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Musiktheater
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Billy Budd

Oper in vier Akten (Originalfassung 1951)
Text von E.M. Forster und Eric Crozier
nach der Erzählung von Hermann Melville
Musik von Benjamin Britten

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere in der Bayerischen Staatsoper München, Nationaltheater
am 15. Januar 2004
(rezensierte Aufführung: 29. Januar 2005)

Logo: Staatsoper München

Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Männer unter sich

Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl

Vergrößerung in neuem Fenster

Billy Budd ist keine „schwule“ Oper. Zur Zeit ihrer Entstehung stand Homosexualität noch unter Strafe, eine offene Behandlung des Themas war somit unmöglich. Aber den Librettisten E.M. Forster und Eric Crozier und dem Komponisten Benjamin Britten ging es wohl auch mehr um die Darstellung der Gefühlswelten der betroffenen Charaktere. Mit großer Kunstfertigkeit, Einfühlungsvermögen und Dezenz werden in der Geschichte um Billy Budd homoerotische Elemente gezeigt, die heutzutage klare Assoziationen wecken. Dabei handelt es sich bei den dargestellten inneren und zwischenmenschlichen Konflikten um Fragen, die sich sowohl im homo- wie auch im heterosexuellen Leben wiederfinden.

In Billy Budd sind die Männer aber unter sich. Die Versuchung zu verdeutlichen, was heutzutage deutlich gezeigt werden dürfte, ist groß. Die Kraft, dem zu widerstehen und der Subtilität ihre Kunst zu lassen, hat Regisseur Peter Mussbach nur momentweise verlassen. In seiner Inszenierung für die Bayerische Staatsoper ist das düstere Seebild in München erstmals zu sehen.


Vergrößerung in neuem Fenster Nathan Gunn (Billy Budd)

Der Einheitsbühnenraum von Erich Wonder erinnert an einen ausgeleuchteten Schiffsrumpf, mehrere Spielebenen sind durch Metallstiegen miteinander verbunden. So entsteht vorn rechts offensichtlich eine Art Kommandobrücke und links hinten eher versteckt eine Kleinfensterfront mit Sitzen, die an ein aufgeschnittenes Flugzeug erinnert. Vom Wetter bekommt man in diesem geschlossenen Innenraum nicht viel mit. Aber da hilft die Beleuchtung nach. Die Enge, das Ausgeliefertsein und das Nicht-flüchten-können soll erklärtermaßen mit diesem Bild verdeutlicht werden. Doch dazu ist der Raum wiederum nicht geschlossen genug. Aber er bildet einen eindrucksvollen Rahmen für eine zumeist sehr fein gearbeitete Personenregie, mit der Mussbach faszinierende Charakterisierungen gelingen.

Wie der geradezu geil sabbernde Flint und Claggart auf den Leiterstufen Billy um die Wette angeiern und wie Flint sich später liebevoll über den toten Claggart beugt, ihm einen Kuss auf die Stirn haucht, das ist Personenregie vom Feinsten und eröffnet dem Zuschauer Wege zu gedanklichen Spaziergängen durch die vielschichtigen Seelenleben der Figuren.


Vergrößerung in neuem Fenster John Tomlinson (John Claggart), John Daszak (Kapitän Edward Fairfax Vere)

Mussbach lässt Claggart durch einen deutlich gemachten inneren Kampf sehr menschlich erscheinen. Das ist kein Bösewicht von Natur aus, sondern eher ein sensibler Mann, der aus einer seelischen Verletzung heraus, oder ganz einfach aus Frust, das Credo der Boshaftigkeit singt, anstatt das der Liebe, das in ihm beängstigend wieder aufsteigt, als er Billy begegnet. Das Bösartige ist ihm vertraut und dann kommt dieser junge Billy und zeigt ihm, dass es im Leben etwas Schöneres gibt. Doch Billy bleibt für ihn unerreichbar. Und schlimmer noch: Er hat sein Leben als Widerling durcheinandergebracht. So kann man sich auch Feinde machen. Eindrucksvoll symbolisch zieht sich Claggart die (Mörder-)Handschuhe an.

Fast scheint es, als ob Kapitän Vere in Claggart Fußstapfen tritt, nachdem Claggart tot und Billy verurteilt ist. Vere nimmt Claggarts Schlagstock auf und hantiert in gleicher Weise damit wie er. Doch Veres Charakter ist stärker. Er steht zu seiner Entscheidung, Billy nicht zu retten und das (gesetzlich korrekte) Urteil zu akzeptieren. Und er steht vor sich selbst auch zu seiner Schwäche.


Vergrößerung in neuem Fenster Oben das Matrosenballett auf Stöckelschuhen, vorne links: Nathan Gunn (Billy Budd), Anthony Mee (Squeak)

Solchen Subtilitäten stehen nur vereinzelte Plattitüden gegenüber. Das Matrosenballett auf Stöckelschuhen ist einfach nur blöd. Damit schüttet sich Mussbach eiskaltes Wasser in den Wein der ansonsten so fein verpackten Homoerotik. Ein ärgerlicher Ausrutscher auf ein unangemessenes Niveau.
Claggart fordert Billy mit der Begründung, dass dies ein Kriegsschiff sei, auf seinen Mantel auszuziehen. Wenige Minuten später stehen aber alle Matrosen in Mänteln auf der Bühne. Die Aufforderung, das bunte Halstuch abzulegen, wie es im Original vorgesehen ist, ist da, doch viel subtiler und nachvollziehbarer. Man muss Claggarts Geilheit auf Billy ja nicht überdeutlich zeigen. Und solch eine Unlogik würde sich Claggart nie erlauben, so angreifbar würde er sich nicht machen.


Vergrößerung in neuem Fenster Nathan Gunn (Billy Budd), John Daszak (Kapitän Edward Fairfax Vere)

Mit tief beeindruckenden Bildern zeigt Mussbach einen veränderten Schluss. Billy steigt die oberste Leiter hinauf und singt sein Lebensabschiedswiegenlied an der Leiter hängend. Der Besuch Danskars mit der Henkersmahlzeit findet nur in Billy Phantasie statt. Danskers aus dem Off gesungene Ankündigung einer Rebellion gegen das Todesurteil verliert ein gutes Stück an Bedeutung. Denn Billy wird nicht aufgehängt, sondern stirbt an der Leiter wie Christus am Kreuz. Wie eine Kreuzabnahme wirkt es denn auch, wenn Vere ihn schultert und von der Bühne trägt – um ihn kurz darauf wieder auf der Kommandobrücke abzusetzen. Damit ist das Anfangsbild wieder erreicht, denn Vere erzählt die Geschichte nicht als alter Mann, sondern mit Billys Leiche vor sich.
Ein starkes Bild, auch wenn es Billys Tod anders darstellt. Er stirbt in Gefangenschaft (oder tatsächlich getötet = gekreuzigt?) und wird nicht schmählich an der Rah aufgehängt. Das nimmt dem Tod ein Stück der Schärfe, die aufkeimende und niedergedrückte Rebellion der Mannschaft findet dann folgerichtig auch nur musikalisch hinter dem Portalschleier statt.


Vergrößerung in neuem Fenster John Daszak (Kapitän Edward Fairfax Vere), Nathan Gunn (Billy Budd)

John Daszak singt den Kapitän Vere mit flexiblem Tenor, der hell und klar klingt und stellt einen gebildeten Seemann dar, der nicht nur ein Schöngeist, sondern auch ein harter Mann sein kann. John Tomlinson begeistert als Claggart vor allem durch seine Bühnenpräsenz und Darstellungskraft. Da sieht ihm das Publikum die im Laufe des Abends häufiger auftretenden Intonationsschwächen seines großen Basses nach. Nathan Gunn ist ein schöner Mann mit angenehm kultiviert klingendem Bariton. Sein Billy ist kein kindlich tumber Tor, sondern ein lieber, vielleicht etwas naiver junger Mann, der durch sein hübsches Gesicht bezaubert und durch seinen trainierten Body beeindruckt. Lynton Black (Flint), Christian Rieger (Ratcliffe), Daniel Lewis Williams (Dansker) und Anthony Mee (Squeak) seien stellvertretend für den Rest des erstklassigen Ensembles genannt, in dem keiner seiner Rolle etwas schuldig bleibt. Und auch Chor und Orchester lassen nichts zu wünschen übrig.

Münchens künftiger Generalmusikdirektor Kent Nagano gibt mit „Billy Budd“ eine verheißungsvolle Visitenkarte ab. Er beleuchtet die vielfältige Dynamik der Musik, lässt schwelgen, wo geschwelgt werden darf, und lässt in den unheimlichen Augenblicken kalte Schauer über den Rücken des Zuhörers laufen.


FAZIT

Ein echter Leckerbissen. Musikalisch mit fast allen i-Tüpfelchen versehen und auch szenisch eine eindrucksvolle Umsetzung, die vor allem durch ihre Personenregie besticht - trotz einiger fragwürdiger Eigenheiten.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Peter Mussbach

Bühne
Erich Wonder

Kostüme
Andrea Schmidt-Futterer

Choreographische Mitarbeit
Beate Vollack

Licht
Alexander Koppelmann

Choreinstudierung
Andrés Máspero


Chor, Extrachor und Kinderchor
der Bayerischen Staatsoper

Statisterie der
Bayerischen Staatsoper

Das Bayerische Staatsorchester


Solisten


Edward Fairfeax Vere
John Daszak

Billy Budd
Nathan Gunn

John Claggart
John Tomlinson

Mr. Redburn
Martin Gantner

Mr. Flint
Lynton Black

Lieutenant Ratcliffe
Christian Rieger

Red Whiskers
Donald
Nikolay Borchev

Dansker
Daniel Lewis Williams

The Novice
Kevin Conners

Squeak
Anthony Mee

Bosun
Rüdiger Trebes

First Mate
Vadim Volkov

Second Mate
Matthias Wippich

Maintop
Kenneth Roberson

Arthur Jones
Steven Humes

The Novice's Friend
Christian Miedl

Cabin Boy
Philipp Avramov


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Bayerischen Staatsoper München
(Homepage)





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