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Von böhmischen Männern, die nicht Polka tanzen können
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Menschenhandel: Kruschina (Christoph Erpenbeck, r.) und Ludmilla (Uta Christina Georg) werden sich bezüglich ihrer Tochter Marie mit Heiratsvermittler Kecal (Hayk Dèinyan) einig
Die dümmsten Bauern ernten dem Sprichwort nach die dicksten Kartoffeln. Bauer Kruschina und seine Frau Ludmilla ziehen einen Wagen mit mehreren Säcken ausgesprochen dicker Erdäpfel hinter sich her, und dementsprechend tumb und unbeholfen verhalten sie sich auch: Heiratsvermittler Kecal, ein schmieriger Typ von mafiosem Aussehen, fühlt sich nicht ganz ohne Grund hoffnungslos überlegen, wenn er mit den beiden über die Verheiratung ihrer hübschen Tochter Marie mit dem infantilen Wenzel verhandelt. Dessen vornehmen Eltern ist die Sache fast peinlich, denn standesgemäß ist dieses Arrangement nicht, aber was tun mit dem missratenen Knaben? Der steht schließlich im Bärenkostüm des durchreisenden Zirkus vor seiner Mutter, die mit einer Fuchsstola behängt ist – und man fragt sich, wer hier eigentlich stärker kostümiert ist. Regisseur François de Carpentries modelliert die Figuren der Oper mit viel Sorgfalt und sanfter Ironie und zeichnet eine genaue und detailgetreue Millieustudie des Dorfes. Darin bleibt er sehr nah am Textbuch und erzählt sehr präzise eine Geschichte, die zwischen Komödie und Tragödie schwankt. ![]()
Aufgebrochen hat er dagegen das „Volkstümliche“. Bühnenbildner Siegfried E. Mayer hat nur ein paar Jahrmarktstände und einen Maibaum auf die ansonsten leere, vom blauen Rundhorizont umgebene Bühne gestellt, und die könnten sich irgendwo in Europa zu irgendeiner Zeit befinden. Eine gemalte Landschaft auf dem Vorhang verweist eher auf eine unbestimmte Welt als auf böhmische Dörfer. Es gibt Andeutungen auf die Fünfziger-Jahre, und die Zirkuskünstler tragen ein paar Inkunablen der Nachkriegszeit herbei wie Fernseher und Kühlschrank, zudem ist der Zirkusdirektor als „Uncle Sam“ kostümiert und verweist auf eine frühe Amerika-Begeisterung. Man denkt hier eher an den „magischen Realismus“ eines Gabriel Garcia Marquez (dessen Roman Hundert Jahre Einsamkeit auch mit der Zirkusmetapher spielt) als an tschechische Folklore. Gemäß Bertold Brecht ist das Volk ohnehin nicht tümlich, und das ist dem Regisseur sehr wichtig. Deutlich wird das auch an den Volkstanzszenen: Die Polka erlebt Marie als Wahnvorstellung vor dem inneren Auge, ein verzerrter Hochzeitstanz, bei dem die Männer in Phallus-Symbolik längliche Nasen aufbinden; und den Furiant in der Schenke können die Männer gar nicht tanzen – unbeholfen versuchen sie ein paar Schritte, aber es gelingt nicht. Wenn es jemals eine heile Welt auf dem Lande gegeben hat, so ist sie jedenfalls Vergangenheit. ![]() Alles ist käuflich: Kecal (Hayk Dèinyan) wirft mit Geld um sich
Im dritten Akt senken sich von oben Fenster mit angedeuteten Kindergesichtern herab – da ist die Inszenierung ganz bei Marie, die in diesem Moment über ihr Lebensglück entscheiden muss. Die komische Oper ist hier überhaupt nicht mehr komisch. Dem Regisseur gelingen eindringliche Bilder, ohne die Handlung vollends kippen zu lassen – Komödie und Tragödie sind miteinander geschickt verwoben. Obwohl die Sympathien eindeutig bei Marie liegen, denunziert de Carpentries keine der Figuren, selbst der schmierige Kecal ist ein notwendiges Rädchen im Getriebe. Der Regisseur beschreibt sehr genau, aber er bewertet nicht – das bleibt dem Zuschauer überlassen. De Carpentries befreit die Oper von Kitsch und falscher Patina und hebt die bitterböse Tragikomödie hervor - mit einem ausgesprochen spielfreudigen Ensemble gelingt das gut. Die Inszenierung leugnet auch keineswegs die Verwurzelung von Smetenas Musik in der tschechischen Volksmusik, sondern setzt sich sehr bewusst damit auseinander, etwa in den genannten Tanzszenen. Weniger dagegen weiß Dirigent Kenneth Duryea damit anzufangen, der die insgesamt guten Niederrheinischen Sinfoniker zwar sicher durch die Partitur leitet, aber Smetanas spezifischen Tonfall zu wenig trifft. Bei Polka und Furiant fehlt die Entschlossenheit, in Hans und Maries Duett in der zweiten Szene werden die ostinato-artigen punktierten Achtel derart mechanisch, ja leierkastenartig gespielt, dass die Nummer der Trivialität preisgegeben wird. So bleibt es bei einer etwas unkonturierten Orchesterbegleitung. ![]()
Obwohl die Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach mit Janet Bartolova und Dara Hobbs zwei Besetzungen für die Marie im Ensemble haben, sang in der hier besprochenen Aufführung Mary Ann Kruger als Gast. Sie ist eine durch und durch solide Marie; das Vibrato ihrer Stimme ist vielleicht eine Spur zu sehr am dramatischen Fach orientiert, und der Stimme wären für die Rolle noch mehr lyrische Farben angemessen, aber sie singt sehr intensiv und spielt dazu mit herzzerreißender Verzweiflung. Die Partie des Hans ist eine Paraderolle für Kairschan Scholdybajew, der über eine strahlende, absolut sichere und geradezu luxuriöse hohe Lage verfügt. Mit der deutschen Sprache schlägt sich der aus Kasachstan stammende Tenor wacker, auch wenn ab und zu durch unglückliche Vokalfärbung der Klang wegrutscht. Ziemlich matt bleibt Hayk Déinyan als Heiratsvermittler Kecal, da fehlt es der Stimme trotz profunder Tiefe an Glanz und Präsenz. Sehr überzeugend ist Luis Lay als stotternder Wenzel, mit markantem und durchsetzungsfähigem, auch in der Höhe gesanglich geführtem Tenor. Uta Christina Georg und Christoph Erpenbeck setzen als Kruschina und Ludmilla vor allem komödiantisch Akzente. Sehr zuverlässig singt der von Heinz Klaus einstudierte Chor.
Eine gleichermaßen unterhaltsame wie kluge Inszenierung, musikalisch mit kleinen Abstrichen überzeugend gespielt und gesungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungKrusina Christoph Erpenbeck
Ludmilla
Marie
Tobias Micha
Háta
Wenzel
Hans
Kecal
Zirkusdirektor
Esmeralda
Muff, ein "Indianer"
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E-Mail: oper@omm.de
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