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Musiktheater
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Der goldene Drache (UA)

Musiktheater 
Libretto von Roland Schimmelpfennig nach dem gleichnamigen Theaterstück,
eingerichtet von Peter Eötvös
Musik von Peter Eötvös

In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Premiere/Uraufführung im Bockenheimer Depot am 29. Juni 2015
(rezensierte Aufführung: 04.07.2014)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Das politische Musiktheater lebt!

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Monika Rittershaus


Ist es der Blick auf die gigantische, am Ende des Stückes in sich zusammenfallende Dracheninstallation aus Haushaltsmüll, die Rückseite des Bühnenprospekts von Hermann Feuchter gleich am Eingang der Halle des ehemaligen Betriebshofes der Frankfurter Straßenbahn? Sind es die assoziationsreichen Kostüme, die sorgfältige Personenregie oder die beeindruckende Darbietung der Gesangs- und Instrumentalsolisten? Es fällt schwer, der Vielschichtigkeit und Einmaligkeit des erstmalig gezeigten Musiktheaterwerks Der goldene Drache von Peter Eötvös in den Grenzen einer Kritik gerecht zu werden. Denn selten entsprechen sich literarische Vorlage, musikalische Interpretation und die Inszenierung eines fantastischen Regieteams wie hier in Frankfurt, im Bockenheimer Depot.

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Blick auf die Bühne in der 13. Szene: die Stewardessen im Restaurant (v.l.n.r.: Hedwig Fassbender (Die Ameise),
Simon Bode (Die Grille), Holger Falk (Die blonde Stewardess) und Hans-Jürgen Lazar (Die dunkelbraune Stewardess))

Ein goldener Drache – männlich, dynamisch, aktiv. Symbol des chinesischen Kaiserhauses, des Glücks und der Friedfertigkeit. Das Musiktheater Der goldene Drache entstand in Kooperation mit der Oper Frankfurt und ist eine Auftragskomposition für das Ensemble Modern, Deutschlands anerkanntes, ebenfalls in Frankfurt beheimatetes Spezialensemble für zeitgenössische Musik. Die literarische Vorlage stammt vom meistgespielten, zeitgenössischen Dramatiker Roland Schimmelpfennig. Und der 1944 geborene, ungarisch-deutsche Dirigent und Komponist Peter Eötvös gehört ebenfalls zu den erfolgreichsten Musiktheaterkomponisten der Gegenwart. Eötvös kürzt zwar die 48 Szenen des ursprünglichen Dramas. Doch seine Musik bereichert das Werk um eine weitere Dimension. Sie kommentiert, zeigt Vernetzungen, latente Zusammenhänge und enthüllt psychologische Vorgänge.

Thema ist die Rechtlosigkeit und Ausbeutung illegaler Einwanderer, der sogenannten Sans Papiers, für die einmal ausgereist selbst der Besuch ihrer Heimat zum Problem wird. Da verblutet ein Kleiner, der seine Schwester sucht, nachdem ihm in der Küche des „goldenen Drachen“ ein schrecklich schmerzender Zahn mit einer Rohrzange gezogen wurde. Da trauert ein Großvater über die Unmöglichkeit wieder jung zu sein und seine junge Enkeltochter über ihre ungewollte Schwangerschaft, während ihr Freund Hans eine Vergewaltigung anstiftet. Eine Frau über 60 erinnert sich an die fleißige, ausbeutende Ameise in La Fontaines Fabel und das grausame Schicksal der Grille. Eine Stewardess findet den kranken Zahn in ihrer Thai-Suppe und kann sich lange nicht von ihm trennen. Sieht man einmal von der Sopranistin ab, in der „die junge Frau“ und „der Kleine“ zu einer Figur verschmelzen, werden die 17 verbleibenden Figuren auf zwei Tenöre, einen Mezzosopran und einen Bariton verteilt und uns in 21 kurzen Szenen vor Augen geführt. Permanent und zeitlos verwandeln sich die Darsteller auf der Bühne, wechseln scheinbar orientierungslos ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre kulturelle Identität. Gemeinsam mit der Musik, den Kostümen, dem Bühnenbild entsteht ein musikalisches Sozialdrama über sexuelle und ökonomische Ausbeutung mit bunten, absurd grotesken Kunstfiguren, die tragisch, komisch, fantastisch und rätselhaft zugleich wirken und zutiefst menschlich berühren. Ruhe findet die tragische Wechselkomödie erst in dem anrührenden Monolog der vorletzten Szene, wenn der tote, bestattete Kleine seine Heimreise antritt.

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Vorbereitungen zur Selbstmedikation (v.l.n.r.: Hans-Jürgen Lazar (Der Mann über sechzig), Simon Bode (Der junge Mann), Kateryna Kasper (Die junge Frau; auf dem Tisch liegend) und Holger Falk (Der Mann))

Eötvös ist ein Mann des Films und des Theaters. Schon mit 16 Jahren beginnt er Filmmusik zu schreiben und bis zu seinem 60. Lebensjahr entsteht Musik zu mehr als 150 Filmen. Seine Bühnenwerke sind vielfältig. Dazu gehören eine Clowneske, drei Madrigalkomödien, eine Kammeroper, eine „Chinese Opera“ ohne Singstimme und eine groß besetzte Oper. Sein neustes Werk Der goldene Drache trägt den schlichten Untertitel „Musiktheater“. Zur Ouvertüre finden sich alle Beteiligten, Gesangs- und Instrumentalsolisten auf dem Bühnenpodest ein und improvisieren mit Wok, Holzlöffel, Topf, Rührschüssel, Suppenkelle und anderen Küchenwerkzeugen. Sänger und Instrumente sind verstärkt. Wie im Film bzw. Hörspiel  entsteht eine enge Wechselwirkung zwischen Text und Musik. Mal wird die Szene mit stilisierten Lachgesten kommentiert, mal dampfen hörbar die Küchentöpfe, wird das Geschehen mit eher illustrierenden Klängen untermalt. Mal fließen atmosphärisch dichte Wellenbewegungen oder werden Sprech- bzw. Gesangsmelodien der Bühnenfiguren absurd, grotesk im Orchestergraben weitergeführt. Die Uraufführung dirigierte der Komponist selbst. Die musikalische Leitung der anschließenden Aufführungen übernimmt Hartmut Keil.

18 Instrumentalisten des Ensemble Modern scheinen - neben ihren trocken humorvollen „Pause“- Einwürfen – eine aktive, interpretierende Rolle einzunehmen, eigene, berührende Klangbilder zu entwerfen,  in denen uns Eötvös’ Erfahrung, sein geniales Gespür für ausdrucksvolle,  musikalische Gesten und Farbkombinationen vor Augen geführt wird. Gesang und Instrumentalmusik vermischen sich in neuer, ungekannter Weise. Eötvös spielt mit ausdrucksvollem Sprechen, Sprechgesang und dramatischer Operngeste. Und die fünf Gesangssolisten betören nicht nur stimmlich, sondern ebenso mit auch  humorvoll überzeichneten, schauspielenden Gesten und kontrastreichen Rollenwechseln. Allen voran Hedwig Fassbender, bei der Sprach- und Gesangsmelodik fließend ineinander übergehen und die als alte Köchin und schwangere Enkeltochter ebenso überzeugt wie als ausbeutende, brutale Ameise und Hans. Simon Bode verfügt nicht nur über einen wohlklingenden, schlanken lyrischen Tenor, ebenso faszinierend ist seine Darbietung des Großvaters und der eingeschüchterten, hungernden und verletzten Grille.  Und Hans-Jürgen Lazar und Holger Frank belustigen vor allem als transsexuelle Stewardessen. Für die erkrankte Kateryna Kasper übernimmt an diesem Abend Sarah Maria Sun die Rolle des Kleinen, bzw. der jungen Frau. Sie trägt ihre mit Glissandi und Koloraturen versehenen Schmerzensschreie und den ebenso berührenden Heimreise-Monolog vom Orchestergraben aus vor, während Corinna Tetzel die szenische Seite auf der Bühne verkörpert.

FAZIT

Ein facettenreiches, faszinierendes Musiktheater, das ein neues, filmmusikalisches Licht auf das Gesamtkunstwerk Oper wirft


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Eötvös /
Hartmut Keil

Regie
Elisabeth Stöppler

Bühnenbild
Hermann Feuchter

Kostüme
Nicole Pleuler

Licht
Jan Hartmann

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

Klangregie
Norbert Ommer

 

Ensemble Modern


Solisten

*rezensierte Aufführung

Die junge Frau (der Kleine)
Kateryna Kasper/
Sarah Maria Sun*
Corinna Tetzel (szenisch)

Die Frau über sechzig
(alte Köchin, Enkeltochter,
die Ameise, Hans,
chinesische Mutter)
Hedwig Fassbender

Der junge Mann
(junger Asiate, Kellnerin,
Großvater, die Grille,
chinesische Tante)

Simon Bode

Der Mann über sechzig
(alter Asiate,
Eva die dunkelbraune Stewardess,
Freund der Enkeltochter,
chinesischer Vater)
Hans-Jürgen Lazar

Der Mann
(ein Asiate,
Inga, die blonde Stewardess,
chinesischer Onkel)
Holger Falk

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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