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"Musik ist etwas Heiliges für mich"Von Christoph Wurzel (Interview und Fotos) OMM: Zuerst herzlichen Glückwunsch zu dem großen Erfolg Ihrer Oper Clara hier bei den Osterfestspielen. Wie haben Sie die Aufführungen erlebt?
Victoria Bond: Ich bin sehr
beeindruckt von dem Talent, der sozialen Kompetenz und der Hingabe der
Sängerinnen und Sänger, der Instrumentalisten, des Dirigenten und des
ganzen Teams. Sie haben meine Oper wirklich zum Leben erweckt und mit
ihrem jugendlichen Elan erfüllt. Die Sängerinnen und Sänger besitzen
nicht nur eine brillante Musikalität, sie sind auch hervorragende
Darsteller und machen die Handlung und die Charaktere des Dramas sehr
real. Ich fühle mich gleichsam mit einem Dirigenten gesegnet, der meine
Musik enorm geschickt und mit großem Verständnis gestaltet und das
Orchester zu einer stimmigen Einheit zusammenfügt. Alles in allem bin
ich dankbar, dass Clara hier
so erfolgreich aufgenommen wurde. Die enthusiastische Resonanz des
Publikums bestätigt mir das. Meine große Hoffnung wäre es, wenn Clara in Deutschland noch häufiger
aufgeführt würde.
OMM: Wie sind Sie auf Clara Schumann
als Thema einer Oper gekommen und was verbindet Sie mit ihr?
Victoria Bond: Clara Schumann begleitet mein Leben von Anfang an. Meine Mutter Jane Courtland war Pianistin. Zuerst war mein Großvater ihr erster musikalischer Lehrer, wie eben der Vater von Clara auch. Aber dann gibt es eine direkte Linie zu Clara Schumann über den Lehrer meiner Mutter Carl Friedberg, einen deutschen Pianisten und Musikpädagogen, der selbst ein Schüler Clara Schumanns am Hochschen Konservatorium in Frankfurt gewesen war. So ist meine Mutter also eine Enkelschülerin von Clara Schumann gewesen. Sie hat später in Ungarn auch bei bei Béla Bartók und Zoltán Kodály studiert. Es ist auch das Repertoire, das mich mit Clara verbindet, die romantischen Komponisten, natürlich Robert Schumann, Brahms, Mendelssohn, auch Liszt. Meine Mutter bevorzugte auch diese Werke, sie gewann in Budapest den Liszt-Wettbewerb und wurde eine berühmte Pianistin. Als ich zum
ersten Mal im Brahmshaus war und im Studio längere Zeit arbeiten
durfte, stieß ich auf die Biografie von Nancy Reich über Clara Schumann
und war total überrascht, wie eng die Geschichte meiner Mutter doch mit
Clara zusammenhängt. Von da an ließ mich Clara nicht mehr los. Ich
musste einfach eine Oper über sie schreiben. Über mehrere Jahre hinweg
ist die ganze Oper hier in Baden-Baden entstanden. Zeitweise kam auch
meine Librettistin Barbara Zinn Krieger dazu. Ich habe hier auch
Variationen über ein Thema von Johannes Brahms geschrieben, ein Werk
für Orchester, in dem sogar die Glocken der Lichtentaler Kirche
vorkommen, die zur Trauung von Claras Tochter Julie geläutet haben, bei
der Brahms Trauzeuge war.
So etwas wie eine Hausgöttin: Victoria Bond und die Büste von Clara Schumann im Brahmshaus Baden-Baden OMM: In Ihren Kompositionen ist
eine große Formen- und Stilvielfalt zu beobachten. Wie würden Sie Ihren
Kompositionsstil beschreiben?
Victoria Bond: Natürlich habe ich
eine eigene musikalische Sprache, aber bei Clara speziell habe ich auch deren
Musik und Motive aus Roberts und Johannes Brahms' Werken ebenso
einbezogen, sie sozusagen verinnerlicht.
OMM: Ihre Instrumentation ist
eigentlich sehr sparsam. In Clara
ist es ein Kammerensemble von zwölf solistisch besetzten Instrumenten,
die natürlich hauptsächlich im Zusammenspiel erklingen, aber auch
solistisch markante, oft sehr kurze Akzente setzen. Dadurch wird der
Klang sehr farbig und lebendig.
Victoria Bond: Ja, ich liebe eine
breite Klangpalette in meinen Werken. Ich bevorzuge es auch, die
Singstimme nicht durch die Instrumente zu verdoppeln, sondern die
Stimme sich frei entfalten zu lassen. Ich habe ja früher selbst auch
gesungen, mein Fach waren die -ina-Rollen, also Norina, Pamina
usw., daher komponiere ich am liebsten so, wie ich es auch gern singen
würde. Das volle Orchester gebrauche ich an den besonders dramatischen
Stellen, wenn es sehr emotional wird. Ich habe diese Technik bei Verdi
gelernt, der die Singstimme oftmals mit wenigen, aber effektvollen
Mitteln unterstützt. Ich bin eher eine lyrische Komponistin. Clara ist
ja eine Partie voller Lyrik...
OMM: .. aber auch Dramatik. Mir
kommt es vor, als hätten Sie an den Stellen, an denen Clara sich über
ihre Gefühle klar werden möchte und ihre Gedanken zu ordnen versucht,
so etwas wie einen musikalischen Gedankenstrom komponiert, also eher
assoziativ. Sie haben ja auch Texte von James Joyce vertont. Hat Sie
sein "stream of consciousness" beeinflusst?
Victoria Bond: O ja, das trifft es
genau! Sie wissen vielleicht, dass Joyce auch ein großer Sänger war,
seine Sprache ist sehr musikalisch. In Clara habe ich das auch probiert.
Die Sprache ist poetisch und an den von Ihnen angesprochenen Stellen
nicht so strukturiert, sondern eher ein freier Fluss der Gedanken - in
den Worten wie eben auch in meiner Musik. Wichtig war es für mich auch,
den Rhythmus der Sprache musikalisch umzusetzen.
OMM: Clara ist ja eine vornehmlich von
jungen Musikerinnen und Musikern getragene Produktion. Sie haben aber
auch explizit Bühnenwerke für Kinder und Jugendliche komponiert, so
etwa eine Schuloper über das Chanukka-Fest. Wie wichtig ist Ihnen diese
musikalische Arbeit mit jungen Menschen?
Victoria Bond: Das ist mir sehr
wichtig. Mein neustes Projekt ist eine Familienoper über Gullivers Travels von Jonathan
Swift. Der Stoff ist mit den Riesen und den kleinen Menschen für Kinder
und Jugendliche interessant, aber auch für Erwachsene, denn er ist sehr
politisch und gesellschaftskritisch. Das wird also eine Oper für die
ganze Familie.
OMM: Damit sind wir bei Ihrer Oper Mrs. President, in der es nicht
etwa um Hilary Clinton geht, sondern um Victoria Woodhull, die wir hier
in Deutschland so gut wie gar nicht kennen.
Victoria Bond: Ja, sie ist auch in
den USA kaum mehr bekannt. Sie kandidierte 1872 für das Präsidentenamt.
Sie stammte aus armen Verhältnissen und hatte sich ihre Bildung selbst
angeeignet. Natürlich wusste sie, dass sie niemals Präsidentin werden
konnte, denn es gab ja noch kein Frauenwahlrecht, aber ihre Ziele waren
die Gleichberechtigung von Mann und Frau und auch der Schwarzen
mit den Weißen. Sie hatte eine eigene Partei gegründet, die "Equal
Rights Party" und hatte sich als Vizepräsidenten den
Afroamerikaner Frederic Douglas ausgesucht. Gewählt wurde damals
Ulisses Grant, ein Bürgerkriegsgeneral. Und in der Oper geht es um den
anderen Kandidaten, einen sehr konservativen Mann mit strengen
Moralvorstellungen, der aber heimlich Affären mit anderen Frauen hatte.
Victoria Woodhull wusste davon. Sie selbst war Anhängerin der "freien
Liebe", also der weiblichen Selbstbestimmung und konfrontiert ihn im
ersten Akt mit dem Vorwurf, dass er ja selbst ein "free lover" sei, es
aber nicht zugebe. Davon lässt er sich überzeugen und umstimmen und
beide kommen sich am Schluss näher.
OMM: Diese Art der Doppelmoral in der Sphäre
der amerikanischen Politik kommt mir
sehr aktuell vor.
Victoria Bond: O ja, (seufzt
auf)... Aber das Thema ist ja immer aktuell... Victoria Woodhull wurde
wegen ihrer Ansichten verfolgt. Den Wahlabend musste sie im Gefängnis
verbringen. Frauen, die sich scheiden ließen, wurden wie
Verbrecherinnen behandelt.
OMM: Das war bei uns nicht anders. Man denke nur an Effi Briest von Fontane. Victoria Bond: Ja, diese Frauen
waren nicht mehr Teil der Gesellschaft. Man nannte Victoria "Mrs.
Satan".
Victoria Bond im Brahmshaus Baden-Baden OMM: Als Sie Ihre Karriere als
Dirigentin und Komponistin begannen, war es mit der Gleichberechtigung
auch noch nicht so weit her. Frauen waren in diesen Berufen ja noch
große Ausnahmen. Ich denke, Sie wollten Clara Schumann und Victoria
Woodhull auch deswegen ein Denkmal setzen, weil sich beide gegen
erhebliche Widerstände durchsetzen mussten.
Victoria Bond: Ja, aber es ist
besser geworden als zu meiner Zeit. Frauen haben heute weit mehr
Gelegenheit zu einer Karriere. Es gibt trotzdem noch zu wenige Frauen
auf maßgeblichen Positionen.
OMM: Haben Frauen eine andere Art zu
dirigieren als Männer oder auch beim Komponieren?
Victoria Bond: Ich denke, Frauen
haben eine Sprache, die mehr darauf gerichtet ist, mit dem Orchester
auf Augenhöhe zu sein. Früher fühlten sich die Dirigenten entweder als
Vaterfiguren oder führten sich auf wie Diktatoren. Und ich denke,
Frauen wollen meist kollegial sein. Wenn Frauen so auftreten wie Männer
früher, werden sie von den Orchestern gehasst. Auch haben die
Musikerinnen und Musiker heute mehr Macht sich zu wehren. Gegen so
autoritäre Dirigenten wie etwa Toscanini hatten die Musiker damals
keine Macht, das ist heute anders geworden.
Und beim Komponieren sind es vielleicht die Topics, die Themen und Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen. Ich schreibe Opern, in denen die Frauen stark sind und sich durchsetzen. Nicht wie früher, als sie als Leidende oder Unterdrückte gezeigt wurden. Auch wenn Victoria Woodhull in Mrs. President am Schluss im Gefängnis sitzt, ist sie doch überzeugt für eine gerechte Sache gekämpft zu haben. Oder Clara Schumann ist davon überzeugt, durch ihre Musik stark zu sein. Ihre Kunst ist ihr etwas Heiliges und gibt ihr die Luft zum Atmen. Für mich ist Musik, Kunst überhaupt, auch etwas Heiliges. OMM: Neben all dem bisher Genannten ist auch die Natur ein wichtiges Thema Ihrer Musik. Sie haben sogar ein Konzert über puerto-ricanische Frösche geschrieben. Victoria Bond: Mein Mann liebt
Frösche über alles. Wir haben um unser Haus herum lauter Frösche. Als
ich vorhin in der Natur spazieren ging, hörte ich einen Vogel, dessen
Melodie hätte ich am liebsten gleich aufgeschrieben. Tiere können sehr
musikalisch sein. Zum Beispiel auch Wölfe. Ich habe eine sinfonische
Dichtung über einen Wolf geschrieben Thinking
like a Mountain. Darin geht es darum, dass die Wölfe den Bestand
an Hirschen gering halten und damit das ökologische Gleichgewicht
bewahren helfen. Sonst würden die Rehe und Hirsche die Pflanzen
abfressen, der Boden würde eroieren und bald gäbe es keinen Wald mehr.
Außerdem haben Wölfe schöne Stimmen, nicht wie Hunde (imitiert die Rufe
und das Gebell). Und auch der Berg selbst hat ein interessantes Leben.
Da gibt es die Millionen Jahre des Felsens, die Hunderte von Jahren der
Bäume, die Monate der Pflanzen und vielleicht nur die Tage der
Insekten. Das lässt sich musikalisch in verschiedenen Zeitebenen
gestalten. Eine interessante Herausforderung.
OMM: Frau Bond, unter ihren Werken
findet sich auch ein musikalischer Spaß, ein Sketch über einen Page Turner, also die Person, die
beim Klavierspielen dem oder der Solistin die Noten umblättert. Wie ist
es zu diesem Stück gekommen?
Victoria Bond: Das ist auf einer
Konzertreise entstanden, als wir einmal auf einem Flughafen eine lange
Wartezeit hatten. Wir suchten nach einem Stück, das sich als Zugabe
eignet. Ich habe früher als Studentin auch die Noten umgeblättert, eine
Aufgabe, die sehr viel Konzentration erfordert. Und in dem kurzen
Stück geht es darum, dass die Umblätterin behängt mit klappernden
Armreifen und ungeschickt hohen Schuhen sich neben das Klavier setzt.
Dann kommt der Pianist, der ziemlich angespannt aber auch ein wenig
blasiert wirkt und beginnt zu spielen. Beide kommen sich aber immer
wieder in die Quere. Und schon bald flüchtet der Pianist völlig
entnervt vom Podium. Da setzt sich die Umblätterin ungerührt an den
Flügel und spielt das Stück einfach selbst weiter. Humor gehört eben im
Musikbetrieb auch dazu.
OMM: Frau Bond, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch! Zurück zur Übersicht der Osterfestspiele 2019
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