Händel - Pastorale und Drama
Von Gerhard Menzel
Eröffnet wurden die diesjährigen Festspiele (30. Mai - 5. Juni 2001) nicht mit dem EINFÜHRUNGSVORTRAG vom künstlerischen Leiter der Festspiele Nicholas McGegan, sondern schon einen Tag zuvor mit einem KONZERT ZU EHREN VON GÜNTHER WEIßENBORN in der Aula der Universität Göttingen. Günter Weissenborn, der in diesem Jahr sein 90. Lebensjahr vollendet hätte, kam 1950 als Dirigent an das Deutsche Theater in Göttingen. 1951 musste sich das Orchester des Theaters als Göttinger Symphonie Orchester neu formieren, das Weissenborn bis 1957 leitete. Neben seiner Karriere als Liedbegleiter war er von 1960 bis 1980 künstlerischer Leiter der Göttinger Händel-Festspiele. Am 25. Februar 2001 ist Günter Weissenborn im Alter von 89 Jahren gestorben.
In dem von Christian Simonis geleiteten Konzert mit dem Göttinger Symphonie Orchester, dem Göttinger Knabenchor (Leitung: Stefan Kaden) und der Solistin Misao Kawasaki-Weißenborn (Klavier) erklangen neben a-capella Werken für Chor - u.a. von Byrd und Scarlatti - Händels Concerto grosso HWV 318 und Beethovens Klavierkonzert Nr.4 G-Dur.
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Günter Weissenborn
2.6.1911 - 25.2.2001
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Deutsches Theater
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Das Hauptaugenmerk der Festspiele richtete sich natürlich - wie jedes Jahr - auf die neue Produktion der Händel-Oper, die - nach der letztjährigen, EXPO-bedingten Auslagerung in die mehr Publikum fassende Stadthalle - wieder im ideal dimensionierten Deutschen Theater stattfand. Nachdem es Igor Folwill (Regie) und Manfred Kaderk (Bühnenbild) im letzten Jahr gelang, in der Stadthalle Händels Rodelinda mit einem Geniestreich in Szene zu setzen, war man nun besonders gespannt, wie die beiden Künstler im angestammten Haus, dem Deutschen Theater, Händels PARTENOPE auf die Bühne bringen würden.
Dabei wurde der Besucherservice in diesem Jahr ganz besonders groß geschrieben. So gab es nicht nur je eine WERKEINFÜHRUNG ZUR OPER in deutscher und englischer Sprache (wenn auch zu unterschiedlichen Aufführungstagen), sondern es wurden auch erstmals zu den Festspielen deutsche Übertitel eingesetzt.
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Mit besonderem Stolz waren zwei "Welterstaufführungen" innerhalb der diesjährigen Festspiele angekündigt worden, wobei es sich korrekter Weise - wie es auch Nicholas McGegan, Göttingens künstlerischer Leiter - formulierte, um "moderne Erstaufführungen" handelte. Die CAECILEN-VESPER von Alessandro Scarlatti kam zwar zu großen Teilen schon vor einiger Zeit zur Aufführung, in Göttingen war nun jedoch erstmals das komplette Werk zu hören. Über das erst im Herbst letzten Jahres von Vorstandsmitglied Prof. Dr. Hans Joachim Marx in der Bibliothek der Londoner Royal Academy of Music wiederentdeckte "Gloria in excelsio Deo" (HWV deest) für Solo-Sopran, Streicher und Basso continuo von Händel berichteten wir bereits ausführlich: Musikalische Sensation: Unbekannte frühe Komposition Händels entdeckt .
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Nicholas McGegan
Nun kam Händels "Gloria" in einem als GALAKONZERT titulierten Konzert in der Stadthalle zur Aufführung. Dominique Labelle meisterte dieses Bravourstück für eine koloraturensichere Sopranistin mit Verve und vollem Einsatz. Dieses Werk Händels wird sicherlich noch von vielen weiteren geläufigen Kehlen zum "Lieblingsstück" erkoren werden. Auf jeden Fall ist es eines der bedeutensten Werke Händels für Solostimme.
Befremdlich an diesem Konzert wirkte jedoch, dass es von Händels Kantate Clori, Tirsi e Fileno umrahmt wurde: Kantate 1. Teil, "Gloria", Pause, Vivaldis Konzert D-dur für Violine und Orchester (Solistin: Elizabeth Blumenstock) und zum Abschluß Teil 2 der Kantate. Trotz des engagierten Einsatzes der Solisten Dominique Labelle (Clori), Susanne Rydén (Tirsi) und Ralf Popken (Fileno) und des Philharmonia Baroque Orchestra (San Francisco) gelang Nicholas McGegan nur beim "Gloria" die GALA, der Rest blieb lediglich KONZERT.
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Philharmonia Baroque Orchestra (San Francisco)
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Einen unbefriedigenden Eindruck hinterliess auch die mit Spannung erwartete komplette Aufführung von Alessandro Scarlattis CAECILEN-VESPER. Im Großen Saal der Stadthalle wollte sich so gar keine Atmosphäre einstellen, die dem Werk gebührte. Alle Bemühungen von Nicholas McGegan, den Solisten Susanne Rydén und Dominique Labelle (Sopran), Ralf Popken (Altus), James Oxley (Tenor), Andrew Foster (Baß), dem Enseble 'The Arcadian Accademy' und dem 'Choir of the Age of Enlightenment' das Publikum für dieses Werk zu begeistern, blieben in diesem Ambiente zum größten Teil erfolglos. Dabei versprach die WERKEINFÜHRUNG ZUR CAECILIEN-VESPER von Hans Jörg Jans (Direktor des Carl Orff-Instituts, München) und sein Beitrag im vorbildlichen Programmbuch der Festspiele - im bis zum Bersten überfüllten Kleinen Saal der Stadthalle - doch so viel.
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Stadthalle
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Händel: Saul
Solisten, Kölner Kammerchor, Collegium Cartusianum (Köln)
Leitung: Peter Neumann
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Ein musikalisches Ereignis bescherte dagegen die Aufführung von Händels Oratorium SAUL HWV 53 (1739), für das der Große Saal der Stadthalle - im Gegensatz zu den beiden zuvor erwähnten Konzerten - geradezu ideal erschien. Peter Neumann gelang es mit seinen Ensembles, dem Kölner Kammerchor und dem Collegium Cartusianum (Köln), Händels meisterhaftes und äussert farbig instrumentiertes Drama um Saul und David eindrucksvoll zu gestalten. Gregory Reinhart, der kurzfristig für Thomas Quasthoff die Titelpartie übernommen hatte, war - wie in der schon vorliegenden CD-Produktion mit Peter Neumann - ein präsenter und überzeugender Saul. Neben Patrick von Goethem als David und Siri Karoline Thornhill als liebenswerte Michal nutzte Simone Kermes als deren "fiese" Schwester die Gunst der Stunde. Unterstrichen durch ihr feuerrotes Outfit liess sie mittels ihrer modulationsfähigen Stimme alle Gefühle des Hasses und der Verachtung gegenüber David in teilweise atemberaubender Weise freien Lauf. Charles Daniels (Jonathan), Andrew Foster (Samuel) und Markkus Brutscher in den übrigen kleinen Partien ergänzten das alles im allem vorzügliche Solistenensemble. Das Publikum feierte diese äußerst gelungene Interpretation des Saul zu Recht. Auch zu diesem Werk gab es wieder eine WERKEINFÜHRUNG - dieses Mal von Prof. Dr. Hans Joachim Marx vom Musikwissenschaftlichen Institut in Hamburg - im Kleinen Saal der Stadthalle, der auch dieses Mal wieder vor interessiertem Publikum überquoll.
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Auch die wissenschaftliche Seite der Festspiele erwies sich dieses Jahr wieder durch interessante Veranstaltungen als besuchensswert. So gab es in der Aula der Universität beim KOLLOQUIUM ALTE MUSIK: unter dem Motto "Historische Aufführungspraxis: wozu?" zahreiche interessante Beiträge der Teilnehmer, ohne natürlich den berühmten "Stein der Weisen" zu finden bzw. zu beschwören. Neben Moderator Prof. Dr. Staehelin (Musikwissenschaftliches Institut Göttingen) diskutierten Prof. Dr. Holschneider (ehemaliger Verantwortlicher der Deutschen Grammophon-Gesellschaft), Dr. Reidemeister (Leiter der Schola Cantorum Basiliensis), sowie die allseits bekannten Hauptakteure der Göttinger Händel-Festspiele Prof. Dr. Hans Joachim Marx (Stellvertretender Vorsitzender) und Maestro Nicholas McGegan (Künstlerischer Leiter).
Den WISSENSCHAFTLICHEN FESTVORTRAG zum Thema "Dramatik und Lyrik in den Oratorien und Serenaten Händels" hielt Prof. Dr. Wolfgang Ruf, der sich als Präsident der Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft Halle nun in Göttingen die Ehre gab. (Im Gegenzug dirigierte Nicholas McGegan das Festkonzert zur Eröffnung der 50. Händel-Festspiele in Halle, in dessen Rahmen sein Landsmann Sir John Elliot Gardiner der Händel-Preis der Stadt Halle verliehen wurde, eine Auszeichnung, die Nicholas McGegan bereits im Jahre 1993 zuteil wurde.)
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Aula der Universität
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Kinderkonzert
mit Han Tol, dem Flanders Recorder Quartet (Amsterdam)
und den Göttinger "Blockflöten-Kindern"
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Ein Erlebnis ganz besonderer Art war für alle Besucher das Kinderkonzert "EIN STÜCK HOLZ" im Alten Rathaus. Han Tol und sein Blockflöten-Ensemble 'Flanders Recorder Quartet' (Amsterdam) begleitete den Schauspieler Johan Luyckx - ein sympatischer Rezitator und gewandter Pantomime - auf einer phantastischen Reise, die ein Stück Holz - ehemals Teil der von Pan vor Liebeskummer und Wut zerstörten Flöte - aus dem alten Griechenland bis zum Herzog von Florenz führte. Dort fertigt ein geschickter Instrumentenbauer aus ihm eine wunderbare Flöte, auf der dann die festlichste Musik zur Freude des Herzogs erklang. Dabei wurden nicht nur die Kinder durch eine anspruchsvolle Darbietung unterhalten, sondern auch eine vergnügliche Zeitreise durch die Geschichte der Musik geführt. So reichten die zahlreichen angespielten und angedeuteten Klangbeispiele von Vivaldis "Vier Jahreszeiten", über "Carmen" und den Filmhit aus "Titanic" bis zum abgedrehten Rap. Einen weiteren Höhepunkt der Veranstaltung bildete dann noch der Auftritt der Kinder, die - wie in der Voranzeige bekanntgegeben - ihre eigenen Blockflöten mitgebracht hatten. Han Tol brachte es mit ihnen tatsächlich fertig, dass sie den Kanon "Bruder Jacob" in verschiedenen Spieltechniken zur mehrstimmigen Aufführung brachten. Dieses Konzert stellte sich als eine hervorragende Werbung für die Musik und die Göttinger Händel-Festspiele heraus. Veranstaltungen dieser Art sollten unbedingt weiterhin das Festspielprogramm bereichern. So kann man dafür sorgen, dass auch in Zukunft ein interessiertes, jüngeres Publikum die Existenz der Festspiele gewährleistet.
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Die Geschichte des Instrumentenbaus spielte auch im CEMBALOKONZERT in der Aula der Universität eine besondere Rolle. Robert Hill (Freiburg/Br.) spielte dabei nicht nur auf einem herkömmlichen Cembalo, sondern auch auf einem Lautenclavier, das sich von einem Cembalo vor allem durch seinen Bezug mit Darmseiten unterscheidet. Da allerdings keine originalen Lautenclaviere erhalten geblieben sind, muss man sich bei dem Bau dieser Instrumente auf schriftlich überlieferte Aussagen von Zeitgenossen verlassen. Die von Robert Hill ausgewählten Werke demonstrierten eindrucksvoll die völlig unterschiedlichen Klangspähren der beiden Instrumente. So spielte er auf dem Cembalo eine Bearbeitung von Händels Ouvertüre zu Il Pastor Fido, Johann Kuhnaus Der von David vermittelst der Music curierte Saul und fünf Sonaten von Domenico Scarlatti. Eine sechste Sonate von Scarlatti spielte er dagegen auf dem Lautenclavier, genauso wie Johann Kuhnaus Suonata Terza aus "Frische Clavier-Früchte" (1696) und Friedrich Wilhelm Zachows Suite in h-moll. Robert Hill präsentierte damit einen eindrucksvollen Einblick in den Instrumentenbau und die damit verbundenen Ausdrucksmöglichkeiten der Komponisten in ihren Werken.
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Robert Hill
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St Albani
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Die drei NACHTKONZERTE fanden in der St.-Marien- und der St.-Albani-Kirche statt. Das Konzert mit dem Ensemble Umbach & Consorten präsentierte unter dem Motto "Hirtenidylle in Frankreich und England", Kammermusik von Händel, Purcell, Monteclair, Telemann und Joh. Chr. Bach. Im Nachtkonzert mit dem Ensemble Himlische Cantorey (Hamburg), Preisträger der "Gothaer Reihe Historischer Konzerte", erklangen unter dem Motto "O Amarilli zart" deutsche Madrigale des 17. Jarhundert. Auf dem Programm von Robin Blaze (Countertenor) und Laurence Commings (Cembalo) standen Kompositionen von Händel und Alessandro Scarlatti.
Des weiteren fand unter dem Titel BAROCKMUSIK UND BAROCKE GESTIK eine "kommentierte Vorführung" im Alten Rathaus statt, bei dem die von Johannes Strobl (Cembalo/Basel) begleitete Sharon Weller (Sopran/Basel) an Hand von Kammermusik von Dowland, Purcell, Bononcini und Händel barocke Gestik und Gesang demonstrierte.
Unter dem Motto LESUNG UND MUSIK fanden zwei Veranstaltungen statt: in der St. Marien-Kirche las die vor allem als Kriminalautorin bekannte Donna Leon aus ihrem Werk (in engl. Sprache). Musikalisch umrahmt wurde die Lesung von Dominique Labelle (Sopran), Phoebe Carrai (Cello) und Alan Curtis (Cembalo) mit Kompositionen von Georg Friedrich Händel. Im Händel-Treff des Deutschen Theaters las Bernd Kaftan zum Thema "Nachricht von G.F. Händels Lebensumständen" unter anderem aus Werken von Johann Mattheson, Charles Burney und John Mainwaring. Für die umrahmende Lautenmusik sorgte Andreas Düker.
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Für die pfingstlichen Kirchgäner stand auch ein ÖKUMENISCHER FESTGOTTESDIENST in der St.-Johannis-Kirche mit Bachs Kantate "Erschallet ihr Lieder" (BWV 172) auf dem Festspielprogramm. Ausführende waren neben der Göttinger Stadtkantorei unter der Leitung von Bernd Eberhardt, die Solisten Annette Labusch (Sopran), Henning Voß (Altus), Sven Olaf Gerdes (Tenor) und Ralf Grobe (Baß).
Neben einer FÜHRUNG DURCH DIE INSTRUMENTENSAMMLUNG des Musikwissenschaftliches Seminar der Universität Göttingen wurden als touristische Bereicherung auch drei Stadtführungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten: "KIRCHEN AUS DEM MITTELALTER", "MUSIKALISCHER STREIFZUG DURCH GÖTTINGEN" und "LITERARISCHER RUNDGANG DURCH GÖTTINGEN".
In der St.-Jacobi-Kirche gelangte noch Mozarts Fassung (KV 566) von Händels ACIS UND GALATEA zur Aufführung. Unter der Leitung von Arved Henking musizierten der Kleine Chor der St. Jacobi-Kantorei und das Göttinger Collegium. Die Solisten waren Anette Labusch (Galatea/Sopran), Hennig Kaiser (Acis/Tenor), Sven Olaf Gerdes (Damon/Tenor) und Matthias Friedrich (Polyphem/Bass).
Somit boten die diesjährigen Festspiele nicht nur ein reichhaltiges Programm mit zwei Aufsehen erweckenden "Erstaufführungen" und zahlreiche hervorragende Leistungen, sondern Göttingen konnte mit der Partenope auch die mit Abstand beste Opernproduktion aller drei deutschen Händelfestspiele vorweisen. Weder in Karlsruhe, noch in Halle gab es Aufführungen, die - einmal abgesehen von Scarlattis Oper Der Triumph der Ehre (schon seit 1999 der absolute Publikumsrenner in Karlsruhe) - qualitativ auch nur annähernd an die PARTENOPE von Göttingen heranreichten.
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St. Johanni
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