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„Zukunftsmusik in Essen“

Von Maria Kostakeva

– so wird die Musik der Gegenwart in der Jahresvorschau der Philharmonie definiert. Der Intendant Michael Kaufmann und sein künstlerisches Team haben sich das ambitiöse Ziel gesetzt, die neue Musik aus dem Ghetto der spezialisierten Festivals herauszuholen und  im Konzertleben zu integrieren. Dass diese Idee schon in Gang gekommen ist, zeigt die Zahl der Kompositionsaufträge: von den insgesamt 25 Aufträgen, die seit 2004 verteilt worden sind, gehören fünf neue Werke zu der letzten Spielzeit. „Um die kulturelle Situation der Zukunft zu gestalten, müssen wir geistige Impulse für die Gesellschaft geben und die  Kreativität fördern“, sagt Kaufmann, der die Rolle eines Konzerthauses nicht nur als Musiktempel an sich versteht, sondern ihm seine umfassende gesellschaftliche, erzieherische und kulturpolitische Dimensionen  geben will. 

An der Verwirklichung dieser visionären Idee werden die besten Orchester aus der Region und aus ganz Europa beteiligt.  Die Ehre sich im Alfried Krupp Saal präsentieren zu dürfen, ist mit einer anspruchsvollen Voraussetzung verbunden: ein neues Werk zum Leben zu erwecken und sich durch finanzielle Unterstützung zu beteiligen. Das am 17. September 2007 uraufgeführtes Violinkonzert von Jorg Widmann (Dirigent Manfred Honeck, Solist Christian Tetzlaff) entstand z.B. als Auftragskomposition der Philharmonie Essen und der Jungen Deutschen Philharmonie; sein Klarinettenquintett (21. November 2007, Jorg Widmann, (Klarinette) und Hagen Quartett) wurde von der Philharmonie Essen, Wiener Konzerthaus und Festival d’Automne Paris beauftragt; Das Trompetenkonzert von Kurt Schwertsik  (19. Dezember 2007, Dirigent Kristijn Järvi, Håkan Hardenberger (Trompete), Tonkünstler-Orchester) war ein Kooperationsauftrag der  Philharmonie Essen und des Tonkünstler-Orchester und bei dem Posaunenkonzert von Christian Muthspiel (16. April 2008, Dir. Christoph Poppen,  Christian Muthspiel (Posaune), Deutsche Radio Philharmonie) haben sich Philharmonie Essen und ORF beteiligt.

Durch diese interessante Initiative wird nicht nur die finanzielle  Unterschützung des neuen Werks (was heutzutage von brennender Bedeutung ist) gesichert, sondern auch seine Präsenz auf verschiedenen Konzertpodien, Städten und Ländern. Im Gegensatz zu den spezialisierten Festivals für neue Musik, wo die Uraufführung nicht selten auch die letzte Aufführung ist, bekommt die  Neue Musik  hier die Chance, von einer diversen  Zuhörerschaft wahrgenommen zu werden. Das Entscheidende dabei ist, dass Orchestermusiker und Publikum auf eine sanfte, aber konsequente Weise für die Musik der Gegenwart sensibilisiert werden.      
 

Sogar die hier zum Teil erwähnten Auftragskompositionen verraten die künstlerischen Aufgaben, die von den Organisatoren verfolgt werden. Das sind zumeist Konzerte für unterschiedlichste Instrumente, die als Mittelpunkt eines symphonischen Abends gedacht sind: das Solistische und das Orchestrale, das Virtuose und das Improvisatorische – das sind alles Faktoren, die anziehende Kraft auf den Konzertbesucher ausüben. Um so mehr, als in manchen Fällen der Komponist und der Interpret in einer Person vereint sind (glänzende Beispiele dafür sind Jörg Widmann als Klarinettist und  Christian Muthspiel als Posaunist).

 In seinem knapp halbstündigen Violinkonzert erreicht Widmann eine moderate zeitgenössische Klanglichkeit, in der das Motto „Zurück zur Schönheit“ wiederbelebt zu sein scheint. Die Leichtigkeit des musikalischen Gestus und die geigenfreundliche, melodiöse Violinfaktur, deren Wurzeln  in der allgemeinen Idiomatik der Violinkonzertliteratur zu suchen sind, - um so mehr in der wunderschönen Interpretation von Tetzlaff - begeistert das Publikum.  
Auch  bei Christian Muthspiel scheint das Publikum zufrieden zu sein. Die Idee des Komponisten, die klingende Materie gleichzeitig als rhythmisiertes und fließendes Ganzes zu entfalten, prägt schon den Anfang des Werkes: die ostinate rhythmische Formel in den Schlagzeuginstrumenten  zerfließt in der einfachen modalen Melodie, die sich unisono im ganzen Orchester verteilt. Der virtuose Komponist-Interpret agiert als doppelgesichtige Maske, in welcher der symphonische Konzertduktus und die Jazz-Improvisationshaltung verschmelzen. Die vom Komponisten offensichtlich gewünschte Symbiose zwischen E- und U-Musik, zwischen Jazz und Symphonie - etwa wie bei George Gershwin - stellt sich allerdings in Frage.

Beim Vergleich der verschiedenen Auftragskompositionen zeigt sich eine Tendenz, die bis vor einigen Jahren undenkbar war: die Annäherung der  gegenwärtigen Musik zum symphonischen und kammermusikalischen  Podium im klassischen Sinne des Wortes. Die Komponisten versuchen, das Abonnementspublikum anzusprechen. Wie in der Gesellschaft, sind  auch in der Neuen Musik die avantgardistischen Zeiten längst vorbei. Das heißt natürlich nicht, dass nicht auch heute noch Meisterwerke mit extremen und exzessiven Mittel geschaffen werden. Und umgekehrt: Man kann nicht erwarten, dass alle Werke, die zu einer moderaten Modernität tendieren, unbedingt  Spuren hinterlassen und in die Geschichte eingehen werden. Wichtig ist, das Risiko einzugehen  und in die Zukunft zu investieren. Davon ist  Kaufmann fest überzeugt.


Zum Thema:
Interview mit Michael Kaufmann:
"Ich wollte zeigen, dass ein Konzerthaus viel mehr sein  kann als ein Musiktempel "



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Jörg Widmann

Jörg Widmann
(Foto von Klaus Rudolph)


Håkan Hardenberger

Håkan Hardenberger
(Foto von Michael Kneffel)

Christian Muthspiel

Christian Muthspiel
(Foto von Sven Lorenz)





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