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Die Kraft der TraditionRené Schmidt, Leiter des Goethe-Theaters in Bad Lauchstädt, im Gespräch
Am 14. Juli erlebte das Goethe-Theater Bad Lauchstädt eine bejubelte Freischütz-Premiere darüber und über die Besonderheiten und Perspektiven seines Hauses sprach Joachim Lange kurz nach der Premiere mit René Schmidt, dem Chef dieses ganz besonderen Theaters.
OMM: Herr Schmidt, fühlen Sie sich nach der bejubelten Freischütz - Premiere als richtiger Intendant? Schmidt:
Das Gefühl habe ich in Bad Lauchstädt nie so gehabt. Zum Intendanten gehört ja die Fürsorge für ein Ensemble. Das ist aber - zum Glück oder zum Unglück - hier ja nicht der Fall. Zum Glück, weil ich das hierher holen kann, von dem ich meine, dass es passt. Zum Unglück, weil man eben auch bestimmte Dinge hinnehmen muss. Die Opern-Besetzungen muss ich halt so akzeptieren. Dafür bekomme ich aber auch eine fertig gebackene Inszenierung.
OMM:
Gilt das jetzt auch für den Freischütz?
Schmidt:
Das gilt für fast alle Produktionen. Aber das ist auch normal. Es ist eine zutiefst individuelle Entscheidung der jeweiligen Opernvorstände, wie sie besetzen. Aber mit Axel Köhler kann ich das offen besprechen. Wir haben zusammen studiert und der ist so nett geblieben, wie er immer war.
OMM:
Die Oper und das Theater in Halle sind Ihre Hauptpartner?
Schmidt:
Das ist ja 1968 so eingerichtet worden. Damals ist das Theater unter Weimarer Federführung wieder hergerichtet worden, durch das Goethe-Nationalmuseum. Man wollte ein Theater wie zur Goethezeit, das auch bespielt wird. Und da ist man aus naheliegenden Gründen auf Halle gekommen. In den 90er-Jahren hat man das Theater dann fast völlig zur Barockbühne stilisiert und immer von barocker Bühnentechnik und Barocktheater gesprochen. Das habe ich von Anfang an so nicht getragen. Als ich hier anfing, war klar, dass ich das beenden würde.
OMM:
Warum?
Schmidt:
Weil das Theater aus dem Geist der Goethezeit entstanden ist. Für mich ist es der Prototyp des bürgerlichen Theaters in Deutschland. Eigentlich das, was Gottfried Semper in Dresden in viel größerem Umfang wollte und wegen der höfischen Bedingungen dort nicht durchsetzen konnte. Also mit dem Verzicht auf Repräsentation im Innenraum und der Konzentration auf die Kunst. Das konnte Goethe ohne mit der Wimper zu zucken in Bad Lauchstädt umsetzen.
OMM:
Wir haben ja gerade erlebt, dass so etwas wie der Freischütz tatsächlich hierher passt, ohne dass die Wände wackeln
.
Schmidt:
Das hatte mir Karlheinz Steffens [GMD in Halle und Dirigent der Produktion, Red.] versprochen. Die Idee zu diesem Freischütz entstand in einem Gespräch mit ihm und Axel Köhler [Intendant des Theaters Halle, Red.]. Und der GMD hat zugesagt, ein Arrangement herzustellen, das den historischen Raum nicht vergewaltigt. Er hat sich mit den 26 Musikern im Graben und fünf oben auf dem Rang eins zu eins daran gehalten. Das war ganz wunderbar..
OMM:
Besser als vor kurzem bei Flotows Martha?
Schmidt:
Viel besser! Wobei die Martha-Partitur anders konzipiert ist. Es war das erste Mal, dass eine große romantische Oper des 19. Jahrhunderts in Bad Lauchstädt gespielt wurde. Das war ein enormer Arbeitsprozess. Auch in Halle gab es Vorbehalte. Der GmbH-Chef Stiska hat sich nur zähneknirschend der Mehrheit gebeugt. Im Laufe des Arbeitsprozesses hat dann aber der musikalische Leiter der Produktion, John Kevin Edusei, das Orchester extrem in den Griff gekriegt und das Ergebnis ist jetzt zufriedenstellend.
OMM:
Der Freischütz klang aber wirklich verblüffend anders - eher historisch ...
Schmidt:
Das liegt an der Akustik. Weil das Theater als Schauspielhaus konzipiert ist. Diese Akustik hat manchmal den Nachteil, dass sich der Orchesterklang nur schwer vermischt. Beim Figaro hört man hier eben, wenn eine Violine einen Viertelton danebenliegt. Insofern ist die Akustik unbarmherzig. Auch was die Sänger anbelangt. Wenn ein Sänger indisponiert ist, hört man das hier sofort.
OMM:
Sie haben also eine neue Programmstruktur ... Schmidt:
Dabei bleibt Mozart unser Kernrepertoire. Er war aber früher der Endpunkt, schon weil er damals der modernste war und Goethe ihn geschätzt hat. Ich bemühe mich auch darum, dass er mit fünf Hauptwerken im Repertoire ist. Im Moment haben wir leider keine Zauberflöte mehr, weil Halle sie wieder zurückhaben wollte. Für 2014 wollen wir die historische Inszenierung, die Goethe 1794 gemacht hat, mit Regisseurin Sigrid T'Hooft so weit wie möglich rekonstruieren. Ich habe Herrn Katschner überzeugt, den Orchesterpart zu übernehmen, jetzt müssen wir noch ein koproduzierendes Haus finden. Da sind mehrere u.a. in Thüringen im Gespräch.
OMM:
Das klingt nach Meiningen?
Schmidt:
Meiningen ist von den Thüringer Theatern tatsächlich das Haus, das mir besonders ans Herz gewachsen ist. Dort hat man natürlich selber die große Meininger Tradition im Auge, aber den Vorständen dort ist die Beziehung zu Bad Lauchstädt ein Herzensbedürfnis. OMM: Der historische Inszenierungsstil von Sigrid T'Hooft ist aber nicht ihr ästhetisches Programm?
Schmidt:
Ich bin völlig dagegen, nur weil es ein historisches Theater ist, aus Bad Lauchstädt ein Museum zu machen. Diese Farbe möchte ich aber auch drin haben. Wir werden bald eine sehr moderne Cosí fan tutte von Elmar Fulda bekommen. Es wäre eine große Ungerechtigkeit, diesem Theater die Teilnahme am Theaterleben von heute vorzuenthalten und es in die Architekturmuseumsecke zu stellen!
OMM: Bei den diesjährigen Händelfestspielen gab es Kobie von Rensburgs videogespickte La Ressurrezione, die belegt hat, wie gut das funktioniert
Schmidt:
Qualität passt immer zusammen. Die Händelfestspiele sind natürlich nach wie vor ein wichtiger Partner. Unsere Auslastung liegt bei den Festspielen auch 10-15% über der normalen Auslastung.
OMM:
Wie steht es überhaupt mit Ihrer Auslastung?
Schmidt:
Differenziert. Mit dem Musiktheater liegen wir in der Hochsaison bei fast 90%. Beim Schauspiel, selbst bei Gastspielen des Deutschen Theaters, nicht über 60%.
OMM: Woran liegt das?
Schmidt:
Es ist wohl eine allgemeine Tendenz der Zeit. Das Schauspiel bedient entweder größtenteils den Publikumsgeschmack, so wie man es jetzt in Dresden macht, wo man teilweise auch die klassischen Texte abändert, so dass sie jugendgemäß werden und damit jüngeres Publikum anziehen. Das ist in den großen Schauspielhäusern der großen Städte gar nicht mehr zu umgehen. Sobald aber das Theater intellektuell wird und ein literarisch gebildetes Publikum voraussetzt, muss man damit leben, dass man den Zuschauerraum nur noch zu drei Viertel voll hat..
OMM: Meinen Sie wirklich? Im Centraltheater in Leipzig gab es Publikumsdiskussionen, wo junge Leute die Nähe zu den Stücken einforderten, weil sie die Stücke nicht kennen, wenn sie ins Theater kommen, aber erst recht nicht, wenn sie es wieder verlassen
Schmidt:
Für Leipzig kann ich Ihnen das bestätigen, wobei es dort auch krass war. Aber auch in Dresden werden die Originaltexte so parfümiert, dass die Jungen das sehr wohl annehmen.
OMM:
Für mich ist das Dresdner Staatsschauspiel eigentlich die beste Bühne in unserer Region
Schmidt:
Ich würde sagen die erfolgreichste
Nach den lähmenden elf Jahren unter Holk Freytag zieht so was wie ein wunderbarer frischer Frühlingswind durchs Haus. Dieses Schauspielhaus in seiner klassizistischen Behäbigkeit heutzutage einem modernen Publikum wirklich schmackhaft zu machen - das gelingt dem Wilfried Schulz virtuos! Wir haben auch zwei Produktionen von dort eingeladen.
OMM: Wie sieht es mit dem Bachfest als Partner und überhaupt mit einer Zusammenarbeit Richtung Sachsen aus? Schmidt:
Zu meinem Bedauern will das Bachfest im nächsten Jahr eine Pause einlegen. Da gab es wohl Einwände von oben, warum denn teure und opulente Inszenierungen gemacht werden, die dann in Sachsen-Anhalt gezeigt werden
Ich möchte aber nach dieser Pause die Beziehung wieder intensivieren. Übrigens kommen dreißig Prozent unserer Besucher aus dem Dresdner Raum.
OMM: Das wissen Sie so genau? Schmidt:
Wir analysieren das einmal im Quartal, auch um zu sehen, ob sich unsere Messetätigkeit auswirkt. Im süddeutschen Raum sind wir gewesen, im vorigen Jahr waren wir in Norddeutschland.
OMM:
Bei einem Theater wie dem in Bad Lauchstädt muss man einfach nach dem Bauzustand fragen wie steht es mit Goethes Gemäuer?
Schmidt:
Es kriegen immer alle ganz leuchtende Augen, wenn ich von unseren 456 Plätzen erzähle. Da liegen wir vor dem Neuen Palais in Potsdam und dem Gothaer Theater immer eine Nasenlänge voraus. Wir können Produktionen machen, die auch mal was kosten, weil wir das durch die Eintrittspreise abfedern können. Aber die Gebäude sind ja alle nicht für die Ewigkeit gebaut. Goethe würde sich die Augen reiben, dass wir das alles noch so benutzen. Das ist ein Fachwerkbau mit 12 cm dicken Wänden. So intensiv wie wir das bespielen, auch mit Heizung im Winter, ist das einfach schädlich für das Gebäude. Man muss immer aufpassen, dass Bauschäden, die zwangsläufig bei jedem historischen Bau auftreten, sich nicht ausbreiten. Im Grunde ist das Theater aber in einem vergleichsweise guten Zustand. Die Sanierung von 1968 war schon nachhaltig. Nach 1990 ist dann nichts wesentliches mehr gemacht worden.
OMM: Auch die alte Bühnentechnik funktioniert ja noch, wie man gerade wieder erlebt hat. Schmidt:
Da standen insgesamt 12 Leute an der Untermaschine. Bei so einer Produktion ist unser Bühnenmeister die ganze Woche zwischen den Vorstellungen im Einsatz. Die Versenkungen gleiten an Holzbalken nach unten und die müssen gewachst werden damit das lautlos von statten geht.
OMM: Das hat aber auch einen besonderen Reiz. Schmidt:
Da bin ich dem Freischütz-Regisseur, Herrn Schuller, überaus dankbar. Er hat das sofort erkannt und gesagt, dass er hier nichts machen wird, was das Theater nicht von alleine hergibt. Das war einfach wunderbar. Ich habe das am Anfang nicht gedacht, dass er sich so strikt an den historischen Apparat hält
OMM: Und der Zustand des Kursaales? Schmidt:
Der ist bedenklich. Aber das Land hat das eingesehen, und nächste Woche fängt die Sanierung des Kursaales an. Der wird bei der Gelegenheit auch akustisch verbessert.
OMM:
Wie werden das Theater und die Anlage eigentlich finanziert?
Schmidt:
Das Theater und die Kuranlagen gehören dem Land Sachsen-Anhalt. Im nächsten Jahr werden sich die Verhältnisse ändern, aber in den letzten Jahren hat das Land vorbildlich für die Einrichtung gesorgt! Das kann man doppelt unterstreichen und mit Ausrufezeichen versehen. Verglichen mit Verhältnissen in andern Ländern hat das Land stets die erforderlichen Mittel bereitgestellt. Dass sich im Hinblick auf das Auslaufen des Solidarpaktes, die demografische Entwicklung etc. etwas ändern wird ist legitim. Vor mir steht die Aufgabe, eine Forderung des Landes zu erfüllen, die uns im nächsten Jahr immerhin unseren halben Etat kostet und trotzdem ein Programm zu machen, das der Tradition gerecht wird.
OMM: Wie soll das gelöst werden? Schmidt:
Es wird weniger Geld vom Land geben und die kommunalen Körperschaften müssen was drauf legen, also der Landkreis und die Gemeinde. Nach 15 Monaten Verhandlung haben sich die Politiker geeinigt. Ab nächstem Jahr steigt der Saalekreis in die Finanzierung mit ein. Von unserem Gesamtetat von etwa 2 Millionen sinkt der Landeszuschuss von 1,4 Millionen auf 820.000 Euro. Um das abzufangen, haben wir die Personalkosten radikal reduziert ab Januar haben wir nur noch 8 Festangestellte das waren mal 26.
OMM: Im August gibt es ja noch ein Schmankerl - Otto Schenk kommt mit dem Schauspieldirektor. Wie haben Sie denn diese Theaterlegende an Land gezogen? Oder Edda Moser mit ihrem "Festival der Deutschen Sprache"? Schmidt:
Edda Moser war auf der Suche nach einem Theater für ihr Festival. Und ihr Nachbar ist Hans-Dietrich Genscher! Muss ich mehr sagen? Ich habe das von meinem Vorgänger übernommen und bin froh, dass wir sie haben. Es ist eine der Gelegenheiten, wo unser Bundesland, das ja keine so repräsentative Hauptstadt wie Dresden hat, mal repräsentieren kann. OMM:
Unterm Strich sind Sie trotzdem optimistisch?
Schmidt:
Für Bad Lauchstädt ja. Schauen Sie mal: Die Kuranlagen gibt es 300 Jahre, das Theater über 200 Jahre, und es hier ununterbrochen gespielt. Dass sich da die Bedingungen immer mal ändern ist klar. Nach dem Wiener Kongress, als das Theater von Sachsen an Preußen abgegeben wurde, da war auch erst mal eine Weile Sauregurkenzeit, bis die in Berlin begriffen hatten, was sie da für ein Juwel haben.
OMM: Sie schöpfen also Kraft aus der Geschichte? Schmidt:
Das ist nun wieder der Vorteil. Tradition kann belastend sein und einen niederdrücken. Sie kann einem aber auch Kraft geben!
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Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt ist ein echtes Kleinod vor den Toren der Stadt Halle. Es trägt den Namen des Weimarer Klassikers, weil es sein Haus war. Er hat an den Entwürfen entscheidenden Anteil und beim Bau mit Geld aus der eigenen Tasche ausgeholfen. Vor allem aber war er hier Theaterdirektor. Wenn man so will, ist der studierte Musiker und Kulturmanager René Schmidt damit, seit er im Januar 2010 von seiner Position als Geschäftsführer der Kulturbetriebs-GmbH Meißner Land nach Bad Lauchstädt wechselte, ein Amtsnachfolger von Johann Wolfgang von Goethe. So ungefähr jedenfalls. Denn das Bad Lauchstädter Theater mit seinen 456 Plätzen als Teil einer liebevoll gepflegten Kuranlage gehört zu der Historische Kuranlagen und Goethe-Theater Bad Lauchstädt GmbH in Trägerschaft des Landes Sachsen-Anhalt und Schmidt der Geschäftsführer dieser GmbH. Goethe ist hier immer noch allgegenwärtig. Man kann ihn zwar nicht hören, aber wie er gehört, das kann man nachvollziehen. Seine Loge war die mit der Nummer 5 im ersten Rang. Dort ist die Akustik wie nicht anders zu erwarten fabelhaft!
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- Fine -