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Männer unter sichVon Bernd Stopka / Fotos von Wilfried HöslBilly Budd ist keine „schwule“ Oper. Zur Zeit ihrer Entstehung stand Homosexualität noch unter Strafe, eine offene Behandlung des Themas war somit unmöglich. Aber den Librettisten E.M. Forster und Eric Crozier und dem Komponisten Benjamin Britten ging es wohl auch mehr um die Darstellung der Gefühlswelten der betroffenen Charaktere. Mit großer Kunstfertigkeit, Einfühlungsvermögen und Dezenz werden in der Geschichte um Billy Budd homoerotische Elemente gezeigt, die heutzutage klare Assoziationen wecken. Dabei handelt es sich bei den dargestellten inneren und zwischenmenschlichen Konflikten um Fragen, die sich sowohl im homo- wie auch im heterosexuellen Leben wiederfinden. In Billy Budd sind die Männer aber unter sich. Die Versuchung zu verdeutlichen, was heutzutage deutlich gezeigt werden dürfte, ist groß. Die Kraft, dem zu widerstehen und der Subtilität ihre Kunst zu lassen, hat Regisseur Peter Mussbach nur momentweise verlassen. In seiner Inszenierung für die Bayerische Staatsoper ist das düstere Seebild in München erstmals zu sehen. Der Einheitsbühnenraum von Erich Wonder erinnert an einen ausgeleuchteten Schiffsrumpf, mehrere Spielebenen sind durch Metallstiegen miteinander verbunden. So entsteht vorn rechts offensichtlich eine Art Kommandobrücke und links hinten eher versteckt eine Kleinfensterfront mit Sitzen, die an ein aufgeschnittenes Flugzeug erinnert. Vom Wetter bekommt man in diesem geschlossenen Innenraum nicht viel mit. Aber da hilft die Beleuchtung nach. Die Enge, das Ausgeliefertsein und das Nicht-flüchten-können soll erklärtermaßen mit diesem Bild verdeutlicht werden. Doch dazu ist der Raum wiederum nicht geschlossen genug. Aber er bildet einen eindrucksvollen Rahmen für eine zumeist sehr fein gearbeitete Personenregie, mit der Mussbach faszinierende Charakterisierungen gelingen. Wie der geradezu geil sabbernde Flint und Claggart auf den Leiterstufen Billy um die Wette angeiern und wie Flint sich später liebevoll über den toten Claggart beugt, ihm einen Kuss auf die Stirn haucht, das ist Personenregie vom Feinsten und eröffnet dem Zuschauer Wege zu gedanklichen Spaziergängen durch die vielschichtigen Seelenleben der Figuren.
Mussbach lässt Claggart durch einen deutlich gemachten inneren Kampf sehr menschlich erscheinen. Das ist kein Bösewicht von Natur aus, sondern eher ein sensibler Mann, der aus einer seelischen Verletzung heraus, oder ganz einfach aus Frust, das Credo der Boshaftigkeit singt, anstatt das der Liebe, das in ihm beängstigend wieder aufsteigt, als er Billy begegnet. Das Bösartige ist ihm vertraut und dann kommt dieser junge Billy und zeigt ihm, dass es im Leben etwas Schöneres gibt. Doch Billy bleibt für ihn unerreichbar. Und schlimmer noch: Er hat sein Leben als Widerling durcheinandergebracht. So kann man sich auch Feinde machen. Eindrucksvoll symbolisch zieht sich Claggart die (Mörder-)Handschuhe an. Fast scheint es, als ob Kapitän Vere in Claggart Fußstapfen tritt, nachdem Claggart tot und Billy verurteilt ist. Vere nimmt Claggarts Schlagstock auf und hantiert in gleicher Weise damit wie er. Doch Veres Charakter ist stärker. Er steht zu seiner Entscheidung, Billy nicht zu retten und das (gesetzlich korrekte) Urteil zu akzeptieren. Und er steht vor sich selbst auch zu seiner Schwäche.
Solchen Subtilitäten stehen nur vereinzelte Plattitüden gegenüber. Das Matrosenballett auf Stöckelschuhen ist einfach nur blöd. Damit schüttet sich Mussbach eiskaltes Wasser in den Wein der ansonsten so fein verpackten Homoerotik. Ein ärgerlicher Ausrutscher auf ein unangemessenes Niveau.
Mit tief beeindruckenden Bildern zeigt Mussbach einen veränderten Schluss. Billy steigt die oberste Leiter hinauf und singt sein Lebensabschiedswiegenlied an der Leiter hängend. Der Besuch Danskars mit der Henkersmahlzeit findet nur in Billy Phantasie statt. Danskers aus dem Off gesungene Ankündigung einer Rebellion gegen das Todesurteil verliert ein gutes Stück an Bedeutung. Denn Billy wird nicht aufgehängt, sondern stirbt an der Leiter wie Christus am Kreuz. Wie eine Kreuzabnahme wirkt es denn auch, wenn Vere ihn schultert und von der Bühne trägt – um ihn kurz darauf wieder auf der Kommandobrücke abzusetzen. Damit ist das Anfangsbild wieder erreicht, denn Vere erzählt die Geschichte nicht als alter Mann, sondern mit Billys Leiche vor sich.
John Daszak singt den Kapitän Vere mit flexiblem Tenor, der hell und klar klingt und stellt einen gebildeten Seemann dar, der nicht nur ein Schöngeist, sondern auch ein harter Mann sein kann. John Tomlinson begeistert als Claggart vor allem durch seine Bühnenpräsenz und Darstellungskraft. Da sieht ihm das Publikum die im Laufe des Abends häufiger auftretenden Intonationsschwächen seines großen Basses nach. Nathan Gunn ist ein schöner Mann mit angenehm kultiviert klingendem Bariton. Sein Billy ist kein kindlich tumber Tor, sondern ein lieber, vielleicht etwas naiver junger Mann, der durch sein hübsches Gesicht bezaubert und durch seinen trainierten Body beeindruckt. Lynton Black (Flint), Christian Rieger (Ratcliffe), Daniel Lewis Williams (Dansker) und Anthony Mee (Squeak) seien stellvertretend für den Rest des erstklassigen Ensembles genannt, in dem keiner seiner Rolle etwas schuldig bleibt. Und auch Chor und Orchester lassen nichts zu wünschen übrig. Münchens künftiger Generalmusikdirektor Kent Nagano gibt mit „Billy Budd“ eine verheißungsvolle Visitenkarte ab. Er beleuchtet die vielfältige Dynamik der Musik, lässt schwelgen, wo geschwelgt werden darf, und lässt in den unheimlichen Augenblicken kalte Schauer über den Rücken des Zuhörers laufen.
Ein echter Leckerbissen. Musikalisch mit fast allen i-Tüpfelchen versehen und auch szenisch eine eindrucksvolle Umsetzung, die vor allem durch ihre Personenregie besticht - trotz einiger fragwürdiger Eigenheiten. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographische Mitarbeit
Licht
Choreinstudierung
SolistenEdward Fairfeax Vere John Daszak
Billy Budd
John Claggart
Mr. Redburn
Mr. Flint
Lieutenant Ratcliffe
Red Whiskers
Dansker
The Novice
Squeak
Bosun
First Mate
Second Mate
Maintop
Arthur Jones
The Novice's Friend
Cabin Boy
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- Fine -