Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Orpheus oder Die wunderbare
Beständigkeit der Liebe


Musikalisches Drama in drei Akten
Nach einer Tragödie von Michel Du Boullay, basierend auf der Fassung von Peter Huth
Musik und Text von Georg Philipp Telemann


in deutscher, italienischer und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Bockenheimer Depot am 25. Mai 2014



Oper Frankfurt
(Homepage)
Orpheus und Orasia

Von Thomas Molke / Fotos von Monika Rittershaus


Telemanns Oper Orpheus nimmt aus mehreren Gründen eine Sonderstellung im Rahmen der zahlreichen Vertonungen des mythologischen Stoffes über den berühmten thrakischen Sänger ein, der mit seinem zauberhaften Gesang sogar Steine bewegt haben soll. Zum einen galt dieses Werk lange Zeit fälschlicherweise als Pasticcio, weil die fremdsprachigen Texte aus Opern von Händel, Lully und Pallavicino stammten. Dabei war allerdings die Musik zu den italienischen Arien oder französischen Chorszenen keineswegs bei den genannten Komponisten abgeschrieben worden. Vielmehr setzte Telemann diesen Stilmix ganz bewusst ein, um entweder die Affekte einer Figur mit einer emotionsgeladenen italienischen Arie im Stil der Opera seria zum Ausdruck zu bringen oder den tragischen Ton einer französischen Tragédie lyrique einzufangen. Zum anderen führt er mit Orasia eine fiktive thrakische Königin ein, die nicht der Mythologie entstammt. Als das Werk zehn Jahre nach seiner konzertanten Uraufführung 1726 am Theater am Gänsemarkt erstmals szenisch zur Aufführung gelangte, änderte Telemann sogar den bisherigen Titel in Die rachbegierige Liebe oder Orasia, verwitwete Königin von Thracien, womit der Stellenwert dieser Figur für das Werk noch einmal deutlich hervorgehoben wurde.

Bild zum Vergrößern

Die thrakische Königin Orasia (Elizabeth Reiter) überlegt, wie sie den Sänger Orpheus für sich gewinnen kann (im Hintergrund: Konzertchor Darmstadt).

Anders als im Mythos oder den bis dahin erschienen Vertonungen des Stoffes steht bei Telemann nämlich eigentlich nicht die Liebe zwischen Orpheus und Eurydike im Zentrum der Handlung, sondern die unerfüllte Liebe Orasias zu dem thrakischen Sänger. Da dieser jedoch mit Eurydike verheiratet ist und das Werben der Königin zurückweist, beschließt diese, Eurydike zu töten, indem sie sie auf eine Schlange treten lässt. Wenn Orpheus dann in die Unterwelt geht, um Eurydike zurückzugewinnen, wartet sie am Tor der Unterwelt, um Eurydike gegebenenfalls erneut zu töten, falls es Orpheus gelingen sollte, sie aus den Fängen des Todes zu befreien. Als Orpheus allerdings allein zurückkehrt, da er dem Gebot des Gottes der Unterwelt nicht Folge geleistet hat und sich auf dem Weg zurück auf die Erde aus Sehnsucht und Sorge nach seiner geliebten Eurydike umgedreht hat, Orasias Werben aber immer noch zurückweist, hetzt sie die Bacchantinnen auf Orpheus, die den Sänger ermorden. Erst jetzt erkennt die Königin, dass sie mit dem Tod des Orpheus die beiden Liebenden in der Unterwelt erneut zusammengeführt hat, und nimmt sich ebenfalls das Leben, um in der Unterwelt den Kampf um Orpheus wieder aufzunehmen.

Bild zum Vergrößern

Eurydikes (Katharina Ruckgaber) Tod

Das Libretto der Oper ist zwar vollständig, die Instrumentierung allerdings nur fragmentarisch erhalten, so dass der musikalische Leiter Titus Engel gemeinsam mit dem Regie-Team um Florentine Klepper basierend auf der Fassung, die der Telemann-Experte Peter Huth in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts für Innsbruck erstellt hat, eine Version erarbeitet hat, die sich zwar nicht an der historischen Aufführungspraxis orientiert, die von Telemann intendierten unterschiedlichen Klangwelten aber dennoch auf eine sehr moderne Art sorgfältig herausarbeitet. Besonders deutlich wird dies in den Rezitativen, die je nach Klangfarbe des jeweiligen Aktes von dem Gitarristen Johannes Öllinger auf unterschiedlichen Instrumenten begleitet werden. Während Öllinger den ersten Akt mit einer klassischen Gitarre gestaltet, verwendet er für den Akt in der Unterwelt eine E-Gitarre und für den letzten Akt eine Barocklaute. Abgesehen von den verwendeten Instrumenten weist die Begleitung der Rezitative in den einzelnen Akten auch noch weitere moderne Elemente auf. So wird bereits der Dialog zwischen Orasia und ihrer Vertrauten Cephisa im ersten Akt mit einer Rhythmik untermalt, die für die Barockoper zwar völlig fremd klingt, dem gesungenen Text allerdings mehr als gerecht wird. Auch auf große Da-capo-Arien wird zugunsten eines stringenten Handlungsablaufs verzichtet, so dass die Oper in der gekürzten Fassung gerade mal 100 Minuten ohne Pause dauert.

Für die einzelnen Akte nutzt die Bühnenbildnerin Adriane Westerbarkey die lokalen Gegebenheiten des Bockenheimer Depots optimal aus, um die Atmosphäre in den einzelnen Szenen einzufangen. Der thrakische Königshof wird in einem schräg angelegten länglichen Raum mit zahlreichen Blumen, alkoholischen Getränken und Geschenken im Überfluss als eine moderne Spaßgesellschaft angelegt. Mit großartigem Spiel stellt der Konzertchor Darmstadt während der musikalischen Einleitung eine vergnügungssüchtige oberflächliche Gesellschaft dar, der die Königin Orasia zu entfliehen versucht, um Luft zum Atmen zu finden. Orpheus und Eurimides treten in dieser Gesellschaft als Gesangsduo auf und erinnern im Stil schon beinahe an einen "Musikantenstadl". Orpheus gefällt sich in dieser Gesellschaft als Künstler, sucht sein Heil aber dennoch in der Abgeschiedenheit. Seine Liebe zu Eurydike erkennt man erst nach ihrem Tod. Eurydike selbst ist in dieser Gesellschaft eine Außenseiterin, die von der Seitenbühne auftritt. Aus einer grauen Hütte holt Orasia die Schlange, die Eurydike mit ihrem Biss tötet.

Bild zum Vergrößern

Orpheus' (Sebastian Geyer) Gang in die Unterwelt (auf der linken Seite: Ascalax (Dmitry Egorov))

Für das Bild der Unterwelt öffnet sich dann der Raum in eine unendliche schwarze Tiefe, die mit roten Fäden mehreren Leitern und Stegen ein unheimliches Labyrinth darstellt. Pluto erscheint auf einer Leiter mit verlängerten Beinen als eine riesige Gestalt, die über Orpheus und den schwarzen Schatten, deren Gesichter durch Tücher bedeckt sind, thront. Sein Diener Ascalax wirkt mit den zahlreichen Pfeilen in seinem schwarzen Gewand und den Krücken als ein geschundenes Wesen, das dem Herrn der Unterwelt völlig ergeben ist. An einem roten Band übergibt dieser Diener Orpheus die Geliebte und erlegt ihm das Gebot auf, sich frühestens auf der Erde nach seiner Gattin umzudrehen. Orpheus betört den Gott der Unterwelt weniger durch seinen Gesang als vielmehr durch das Spiel auf der Traversflöte, wodurch Pluto dem Wunsch des Orpheus nachgibt und regelrecht von der Musik übermannt von Ascalax von der Bühne gezogen wird. Wenn Orpheus dann mit Eurydike in den Bühnenhintergrund verschwindet, taucht er später auf der rechten Seite zwischen hochragenden Bäumen wieder auf, während Eurydike sich noch auf dem Steg im Bühnenhintergrund befindet. Jetzt dreht sich Orpheus um, kann aber so noch nicht einmal einen Blick auf Eurydike erhaschen, die traurig in die Unterwelt zurückkehrt.

Bild zum Vergrößern

Orpheus (Sebastian Geyer) trauert, weil er seine geliebte Eurydike erneut verloren hat (im Hintergrund: Statisterie).

Der dritte Akt wirkt, was Orasia und Orpheus betrifft,  szenisch zunächst wie eine Wiederholung des ersten Aktes. Wieder verlässt Orasia das Haus, weil ihr die Luft zum Atmen fehlt, wieder tritt sie in ihrer Raserei in die Scherben eines zuvor zu Boden geworfenen Glases und muss sich von ihrer Vertrauten Cephisa verarzten lassen. Wieder steht Orpheus melancholisch an der grauen Hütte und weist Orasia von sich. Nur dieses Mal beschließt Orasia, den Sänger selbst zu töten, und ruft die Bacchantinnen herbei. Der Raum wirkt jetzt wie eine Mischung aus Unterwelt und dem ersten Akt. Die Kostüme der Bacchantinnen drücken mit ihren Raubtiermustern die Brutalität dieser Frauen aus, die den Sänger zerstören werden. Blutüberströmt liegt Orpheus dann am Ende auf dem Boden, während sich erneut der Bühnenhintergrund für die Unterwelt öffnet und Orasia langsam auf einem Steg in den hinteren Teil entschwindet.

Neben der packenden szenischen Umsetzung kann der Abend auch musikalisch in jeder Hinsicht überzeugen. Elizabeth Reiter begeistert als Orasia mit großartigen Koloraturen und einer enormen Bühnenpräsenz. Dabei entwickelt sie sich glaubhaft von einer rücksichtslos liebenden Frau zu einer rachsüchtigen Furie. Sebastian Geyer stattet den Orpheus mit kräftigem Bariton aus. Katharina Ruckgaber verfügt als Eurydike über einen lieblichen Sopran, der wunderbar zu ihrem Rollenprofil passt. Maren Favela und Julien Prégardien geben ein stimmlich überzeugendes Dienerpaar ab, das allerdings nicht zueinander finden kann, da Cephisa sich nicht an einen Mann binden will. Vuyani Mlinde überzeugt als Pluto mit schwarzem Bass, der zunächst hart und unerbittlich klingt, bis er sich von Orpheus' Musik regelrecht einlullen lässt. Dmitry Egorov stattet seinen Diener Ascalax mit weichem Countertenor aus. Johannes Öllinger avanciert mit seinen ungewöhnlichen Begleitungen der Rezitative zum Publikumsliebling und erntet ebenso wie das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Titus Engel, der von Wolfgang Seeliger einstudierte Konzertchor Darmstadt und das Regieteam frenetischen Premieren-Applaus.

FAZIT

Diese Produktion dürfte szenisch und musikalisch zu einer der spannendsten Inszenierungen dieser Spielzeit zählen, die man als Barockfreund keinesfalls verpassen sollte. Wenn man noch keinen Zugang zur Barockmusik hat, könnte diese Produktion die Begeisterung für diese Gattung wecken.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Titus Engel

Regie
Florentine Klepper

Bühnenbild und Kostüme
Adriane Westerbarkey

Licht
Jan Hartmann

Konzertchor Darmstadt
Wolfgang Seeliger

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

 

Konzertchor Darmstadt

Statisterie der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester


Solisten

Orasia
Elizabeth Reiter

Orpheus
Sebastian Geyer

Eurydike
Katharina Ruckgaber

Cephisa
Maren Favela

Eurimides
Julien Prégardien

Pluto
Vuyani Mlinde

Ascalax
Dmitry Egorov

Gitarre, Laute
Johannes Öllinger

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2014 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -