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Abenteuer Lesen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Eduard Straub
Selten ist in einer Oper so viel gelesen worden. Auch wenn man der Musik wegen gekommen sein mag, dem ersten Augenschein nach gilt's hier dem Buch: Bis hinunter in den Orchestergraben und über mehrere Galerien bis in den Bühnenhimmel hinauf hat Bühnenbildner Herbert Murauer eine gewaltige Bibliothek gebaut. Eine Bibliothek allerdings, wie sie Franz Kafka gefallen hätte, Tag und Nacht bevölkert von Menschen, deren Lebensinhalt diese Bibliothek zu sein scheint und die chamäleonhaft das etwas triste Graubraun der hölzernen Regale in ihre Kleiderordnung übernommen haben. Das schreiende Blau der Stühle dagegen verleiht dem Raum eine komische Note. Die Zauberflöte - ein Lesestück. ![]() Das hohe Paar: Pamina und Tamino
Als Vorspiel auf dem Theater hat Regisseur Christoph Loy eine Rahmenhandlung hinzuerfunden, die den Grundgedanken seiner Inszenierung vorab erklärt: Da disputieren zwischen Rokoko und Aufklärung eine Dame und ein Herr über den Primat von (weiblicher) Intuition und (männlicher) Vernunft – und nehmen verbal den auskomponierten Dualismus von Königin der Nacht und Sonnenpriester Sarastro vorweg. Schließlich bricht sie den Streit ab mit dem Verweis auf ein Märchen, das man nun gemeinsam lesen solle: Die Zauberflöte. Auf dieses Stichwort öffnet sich die Bibliothek, und von nun an erleben wir die Zauberflöte sozusagen als Märchenspiel in der Fantasie des Lesenden, wobei bedienstete und Besucher der Bibliothek mit den Charakteren des Märchens verschmelzen und die Handlung teils pantomimisch, teils ganz handfest nachspielen. Die Dialoge hat Loy fast komplett gestrichen. Statt dessen lässt er das Pärchen der Rahmenhandlung eine sehr ausführliche Nacherzählung im Märchenton verlesen (und greift nur an ausgewählten Stellen auf die originalen Dialoge zurück). ![]()
Das Verfahren funktioniert, weil Loy mit viel Liebe und großer Präzision im Detail gearbeitet hat. Tamino ist vom Typ „angeberischer Jungmanager“, Papageno der volkstümliche Handwerker, der in dieser Bibliothek (wie bei Mozart / Schikaneder in Sarastros Weisheitstempel) eigentlich fehl am Platz ist. Die drei Damen sind Oberbibliothekarinnen oder Chefsekretärinnen, Monostatos der Hausmeister, Sarastro der Bibliotheksleiter – aber so ernst muss man das gar nicht nehmen, denn Loy erzählt diese doppel- und dreifachbödige Geschichte mit einem kräftigen Augenzwinkern. Man kann in dieser Zauberflöte fast alles wiederfinden, was man aus „klassischen“ Inszenierungen kennt, wenn auch oft nur angedeutet (sogar die Löwen – die Putzkolonne hat die entsprechend wilde Haartracht), und viele Szenen kann man gleichzeitig auch als Parodie auf die Aufführungspraxis lesen. So hat Loy eine über weite Strecken äußerst amüsante, sommerleichte Fassung dieser ja gar nicht so unkomplizierten Oper auf die Bühne gestellt. ![]() (MP3-Datei)
Nicht alles ist schlüssig, muss es aber im Märchen ja auch nicht sein; und ganz ohne Längen ist das Spiel auch nicht (obwohl Loy einen ziemlich echt aussehenden Feuer- und Wasserzauber in Aquarium-artigen Glaskästen veranstaltet). Schwerer wiegt, dass Loy im Finale mit einem allumfassenden Verbrüderungsrausch recht naiv die Gegensätze aufhebt und die Frage nach Vernunft oder Gefühl mit einem banalen "sowohl-als-auch" und "von-allem-etwas" beantwortet. So plätschert die Oper etwas unbefriedigend ohne richtigen Schlusspunkt aus. Seine eigentlichen Sympathien hat Loy vorher schon klar zu erkennen gegeben: Für ihn sind (und Mozart hätte wohl nicht widersprochen) Papageno und Pamina das ideale Paar. Im vielleicht schönsten von vielen schönen Momenten hält Papageno verschämt wie ein Verwandter des Tramps Charlie Chaplins Pamina nach ihrer großen Arie („Ach, ich fühl' es") eine rote Rose hin. Und später, beim Duett von Papageno und Papagena, da wird Lebensziel der beiden: „so viele kleine Kinderlein“ affirmativ dem Publikum entgegen gesungen. Diesen Kindern würde Loy die Welt wohl lieber anvertrauen als den eifernden Sarastros und Königinnen. Aus dieser Sicht hat der scheinbar schwache Schluss durchaus wieder seine Berechtigung: Wie auch Mozarts mehr volkstümliche als feierlicher Töne unterläuft auch die Inszenierung den vermeintlich erhabenen Schluss. ![]() Das ideale Paar: Pamina und Papageno
Leider kann die musikalische Seite der Aufführung mit dem hohen Niveau der Inszenierung nicht mithalten. Der junge griechische Tenor Antonis Koroneos erwische einen schwarzen Tag und stolperte fast Mitleid erregend durch die Partitur. Mit jedem Konsonanten riss die musikalische Linie ab, Spitzentöne wurden immer wieder unschön angestoßen und erklangen oft äußerst angestrengt – Premierennervosität höheren Ausmaßes? An einigen wenigen Stellen ließ Koroneos aufblitzen, dass seine Stimme erhebliches lyrisches Potenzial besitzt, das er an diesem Abend der technischen Unzulänglichkeiten (aber auch großer Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache) wegen kaum einmal abrufen konnte. Sylvia Hamvasi gewann als Pamina im Verlauf der Aufführung zunehmend an Statur. Ihr warmer, lyrischer Sopran ist sauber geführt, klingt aber (vor allem im ersten Akt) etwas neutral. Ekatarina Morozova sang als Königin ihre Koloraturen blitzsauber aus – allerdings in einem Tempo, das man mit Otto Rehagel als „kontrollierte Offensive“ bezeichnen könnte und das mehr nach Etüde als nach Furie klingt (da trägt freilich der Dirigent eine Mitschuld, dazu unten mehr). ![]() (MP3-Datei)
Sami Luttinen ist ein leicht röhrender Sarastro mit profunder Tiefe, wenn auch nicht immer sonor geführt. Dadurch bleibt die Figur etwas blass. Ludwig Grabmeier ist wegen seiner hinreißenden schauspielerischen Leistung der Star der Aufführung; musikalisch fehlt der exzellenten Artikulation ein wenig der klangliche Unterbau (und manche rhythmische Freiheiten brachten Dirigenten und Orchester ins Schwitzen). Helmut Pampuch als Monostatos und Hermann Becht als Sprecher und 1. Geharnischter beeindrucken mit intelligenter Gestaltung und Bühnenpräsenz. Die Knaben (Tina Scherer, Julia Ermakova, Ekaterini Papadopoulou) bilden ein klangschönes, sehr homogenes Trio, die Damen (Lisa Griffith, Matha Marquez, Laura Nykänen) sind eher hysterische Solistinnen – was ja auch zur Rollenauslegung passt. ![]() (MP3-Datei)
Dirigent Andreas Stoehr versucht, sich mit dem kammermusikalisch kleinen Orchester dem historischen Klang anzunähern – was halbwegs gelingt, aber auch deutlich macht, dass ein „Allround-Orchester“ nicht in zwei, drei Proben in einen authentischen Klangkörper der Mozart-Zeit umgemodelt werden kann. So bleibt zwischen „harter“ Pauke und „softem“ Streicherklang eine etwas indifferente Mischung. Das ist zwar nicht direkt störend, wirft aber schon die Frage auf, warum sich die Theaterleitung nicht entschlossen für eine Stilrichtung entschieden hat. Stoehr phrasiert schön, wählt aber, gerade im ersten Akt, sehr maßvolle Tempi, sodass die Musik nicht recht voran kommt. Dadurch werden die Königinnen-Arien – siehe oben – „buchstabiert“, bleibt die Overtüre sehr gemächlich. Besser liegen Stoehr die ohnehin langsamen Nummern, die sehr schön gelingen. Die Kontraste dazu aber bleiben zu unscharf.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Solisten
Pamina
Tamino
Königin der Nacht
Sarastro
Papageno
Papagena
1. Dame
2. Dame
3. Dame
Monostatos
Sprecher
Priester
1. Knabe
2. Knabe
3. Knabe
Das Paar der Rahmenhandlung
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