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Florentinisches Doppelspiel
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes
Florenz, Wiege der Renaissance, Stadt Dantes – das ist der Verknüpfungspunkt für zwei beinahe gleichzeitig entstandene Einakter, deren Hauptproblem es ist, nicht abendfüllend zu sein und deshalb eines gleichwertigen Partners zu bedürfen. Zumindest im Falle von Puccinis Komödie Gianni Schicchi steht wohl nur die kurze Form mit einer Dauer von gerade einmal einer Stunde einer stärkeren Verbreitung entgegen, denn diese wahrhaft geniale Partitur ist an sich ein Stück allerersten Ranges. Von Puccini zusammen mit Il Tabarro (Der Mantel) und Suor Angelica (Schwester Angelika) zu einem „Triptichon“ zusammengestellt, sprengt diese dreiteilige Anordnung ihrerseits wieder den Rahmen des machbaren. In Gelsenkirchen hat man den Schicchi von seinen Schwesterwerken getrennt und ihm Alexander von Zemlinskys Florentinische Tragödie zur Seite gestellt, 1917 (und damit ein Jahr früher als der Einakter Puccinis) komponiert. Der gemeinsame Handlungsort Florenz ist mehr als zufällige Verbindung. Als Kombination von Tragödie und Satyrspiel, als Hölle und Himmel im Sinne Dantes, fügen sie sich in einen höheren Zusammenhang (der Bezug zur Renaissance ist durch Dantes göttliche Komödie, auf der die Handlung von Gianni Schicchi beruht, und der zeitlichen Fixierung der Florentinischen Tragödie auf die Spätrenaissance beiden Werken immanent). Dass man bei der Gelegenheit auch einmal ein Werk Zemlinskys zu sehen und hören bekommt, ist ein schöner Nebeneffekt. ![]()
Die florentinische Tragödie ist eine merkwürdige Dreiecksgeschichte nach einem Drama von Oscar Wilde, dass im 16. Jahrhundert einen Tuchhändler seine Frau in flagranti mit dem Fürsten Guido überrascht. Er verwickelt diesen in ein langes Gespräch, bei dem der Fürst ihm zuerst allerlei Stoffe abkauft, sich schließlich mit dem Tuchhändler duelliert und dabei tödlich verwundet wird. Über dem Toten findet das Ehepaar in Ekstase über die unerwartete Kraft des anfangs nur scheinbar so kleinkrämerischen Ehemanns wieder zueinander. Wilde kostet in dem mehr monologisch als dialogisch geführten Gespräch das permanente Andeuten des Ehebruches bis zur Erschöpfung aus – ein recht angestrengtes ästhetisches Wortspiel, das Zemlinsky allerdings mit einer an die Herodes-Passagen aus Strauss' Salome erinnernden raffiniert luxeriösen Musik unterlegt (allerdings nie die Sprengkraft eines Strauss erreicht). ![]() Über ihnen der gestirnte Himmel: Bianca und Guido in postwagnerscher Welten-Nacht
Nicht zu Unrecht misstraut Regisseur Dieter Kaegi den Wortspielereien. In seiner Inszenierung wird nichts angedeutet, sondern herzhaft vor den Augen des betrogenen Gatten geküsst. Auch die sozialen Unterschiede – der reiche Fürst, der arme Händler – sind aufgehoben. Fürst Guido, von Burkhard Fritz kraftvoll (und dennoch dem zu dominanten Orchester unterlegen) gesungen, steht im Schlabberlook unengagiert da (schauspielerisch müsste Fritz deutlich zulegen), in seinem Todessehnen ein Nachfahre von Tristan und von Debussys Pelleas. Kaegi focussiert ganz auf den eleganten Kaufmann, von Jee-Hyun Kim bravourös gesungen. Auch die solide Noriko Ogawa-Yatake als Bianca ist kaum mehr als eine Nebenfigur. Die Kulisse, die einen mit Blumengirlanden geschmückten, sonst eher kargen Renaissance-Raum mehr andeutet als darstellt, öffnet sich im ekstatischen Schluss dem Sternenhimmel – eine zeitlose Dreiecksgeschichte von einiger Suggestivkraft. Auch wenn man sich eine noch stärker geschärfter Profilierung der Personen wünschte, ist diese Begegnung mit Zemlinsky den Besuch wert. ![]()
Trotzdem steht die Oper eindeutig im Schatten des (allerdings auch musikalisch deutlich überlegenen) Gianni Schicchi. Bei diesem handelt es sich um einen gewitzten Bauern, der listig das Testament des verstorbenen Buoso Donati (der eigentlich alles der Kirche vermacht hat) fälscht, indem er sich an Stelle des Toten begibt und scheinbar sterbenskrank dem Notar das Testament im Sinne von Buosos Familie diktiert – nicht ohne sich selbst kräftig daran zu beteiligen. Der angedeutete Raum aus der Florentinischen Tragödie ist geblieben, hat sich aber zum ganz realen Zimmer der italienischen Gegenwart gewandelt: Ein Zimmer, wie es ein uralter Florentiner bei seinem Tod heute auch hinterlassen könnte. Temperamentvoll spielt das sehr engagierte Ensemble die Komik des Werkes aus, und mit vielen witzigen und sorgfältig ausgearbeiteten Details sorgt Kaegi für blendend unterhaltendes Theater. Opern, bei denen man herzhaft lachen kann, sind rar – hier kann man einem solch seltenen Fall begegnen. ![]() ... und ruft den ungeliebten, aber gewitzten Bauern Gianni Schicchi herbei.
Nikolaj Miassojedov ist die Titelrolle wie auf den fülligen Laib geschrieben. Seine Tochter Lauretta, der Puccini die einzige wirkliche Arie in diesem Parlando-Stück anvertraut hat, ist mit Regine Herrmann zu leicht besetzt – schön gesungen, aber die Stimme dürfte doch weniger soubrettenhaft sein. Allerdings ist Regine Herrmann eine wunderbar biedere Lauretta mit unansehnlicher Brille, von der Sängerin genussvoll ausgespielt. Der schon in der florentinischen Tragödie schwer beschäftigte Burkhard Fritz gibt ihren Liebhaber mit leuchtendem, flexiblem Tenor, dem der Sprung von Zemlinsky zum sehr viel gesanglicheren Puccini offenbar mühelos gelingt. Auch die kleineren Rollen lassen keine Wünsche offen: Ein Triumph des Ensembletheaters. ![]() "O mio babbino caro" (Lauretta: Regine Herrmann) "In testa la cappellina" (Schicchi: Nikolai Miassojedov) (MP3-Datei)
Johannes Wildner dirigiert die etwas hölzerne Neue Philharmonie Westfalen erst bei Puccini hinreichend sängerfreundlich. Zemlinskys Partitur fasst er stark orchestral auf, entwickelt auch nach leichten Irritationen zu Beginn überzeugend den großen Spannungsbogen (den Zemlinsky zum Schluss recht kraftlos in sich zusammen brechen lässt). Bei Puccini haben dann die Singstimmen, zuverlässig begleitet, den Vorrang. Angesichts der insgesamt sehr überzeugenden musikalischen Leistungen kommt man Gianni Schicchis abschließender Bitte an das Publikum, trotz seiner Verfehlungen milde über ihn zu urteilen, jedenfalls gerne nach.
Bemerkenswerte Kopplung eines hörenswerten und eines genialen Einakters mit eindeutigem Punktsieg für Puccini – und für das Gelsenkirchener Ensemble, das sich lustvoll auf dieses viel zu selten gespielte Werk stürzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereEine florentinische Tragödie
Guido Bardi
Simone, Kaufmann
Bianca, seine Frau Gianni Schicchi Lauretta Zita Rinuccio Gherardo Nella Gherardino Betto di Signa Simone Marco Ciesca Arzt Notar Pinellio, Schuster Guccio, Färber
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E-Mail: oper@omm.de
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