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DOR 50 Jahre Musik-Theater Deutsche Oper am Rhein 1956 - 2006 Historische Aufnahmen, ausgewählt von Thomas Voigt
Am 28. September 2006 haben die Jubiläumsfeierlichkeiten der Rheinoper im Theater Duisburg mit einem Festakt und einer Aufführung von Richard Strauss' Elektra begonnen. Zu diesem Termin erschien auch eine aufwändige Dokumentation bei Dumont, die Stefan Schmöe an anderer Stelle besprochen hat (zum Artikel) und deren interessanterer Teil zweifellos die beiden CDs mit Live-Aufnahmen aus der Geschichte des Zwei-Städte-Instituts ist, der in Zusammenarbeit mit der Firma Ars Produktion Schumacher entstanden ist. Man bewundert Thomas Voigt für seine Geduld, aus über 300 Mitschnitten kompletter Opern etwa 150 Minuten für zwei Silberscheiben herausgefiltert zu haben, wobei viele spannende Dokumente dann eben doch wegen der unzureichenden Tonqualität ad acta gelegt werden mussten.
Bereits der erste Titel ist ein wirkliches Highlight und zudem die älteste verfügbare Aufnahme aus der Rheinoper: Ilse Hollweg singt mit luftiger Stimme, erster Diktion und stupender Virtuosität eine hinreißend flirrende Zerbinetta (und muss sich auch damals schon über Zuschauer ärgern, die den Arienschluss nicht kennen). Ein kultiviert singender Rigoletto mit eher hellem, nicht wirklich "italienischem" Bariton ist Heinz Imdahl, der viel Herzblut investiert und nur am Ende seiner Arie mit der Intonation in Schwierigkeiten kommt. Anneliese Rothenberger, die von 1956 bis 1958 fest an der Deutschen Oper am Rhein engagiert war, ist seine mädchenhaft berührende Gilda, deren unverwechselbares Timbre man natürlich sofort erkennt; dass das Ganze etwas harmlos klingt, liegt vor allem an der deutschen Übersetzung, die hier gesungen wird. Dieser Umstand fällt weniger ins Gewicht bei der berühmten Gründgens-Produktion des Macbeth, in der neben dem sehr ausdrucksstarken, suggestiven Imdahl die aus diversen Mitschnitten in dieser Partie bekannte Astrid Varnay alle die Kunst der Verstellung und das Fürchten lehrt, wobei das hier ausgewählte Brindisi sie auf Grund der virtuosen Anforderungen an Grenzen führt (wenn auch nicht so, wie heute manche "Spezialistin"!), aber dennoch ist man dankbar, ein weiteres Dokument dieser großen, in diesem Jahr verstorbenen Operntragödin in den Händen zu halten.
Der Ausschnitt aus dem Rosenkavalier bietet neben dem schlank gesungenen, aber dennoch mit reichem Ton aufwartenden Octavian von Hanna Ludwig die aparte, nach Voigts Angaben ansonsten nicht verfügbare Marschallin von Hilde Zadek, die keine ambitionierte Lyrische ist, sondern die Partie mit den Farben des jugendlich-dramatischen Soprans für mein Empfinden viel reicher und expressiver gestaltet als Kolleginnen aus dem anderen Fach, auch wenn sie den Text nicht so raffiniert zu präsentieren versteht wie die allerersten Rollenvertreterinnen. Trotzdem hätte man gern noch mehr von ihr gehört, nicht zuletzt den Auftritt im dritten Aufzug.
Ingrid Bjoners Aida kennt man natürlich von dem etwa zehn Jahre später entstandenen deutschen Querschnitt unter Patané, aber hier bewundert man noch mehr nicht nur die große Entschlossenheit und Kraft, mit der sie Aidas erste Arie angeht, sondern viel mehr die messa-di-voce-Effekte und die hohe Pianokultur und ist verwundert, hatte man die Stimme doch viel "deutscher" in Erinnerung. Matti Talvela ist mit ungemein klangvollen Bass ein sehr charismatischer Boris Godunow in dessen Todesszene, 1967 in der Ur-Version noch in deutscher Übertragung, aber bereits in Stereo aufgenommen. Wie bei fast allen Tracks der ersten CD steht auch hier Arnold Quennet am Pult, aus dessen Privatarchiv diese Aufnahmen stammen und der von 1951 bis 1987 als "guter Geist" der Rheinoper galt (nur ein paar Jahre weniger hat Alberto Erede in Düsseldorf und Duisburg dirigiert, auch er trotz der großen internationalen Karriere mehr als 1100 Aufführungen!).
Als besondere Rarität hebt Voigt in seinem informativen Begleitartikel Julia Hamaris Angelina im wirklich in flottem Tempo angegangenen Finale der Cenerentola hervor, das die Ungarin aber gut und dabei tonschön schafft, zu den größten Schätzen zählt er zurecht den Mitschnitt der Tosca-Premiere des Jahres 1970 wegen Hana Janku, die im dritten Akt ihre durchschlagskräftige, leuchtende, auch in der Extremhöhe keine Schwierigkeiten kennende, angenehm feminine und gerade auch in zarteren Momenten sehr präsente Sopranstimme einsetzt und den nicht ohne erheblichen Kraftaufwand auskommenden Cavaradossi von William Holley an die Wand singt (der unvergessene Giuseppe Patané entfacht am Pult das nötige dramatische Feuer dazu). Zwölf Jahre später war Zenon Kosnowski ein mehr als solider Scarpia in dessen Te Deum, was hört man da heute manchmal für ein Gebrüll. Hildegard Behrens ist mit der berühmten Arie der Rusalka vertreten, die Firma Gala hat den gesamten Mitschnitt indes bereits im letzten Jahr veröffentlicht (unser Bericht) und die spätere Hochdramatische in einer frühen, noch nicht zu schweren Partie präsentiert (ist es dieselbe Quelle? Hier wird der 22. Januar 1975 als Aufnahmetag angegeben, bei der Gesamtaufnahme spricht man vom 22. Februar). Nicht fehlen durfte natürlich einer der bis heute beliebtesten Sänger der Rheinoper, Eugene Holmes, der hier nicht nur als Marcello im Finale des dritten Aktes der Bohème mitwirkt, sondern mit ungemein reicher, farbiger Stimme, unangefochtener Höhenattacke und perfektem Ausgleich zwischen Schöngesang und Expressivität auch einen exzellenten Pagliacci-Prolog singt und zurecht gefeiert wird. In der Puccini-Oper tritt er neben Lilian Sukis als berührender, auch herbere Zwischentöne anschlagender Mimì sowie Georgi Tscholakoffs empfindsamem, legatostarken Rodolfo und Nassrin Azarmis Musetta auf.
Durchaus diplomatisch rechtfertigt sich Thomas Voigt für den Umstand, dass die Ära Horres unterrepräsentiert zu sein scheint, was eben nicht nur technische Gründe hat, sondern auch daran liegt, dass in dieser Zeit an der Deutschen Oper am Rhein viele Aufführungen "eher szenisch als sängerisch von Bedeutung waren", und so goutiert man gern seine Entscheidung, es bei der Szene aus Fortners Bluthochzeit zu belassen (mit Ausnahme des erwähnten Tosca-Ausschnitts) und damit auch ein wichtiges Dokument der späten Jahre der von ihm bekanntermaßen besonders verehrten Martha Mödl zu präsentieren, die Düsseldorf und Duisburg unglaubliche 54 Jahre lang die Treue gehalten hat und hier in einer ihrer großen Mutterrollen rührt und fasziniert.
Das Duett aus dem 3. Akt der Manon erinnert an eine der ersten (und wenn man ehrlich ist auch eine der eher wenigen wirklich herausragenden) Produktionen der auf Grund des technischen Fortschritts natürlich am besten dokumentierten Richter-Intendanz und hält Alexandra von der Weth und Sergej Khomov auf dem Höhepunkt ihrer vokalen Möglichkeiten fest. Man freut sich auch über das von Nataliya Kovalova mit üppigem, sinnlichen Ton gesungene Vogellied der Nedda aus I Pagliacci und legt die Stirn in Falten, wenn man daran denkt, dass auch diese Künstlerin für zu schwere Rollen bereits hörbaren Tribut zahlt und ihr Höhenproblem akuter wird. Die Finalszene aus Il Tabarro dagegen hätte ich trotz des glutvollen Orchesterspiels unter John Fiores Leitung nicht ausgewählt, denn Angelos Simos und Gordon Hawkins interpretieren reichlich ungeschlacht, besonders der Bariton, der mit seiner schmalen Höhe auch gegenüber den auf diesen CDs präsenten Fachkollegen mächtig abfällt, und von Therese Waldner hätte man sicher Interessanteres gefunden (ihre Tosca, Suor Angelica oder Chrysothemis vielleicht). Wenig Eindruck hinterlässt auf mich auch der Ausschnitt aus Monteverdis Ritorno d'Ulisse in patria mit Mariselle Martinez und Tassis Christoyannis (mit nicht zu großer Eignung für verzierte Musik) und trotz Andreas Stoehr als Experten für dieses Genre am Pult. Den Schlusspunkt setzt ein Mitschnitt aus der letzten (und wirklich grauenvollen) Neuinszenierung vor der sanierungsbedingten Schließung des Düsseldorfer Opernhauses: Marlis Petersen bringt mit der Wahnsinnsarie der Ophélie aus Thomas' Hamlet (vgl. unsere Kritik) das Publikum zum Rasen.
Man beneidet Thomas Voigt nicht um die schwierige Aufgabe, eine einigermaßen repräsentative Zusammenstellung aus 50 Jahren Rheinoper zu präsentieren, wohl aber um manche freudige Überraschung beim Abhören der Dokumente. Ein bisschen mehr Programmtik indes hätte es schon sein dürfen. Dass keine einzige Wagner-Szene auf den beiden CDs zu finden ist, hat übrigens seinen Grund, denn da wird eine Sonderausgabe angekündigt, auf die man schon jetzt gespannt sein darf.
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1956-2006 50 Jahre Deutsche Oper am Rhein
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- Fine -