Verzweiflung, Misstrauen und Intrigen
Verdis psychologisches Drama "Luisa Miller" am Theater Bielefeld gefeiert
Von Kilian Vollmer
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Fotos von Matthias Stutte
Immer wiederkehrende Sujets der Operngeschichte sind wohl Liebe, intrigante Machenschaften und der oft tragische Tod. Konzentriert ist dies schon in Schillers "Kabale und Liebe", was dem jungen Giuseppe Verdi als hervorragende Vorlage für sein tragisches Melodram "Luisa Miller" diente.
Als eines der Frühwerke des bedeutenden italienischen Opernkomponisten wurde es lange Zeit vom deutschen Musiktheater kaum beachtet. Sehr verwunderlich, wie GMD Peter Kuhn meint. Umso erfreulicher, dass dieses spannende Werk jetzt im Rahmen der jährlichen Verdi-Aufführungen (zuletzt "Aida") am Theater Bielefeld präsentiert wurde, zudem mit fast ausschließlich hauseigenen Künstlern.
Miller beim Verhör
Knappheit und Erhabenheit waren Verdi wichtig, wie er schon in einem Brief an den Librettisten Piave bezüglich der Planung von "Macbeth" schrieb. Konzentriert ist auch die Handlung in "Luisa Miller", was in der Bielefelder Inszenierung von Helen Malkowsky, Oberspielleiterin des Staatstheaters Nürnberg, überzeugend als psychologischer Thriller umgesetzt wurde.
Der Zensur fällt die komplexe Schilderung der einzelnen Charaktere zum Opfer, dafür treten die emotionalen Spannungen der tragischen und von Intrigen und Standesdenken immer wieder auf die Probe gestellten Liebe zwischen Luisa und ihrem Geliebten Rudolfo, Sohn des Grafen von Walter, umso mehr zu Tage. Zudem ist es faszinierend, wie geschickt Verdi immer wieder vom typischen Klischee, bei ihm sei das Orchester nur eine Begleitmaschine für die Belcanto-Arien der Sänger, abweicht und die Musik die Verzweiflung, das Perfide und das Misstrauen der Handelnden unterstützt und verstärkt.
Rudolfo ist angewidert vom Grafen von Walter
Eigentlich spielt die ganze Handlung in Tirol und man könnte das Stück auch als Schilderung des Konflikts zwischen Bürgertum und Adel aufziehen. Nicht so am Theater Bielefeld, wo sehr geschickt auf eine einseitige Deutung verzichtet wird und die Inszenierung sowohl Kritik am Feudalismus der damaligen Zeit als auch die Dramatik der jüngsten Stasi-Vergangenheit aufzeigt. Immer wieder verwandelt sich das klassizistische Schloss des Grafen von Walter in das Reich des Sekretärs Wurm, in dem man sich wie in einem dunklen Stasi-Verhörraum fühlt. Immer wieder auftretende düstern gekleidete Wachhabende tun ihr Übriges, diesen Eindruck zu verstärken. Man wähnt sich wie im Film "Das Leben der Anderen". Überhaupt fällt auf, wie intensiv und emotional die Figuren geführt werden.
Rudolfo gesteht dem strengen Miller seine Liebe zu dessen Tochter
Herrscher des dunklen Reichs und Ausführender sämtlicher Intrigen gegen das junge Glück dieses Reichs ist Wurm, vom frisch gekürten Bielefelder Operntaler-Preisträger Michael Bachtadze beeindruckend eindringlich gespielt. In seinem Netz aus Intrigen verfängt sich Luisa, von Melanie Kreuter im Großen und Ganzen überzeugend dargestellt, wenn auch gelegentlich nicht ganz einheitlich in der Stimmgebung. Wunderbar aber die Spannung, die sie ihrer Figur gibt.
Ihren nicht gewünschten Liebhaber aus dem Adelshaus gibt Héctor Sandoval kraftvoll und geschmeidig. Ganz große Klasse, wie er nach Intrigenspielen, Lügen und Verzweiflung seine Luisa am Ende mit in den Tod nimmt. Neben seinem Heldentenor eine schauspielerische Glanzleistung.
Luisa wird als Hure beschimpft
Nicht minder eindrucksvoll Alexander Marco-Buhrmester in seiner Rolle als Luisas Vater. Das Duett mit seiner Tochter wird durch seine variable elegante Stimme und die Perfektion im Zusammenspiel und musikalischem Ausdruck zum Höhepunkt des Abends.
Stimmlich leider nicht ganz so grandios der etwas eintönig geführte Bass Jacek Janiszewskis als Graf Walter, als Vater Rudolfos nicht minder bestimmend und egoistisch wie Miller.
Verzweiflung pur: Melanie Kreuter als Luisa Miller
Federica, Herzogin von Ostheim, hätte als ihre literarische Vorlage Lady Milford große Auftritte gehabt. Von Verdi und seinem Librettisten gekürzt, ergeben sich für Susanne Reinhard, neu im Bielefelder Ensemble, leider nur wenig Möglichkeiten, ihre stimmliche Klasse unter Beweis zu stellen. Hier darf man auf Weiteres aber sehr gespannt sein.
Einen rundum gelungenen Einstand feierte Dshamilja Kaiser als Laura, auch hier hofft man auf weitere größere Rollen in der nahen Zukunft.
Wenn man sich auf etwas verlassen kann in der Arbeit des Theater Bielefeld, dann ist es die großartige Einstudierung des Opernchores und des Extrachores durch Hagen Enke. Wie in vergangenen Spielzeiten besticht das gar nicht mal so große Ensemble durch Spannung und homogenen Klang.
Von der ersten bis zur letzten Minute auch hochgespannt die Bielefelder Philharmoniker, die unter der Leitung ihres Chefdirigenten durch Prägnanz, schlanken, aber kraftvollen Klang und überzeugende (Binnen-)Dynamik zu gefallen wissen.
FAZIT
Mit der diesjährigen Verdi-Inszenierung gelingt dem Theater Bielefeld gleich zu Saisonbeginn ein hochspannendes und bis auf kleine Ausnahmen sehr überzeugendes psychologisches Drama.
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