalb, weil dadurch nicht der gute Westen auf das böse Russland zeigt, sondern die Menschheits- und Gesellschaftstragödie im eigenen Lager erkennen muss). Aber die Inszenierung kommt weder belehrend noch agitierend daher, sie spult exemplarisch und emotionslos das Programm des Bösen ab - in modernen Kostümen (Frank Lichtenberg), in weitestgehend abstraktem Bühnenbild (Martina Segna). Das besteht weitgehend aus der mit Trümmerstücken übersäten Drehbühne; ein düsteres Bild, das nur im dritten Akt einem Pool mit angedeuteter Schaumparty weicht. Pool-Party mit begnadigtem Verschwörer: Ausnahmsweise zeigt Caligula seine Macht nicht durch den Befehl zur Hinrichtung, sondern durch Ignorieren der Attentatspläne Chereas.
Detlev Glanert hat die Oper mit einem Libretto von Hans-Ulrich Treichel nach dem Drama von Albert Camus 2006 im Auftrag der Opernhäuser in Frankfurt und Köln komponiert (siehe unsere Rezension). Das düstere Sujet bringt es mit sich, dass die dissonanten Klangballungen immer ihren dramaturgischen Sinn haben - ein musikalischer Schockeffekt nach dem anderen, unterbrochen von elegischen Passagen, die der Text mit poetischen Bildern (meistens geht es um den Mond) klug vorbereitet. Glanert ist gewieft genug, immer wieder harmonische Bezugspunkte zu setzen, um die Modernität der Klangsprache publikumstauglich wieder einzufangen. In Weimar sucht Dirigent Andreas Wolf eher nach den Schroffheiten, und mit der ausgezeichneten Staatskappelle Weimar und dem klangschönen, mitunter allerdings zu arg romantisierendem Vibrato neigendem Chor (Einstudierung: Jens Petereit) gelingt eine packende, nie durch Gefälligkeit anbiedernde musikalische Interpretation, die "schöne Stellen" eher argwöhnisch überspielt als auskostet, dadurch aber ungemein spannend ist. Und die ein hervorragendes Ensemble auf der Bühne begleitet. Dichterlesung bei Caligula - mit tödlichem Ende für alle, deren Dichtkunst missfällt
Bariton Oleksandr Pushniak in der Titelpartie ist eine Wucht, singt und spielt mit immenser Präsenz und gibt der Figur eine faszinierende Zerrissenheit: Kein eindimensionaler Tyrann, sondern ein Herrscher, der sein Zweifeln am Sinn auf die Menschheit projiziert und diese beim Absturz ins Nichts mitreißt. Marlene Gaßner gibt mit leicht dunkel timbriertem Mezzo seiner Geliebte Caesonia eine faszinierende Klangfarbe (und agiert auf der Bühne mit angemessenem Sex-Appeal). Der junge niederländische Countertenor Gerben van der Werf glänzt in der Partie des Sklaven Helicon, der den Mond vom Himmel holen soll. Grandios singt Joanna Jaworowska aus dem Opernstudio einen jugendlich schwärmerischen Dichter Scipio. Stimmlich wie darstellerisch durch und durch souverän agieren die Verschwörer gegen Caligula: Rafal Pawnuk als Cherea, Alexander Günther als Mucius, Julia Gromball als Livia, Uwe Schenker-Primus und, kurzfristig für den erkrankten Daniel Nicholson eingesprungen, von der Seite Alik Abdukayumov (auf der Bühne spielt ohne Substanzverlust Regieassistent Dirk Girschik). Und auch dass Chorist Oliver Luhn ebenso kurzfristig den "dritten Dichter" übernimmt, spricht für Qualität und Flexibilität des Weimarer Ensembles. Am Ende tötet Caligula auch seine Geliebte Caesonia (hier: Jelena Kordic)
Die Regie tut gut daran, die für sich sprechende musikalische Seite nicht durch weitere Schockeffekte zu überlasten. Der Henker, so heißt es für die vier Dichter, warte hinter der Tür - zwar kann Schmeding nicht alle Greueltaten hinter die Bühne verbannen, aber er führt das blutige Geschehen sachlich nüchtern vor. So entwickelt sich das Drama schlüssig aus der Musik heraus. Auf diesem hohen szenischen wie musikalischen Niveau beweist die Oper, die nach der Uraufführungsproduktion in Frankfurt und Köln schon an der English National Opera und am Teatro Colón sowie in Hannover nachgespielt worden ist, durchaus Repertoirequalitäten. Aktualität sowieso. FAZITMusikalisch wie szenisch eine großartige, über die gesamte Spieldauer fesselnde Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Live-Kamera
Chor
Dramaturgie
SängerCaligulaOleksandr Pushniak
Caesonia, seine Frau
Helicon
Cherea
Scipio
Mucius
Livia
Lepidus
Mereia
Erster Dichter
Zweiter Dichter
Dritter Dichter
Vierter Dichter
|
© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de